Aufstehen zu Ostern

Aufstehen, auferstehen, das ist im Neuen Testament dasselbe Wort (anhistemi).* Menschen stehen auf, nachdem sie gegessen haben, wenn sie krank waren oder wenn sie zu einer Reise aufbrechen. Aufstehen, das ist ein Alltagswort.
Mit diesem Wort beschreibt die Bibel, wie Menschen heil werden. Die kranke Schwiegermutter des Petrus steht auf oder der Gelähmte, die Tochter des Jairus oder Maria, die um ihren toten Bruder Lazarus trauert und hört, daß Jesus kommt: Sie steht schnell auf und geht ihm entgegen. Und mit diesem Wort erzählt die Bibel, was zu Ostern passiert: Jesus steht auf.
Wir sagen meistens „auferstehen“. In der Kirche schieben wir eine Silbe in das Alltagswort und trennen es von dem, was wir täglich erleben. Aus „aufstehen“ wird „auferstehen“ und aus „aufwecken“ „auferweckt“.

Aber in der Bibel gehört es zusammen. Es ist dieselbe Erfahrung, die sich durch die ganze Bibel zieht: Gottes Lebenskraft reicht über unsere Grenzen hinaus, selbst dorthin, wo Tod und Ausweglosigkeit und Gewalt regieren. Die Bibel erzählt, wie Menschen immer wieder aufgestanden sind. Sie macht uns Mut, daß auch wir uns von dieser Kraft anstecken und uns in sie hineinziehen lassen.

Ich habe neulich den Satz gelesen von Jesus als Anführer einer Auferstehungsbewegung. Auferstehung, das begann bei Jesus nicht erst nach dem Karfreitag. Sondern es ist etwas, was seine Jünger_innen immer wieder bei und mit ihm erlebt haben. Menschen sind heil geworden, haben sich im Glauben aufgerichtet, haben sich dem Unrecht, der Erniedrigung und Hoffnungslosigkeit entgegengestellt, haben Lähmung und Tod überwunden. Jesus hat seine Freund_innen in seine Auferstehungspraxis mit hineingenommen und sie damit angesteckt. Es ist eine Erfahrung und Lebenseinstellung, für die wir uns immer wieder entscheiden können. Wir können uns in sie hineinnehmen und  uns von ihr tragen lassen. Rose Ausländer schreibt in einem Gedicht:

Auferstehung
Vor seiner Geburt
war Jesus
auferstanden

Sterben gilt
nicht für Gott und
seine Kinder
Wir sind Auferstandene
vor unserer Geburt

Jesus ist aufgestanden. Vom Tod, gegen den Tod. Die Mächtigen, die ihn „ermordet haben, behalten nicht das letzte Wort.“ **
Ostern breitet sich das große Aufstehen aus. Aber wie ist aufstehen?

Eine Frau zeigt uns jetzt, wie sie sich aufrichtet.

Dann erzählen acht Menschen, was Aufstehen für sie bedeutet.

Heute Morgen war ich zum Osterspaziergang auf der Moltkewarte. Um 5.45 Uhr haben wir uns getroffen. Das Aufstehen war schrecklich. Ich frage ich mich jedes Jahr: Warum schlafe ich nicht gemütlich aus am Ostersonntag? Warum tue ich mir das an? Doch wenn wir auf der Moltkewarte angekommen sind, sage ich jedes Mal: es lohnt sich und es ist sehr schön. Ich bin aufgestanden.

Ich bin Samuel Müller, Superintendent und Stadtchronist. Im 30-jährigen Krieg sollte ein Lokalpolitiker – der Oberaufseher Jacob Grünthal – hier mit militärischen Ehren beigesetzt werden. Sogar seine Kriegsfahne sollten vorangetragen werden. Ich habe mich geweigert. Kriegsfahnen und Personenkult haben in der Kirche nichts zu suchen. Doch seine Verwandten haben ihren Einfluß geltend gemacht. Bis zur Landesregierung sind sie gegangen. Ich habe mich gewehrt, aber ich mußte klein beigeben. Auf dem Epitaph kniet er in voller Rüstung unter dem Kreuz. Trotzdem, ich bin dagegen aufgestanden.

Ich bin der Gelähmte aus dem Markusevangelium (Markus 2). Freunde habe mich zu Jesus getragen. Ich konnte überhaupt nicht mehr laufen, nur liegen. Jesus hat zu mir gesagt: Steh auf, nimm dein Bett und geh. So bin ich aufgestanden.

Ich bin Erich Gubalke und war in den 1920-er Jahren Pfarrer an der Ulrichskirche. Ich habe mir Gedanken zur Nutzung des Gemeindehauses gemacht. Nur Bibelstunden fand ich zu wenig. Ich fand, die Kirche soll sich auch sozial engagieren. Ich habe zwei alte Eisenbahnwaggons für obdachlose Familien im Hof aufgestellt. Dann habe ich den Kindergarten gegründet. 1933 wurde mir die Pfarrstelle entzogen, denn in meiner Zeitschrift „Die Unruhe“ habe ich vor dem Nationalsozialismus gewarnt. Ich bin aufgestanden.

Ich bin Alban Hess. Ich habe die Sankt-Michael-Buchhandlung gegründet. Doch das Buch von Adolf Hitler, „Mein Kampf“, ging nicht über meine Ladentheke. Stattdessen habe ich die Bekennende Kirche in Sangerhausen gegründet. Mehrere Jahre saß ich im Gefängnis und im KZ Buchenwald. Auch in der DDR wurde ich mehrmals inhaftiert, weil ich öffentlich für freie Wahlen eingetreten bin. Ich bin aufgestanden.

Ich war im letzten Jahr schwer krank. Ganz plötzlich habe ich die Diagnose bekommen: Du hast Krebs. Von einem Tag auf den anderen war alles anders: Untersuchungen, Krankenhaus, Chemotherapie. Ich habe alle Kräfte verloren und oft auch meinen Mut. Es hat lange gedauert, bis ich mich erholt habe. Aber jetzt bin ich aufgestanden.

Meinen Namen kennt bis heute niemand, nicht einmal die Staatssicherheit. Als in den 80-er Jahren Atomraketen auf beiden Seiten der Grenze aufgestellt wurden, wurde auch in Sangerhausen über das Bibelwort „Schwerter zu Pflugscharen“ diskutiert. Ich habe mir heimlich weiße Farbe und einen Malerpinsel organisiert. In einer Nacht- und Nebelaktion habe ich auf dem Markt am Haus Nr. 11 einen Spruch aus der kirchlichen Friedensbewegung angebracht: „Frieden schaffen ohne Waffen – in Ost und West“.
Die Staatssicherheit hat am Morgen sofort den Markt abgesperrt und den Spruch übermalt. Niemand sollte ihn sehen. Dann haben sie unzählige Leute befragt. Aber es ist nie herausgekommen. Frieden schaffen ohne Waffen in Ost und West, dafür bin ich aufgestanden.

Ich bin Maria aus Magdala. Wir Frauen haben uns am Ostersonntag zeitig zum Grab aufgemacht. So wurden wir zu ersten Zeuginnen von Ostern. Jesus ist nicht bei den Toten. Jesus ist aufgestanden.

 

Gottesdienst mit Aufstehen am Ostersonntag

Predigten zwischen Palmsonntag und Quasimodogeniti: hier
Weitere Predigten in der Passions- und Vorpassionszeit: hier
Predigten bis Pfingsten und Trinitatis: hier
Predigten im Jahreslauf: hier

 

* Glossar zum Verb „kum“ / „anhistemi“ in der Bibel in gerechter Sprache,,Gütersloh 2011 (Taschenausgabe), 1814
** Claudia Janssen: Endlich lebendig. Die Kraft der Auferstehung erfahren. Vortrag am 29.3.2014 beim Norddeutschen Forum Feministische Theologie

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