Reminiszere: Bleib bei mir

Bleib noch bei mir. Eltern kennen das flehentliche Bitten ihrer Kinder beim Zubettgehen. Abends lauern die Monster unter dem Bett. Wenn es dunkel wird, kriechen sie hervor und bedrohen die Kinder. Große Hunde, Spinnen und Gespenster können sie zu Tode ängsten und ihre Seelen erschrecken. Bleib bei mir, betteln die Kinder. Für sie sind die Monster real. Wenn eine Menschenseele in der Nähe ist, wenn wenigsten die Tür einen Spalt offen bleibt, erscheint die Gefahr weniger bedrohlich. Bleib bei mir. Das hilft.
Dass sie einsam und verlassen sind, damit haben nicht nur die Kleinen zu kämpfen. Auch Erwachsene fühlen sich oftmals ausgeliefert. Oder Kinder und Jugendliche, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Sie erleben, dass ihnen niemand glaubt. Niemand ist da, dem oder der sie sich anvertrauen können, der*die sie stärkt und ihnen Mut macht. Alle schauen weg. Sie stehen buchstäblich mutterseelenallein da.

Ausgeliefert sein, das können Jugendliche in der Schule erleben und Erwachsene auf der Arbeit. Oder Gefangene und politisch Verfolgte. Oftmals spielt Macht eine Rolle. Wer nichts zu melden hat oder das unterste Glied in der (Befehls-) Kette ist, steht schnell isoliert da, wenn es zu Konflikten kommt. Wer traut sich, einem Opfer zur Seite zu springen? Es tut so gut, wenn sie jemand verteidigt und in Schutz nimmt, die Hand hält und tröstet. Oder besser: Es täte so gut. Denn für viele, die gemobbt werden, bleibt das nur ein verzweifelter Wunsch. So ohnmächtig, dass manche daran zerbrechen.

Wir alle müssen mit Ängsten umgehen. Viele Gefahren sind real, manche bilden wir uns ein. Angst machen sie uns trotzdem. Im Laufe der Jahre lernen wir, uns dem Bedrohlichen im Leben zu stellen und mit ihm umzugehen.
Es ist ein Geschenk, wenn wir in schwierigen Situationen jemanden in der Nähe haben. Selbstverständlich ist es nicht. Die meisten Leute scheuen sich vor Leid, auch bei anderen. Sie gehen Trauernden aus dem Weg, weil sie verlegen sind und nicht wissen, was sie sagen sollen.

Auch die Freunde von Jesus sind damit nicht klargekommen.**  Vielleicht haben sie es nicht ausgehalten, dass Jesus so verletzlich und schwach war. Vielleicht hatten sie Angst, dass die Ausweglosigkeit, in der er steckte, auch nach ihrer eigenen Seele greift. Sie wollten einen starken Jesus, einen Helden, der immer strahlt und siegt. Und sie konnten nicht akzeptieren, dass ein Mann zittert und weint. Ein Mann darf nicht schwach sein, sondern muss stark sein. Besonders ein Mann wie Jesus. Sie konnten nicht damit umgehen, dass er ihren Erwartungen nicht entsprach und dass ihr Bild von ihm zerbrach.

Bleib bei mir. Es ist ein verzweifelter Wunsch. Besonders unter Erwachsenen bleibt er oft stumm und unausgesprochen. Zu peinlich und erniedrigend ist es, so sehnsüchtig um Beistand zu betteln. Der Schrei nach Hilfe und Nähe ist dann nur in den Augen zu lesen. Oder daran, dass jemand nichts mehr isst. Nicht mehr lacht. Sich nur noch zurückzieht und zum Schatten ihrer selbst wird.
Jesus ist so sehr am Ende, dass er diese Bitte laut ausspricht, dreimal sogar. Die Männer in seinem Umfeld merken nicht, wie wichtig es ist, dass sie jetzt da sind. Sie müssten einfach nur sitzen bleiben und wach sein.

Gelingt uns das? Sind wir immer so wach und aufmerksam, wenn jemand Angst hat? Dass wir nicht vergessen, wie sehr Menschen Beistand brauchen?
Bleib bei mir. Bei den kleinen Kindern, die sich in der Dunkelheit so entsetzlich fürchten. Bei Frauen, die sich gerade getrennt haben und allein neu anfangen müssen. Bei jungen Männern, die verprügelt werden, wenn sie Hand in Hand über die Straße gehen. Bei politischen Gefangenen, die isoliert und zerstört werden. Bei Menschen, die sich von aller Welt vergessen fühlen. Bleib bei mir.

Predigt zu Reminiszere über Matthäus 26,36-46
Andere Predigten in der Passionszeit
Zu den Predigten im Jahreslauf

 

**  Matthäus 26
36 Jesus kam mit ihnen zu einem Garten mit Namen Getsemane und sagte zu seinen Jüngern: »Setzt euch hier, während ich dorthin gehe und bete.« 37 Und er nahm Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus mit. Er begann zu trauern und sich zu ängstigen. 38 Da spricht er zu ihnen: »Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir.« 39 Er ging ein wenig weiter und warf sich nieder auf sein Gesicht. Er betete und sprach: »Mein Gott, wenn es möglich ist, soll dieser Kelch an mir vorübergehen. Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!« 40 Er kommt zu den Jüngern zurück und findet sie schlafend. Und er sagt zu Petrus: »Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? 41 Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt. Der Geist ist willig aber das Fleisch ist schwach.« 42 Er ging noch ein zweites Mal beiseite und betete: »Mein Gott, wenn der Kelch nicht vorbeigehen kann, ohne dass ich ihn trinke, soll dein Wille geschehen.« 43 Als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn ihre Augen waren schwer geworden. 44 Er verließ sie und ging noch einmal weg und betete zum dritten Mal wieder mit denselben Worten. 45 Dann kommt er zu den Jüngern und sagt zu ihnen: »Wollt ihr noch immer weiter schlafen und euch ausruhen? Seht, die Stunde ist nah, dass der Menschensohn in die Hände von Sündern ausgeliefert wird. 46 Steht auf, lasst uns gehen. Seht, der mich ausliefern wird, ist in der Nähe.« Matthäus 26,36-46, nach BigS

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