Liebe Gemeinde, ein Vers aus dem Johannesevangelium hat vor etwa 80 Jahren deutschlandweit für Aufregung gesorgt, und der Ausgangspunkt war ganz in unserer Nähe, in Magdeburg. Es war die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, in der Gefallenendenkmäler errichtet wurden. Auch in unserer Kirche hingen Tafeln mit Soldatenbildern. Erst beim Kirchenbrand 1971 sind sie verschwunden. Unseren Großeltern und Urgroßeltern wurde beigebracht, Kirche, Volk und Vaterland in einem Atemzug zu nennen. Sterben im Krieg wurde als christliche Pflicht und Ausdruck von Nächstenliebe gedeutet. Und der Bibelvers dazu lautete: „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“. (Johannes 15,13)

Am 6. November 1928, hielt der Berliner Pfarrer Günther Dehn einen Vortrag im Gemeindehaus der Ulrichsgemeinde in Magdeburg. Das Thema lautete „Kirche und Völkerverständigung“. Dehn, 46, dem zwei Jahre zuvor die Universität Münster die Ehrendoktorwürde verliehen hatte, sagte:
„Es ist allgemein üblich, dass von der Kirche der Tod fürs Vaterland unter das Bibelwort gestellt wird: ‚Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde‘. Wir wollen ganz gewiss diesem Tod seine Würde und auch seine Größe lassen; aber ebenso gewiss wollen wir auch die Wahrheit sagen. Es wird bei dieser Darstellung eben außer acht gelassen, daß der, der getötet wurde, eben auch selbst hat töten wollen. Damit wird die Parallelisierung mit dem christlichen Opfertod zu einer Unmöglichkeit.
Im Anschluss daran sollte man auch die Frage erwägen, ob es richtig sei, den Gefallenen Denkmäler in den Kirchen zu errichten. Sollte man das nicht vielleicht der bürgerlichen Gemeinde überlassen?“
Das reichte, um Günther Dehn als Vaterlandsverräter hinzustellen. Mit einem Schlag war er bekannt in ganz Deutschland: der „rote Dehn“. Die Deutschnationale Volkspartei Magdeburg-Anhalts trat eine Hetzkampagne los. Wochenlang hagelte es Zeitungsartikel und Drohbriefe. Völkische Verbände protestierten beim Konsistorium.
Zwei Jahre später kam es zum Hallischen Universitätskonflikt. Anfang 1931 wurde Günther Dehn der Lehrstuhl für Praktische Theologie in Halle / Saale übertragen. Der „Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, Hochschulgruppe Halle“ hatte schon Flugblätter drucken lassen. National gesinnte Verbände machten mobil und sorgten über mehrere Semester für Unruhe. Es kam sogar zu Ausschreitungen der Studenten auf dem Universitätsgelände. Die Professoren ließen schließlich ihre Unterstützung für Dehn fallen. Im Oktober 1932 wurde Dehn zunächst beurlaubt und im November 1933 völlig aus dem Staatsdienst entlassen. Seine Bücher waren schon im Mai 1933 auf dem Scheiterhaufen gelandet. Erst 1946, mit 64 Jahren, bekam er eine Professur in Bonn.
Das hatte der Pfarrer Günther Dehn vor 80 Jahren getan. Er hatte hinterfragt, ob Liebe und Nächstenliebe nicht instrumentalisiert werden für ganz andere Ziele.
Gott ist ein Lover, ein Liebhaber, habe ich in Amerika gelesen; wir können Liebhaberinnen und Liebhaber Gottes und der Menschen sein, so wie Jesus. Können wir unsere Bilder von Jesus beiseite schieben und ihn uns einmal so, ganz anders, vorstellen?
Jesus konnte Nähe und Offenheit zulassen; er hat sich verströmt. Er hat keine Angst vor Frauen gehabt. Maria Magdalena wurde in seiner Nähe gesund und später erste Zeugin der Auferstehung. Er scheute sich nicht zu zeigen, dass einer seiner Freunde ihm besonders nahe stand. Der „Lieblingsjünger“, vielleicht Johannes, lag beim Abendmahl an seiner Brust. Beim Abendmahl hat er Zärtlichkeit verschenkt und hat seinen Freunden die Füße gewaschen. Sich offen berühren und streicheln -zumal unter Männern – ist bis heute nicht selbstverständlich. Bei der Fußwaschung hat Jesus zudem die Grenzen von Rolle und sozialem Status überwunden. Den Gästen die Füße zu waschen war Aufgabe von Sklaven und Frauen. Jesus, der Liebhaber von Gott, läßt die Rollen hinter sich, er pendelt zwischen ihnen. Bleibt in meiner Liebe, gibt er uns mit auf den Weg, und: Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
Das Evangelium gilt uns als ganzen Menschen. Kirche ist nicht nur für den Kopf, sondern ist auch für Körper und Seele. Wir entdecken heute, wie befreiend das sein kann. Beim Kirchentag in Köln gab es erstmals ein „Zentrum Liebe“. Das Interesse daran soll erstaunlich gewesen sein und die Erwartungen der Veranstaltenden bei weitem überstiegen haben. Das Wort wurde Fleisch, heißt es am Anfang des Johannesevangeliums. Gott, das Wort, die Weisheit, bleibt nicht immateriell, sondern wurde und wird buchstäblich Fleisch, Körper, Leib. Liebe und Nächstenliebe braucht nicht nur etwas Spirituelles zu sein. Sondern Spiritualität ist eine Erfahrung, eine Lebensweise bis in unseren Körper hinein. Und wer liebt, verströmt sich automatisch nach außen.
Das bleibt das Ziel in der Kirche, nicht Machterhalt oder Gemeindegliederzahlen oder schmucke Gebäude. Kirche soll ein Ort sein, wo Himmel und Erde sich berühren, wenn Menschen erfahren: Ich bin geliebt und ich kann lieben. Nicht Sterben ist uns als christliche Pflicht aufgetragen, sondern Leben und Lieben.
„Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“ Amen.
Das Zitat von Günther Dehn habe ich entnommen: http://de.wikipedia.org/wiki/Günther_Dehn
Biografische Angaben finden sich weiterhin bei
/www.bautz.de/bbkl/d/dehn_g.shtml
http://www.archiv-ekir.de/dehn1_vorw.htm Ich habe profitiert von dem Artikel von Robert E. Goss über das Johannesevangelium in: The Queer Bible Commentary, London 2006, 548 – 565
Predigten in der Karwoche und zu Ostern
Siehe auch Predigten in der Friedensdekade
Weitere Predigten im Jahreslauf
9 Wie mich Gott geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe.10 Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich die Gebote Gottes gehalten habe und in ihrer Liebe bleibe.11Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde.12Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. 13 Es gibt keine größere Liebe, als das eigene Leben für die Freundinnen und Freunde hinzugeben. 14 Ihr seid meine Freundinnen und Freunde, wenn ihr handelt, wie ich euch gebiete.15 Ich nenne euch nicht mehr Sklavinnen und Sklaven, denn eine Sklavin weiß nicht, wie ihre Gebieterin handelt und ein Sklave kennt das Vorhaben seines Herrn nicht. Euch aber habe ich Freundinnen und Freunde genannt, denn ich habe euch alles, was ich von Gott, meinem Ursprung, gehört habe, mitgeteilt. 16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht tragt und eure Frucht bleibt, so dass euch gegeben wird, um was ihr Gott in meinem Namen bitten werdet. 17 Ich gebiete euch, dass ihr euch gegenseitig liebt! (Bibel in gerechter Sprache)