Jahreslosung: Liebe 2024

Liebe überwindet Grenzen. Agape – dieses griechische Wort verwendet die Bibel für ganz unterschiedliche Arten von Liebe. Jakob liebt Rahel (1. Mose 29,18), David liebt Jonathan (2. Samuel 1,26). Menschen lieben Gott oder das Geld (Kohelet 5,9). Alles ist Agape – oder eben auch nicht.
Die ersten Christ:innen haben es Agape genannt, wenn sie zusammen gegessen haben. Im 1. Korintherbrief wird das beschrieben. Sie haben sich abends nach der Arbeit getroffen und mitgebracht, was sie hatten. Sie haben geteilt, gebetet, in der Tora gelesen, Psalmen gesungen. Sie haben Brot gebrochen im Gedächtnis an Jesus und haben so wie er miteinander gegessen. Unsere Gottesdienste, unser Abendmahl ist aus dieser Agape entsprungen. Liebe und Liebesmahl, das war dasselbe. Weiterlesen

Halleluja und Amen: Vereinnahmung und Abwertung von jüdischem Glaubensgut durch christliche Tradition

In unseren Kirchen finden wir jüdische Symbolik. Das Tetragramm, die hebräischen Buchstaben יהוה für den Gottesnamen, war beliebt in Altären der Barockzeit. An der Kanzel sind jüdische Propheten dargestellt. In Gesangbuchliedern taucht der Gottesname auf („Dir, dir, Jehova, will ich singen“, im EG 328 schon ersetzt durch „du Höchster“). Amen, Halleluja, Messias – das sind Worte aus dem Hebräischen. Wie kommt es, daß unsere christlichen Tradition gleichzeitig über Jahrhunderte Antisemitismus befördert hat?
Ich glaube, es ist zweierlei passiert: Die Kirchen haben sich den jüdischen Glauben sowohl angeeignet und ihn gleichzeitig abgewertet. Weiterlesen

Anna selbdritt und die Großmütter (Hospiz-Einweihung)

Ich habe Ihnen ein Bild mitgebracht: Großmutter, Mutter und Kind. Großmutter Anna hält Maria mit dem Jesus-Kind in der Hand. Anna selbdritt wird so eine Darstellung in der Kunstgeschichte genannt. Es ist das Logo der Annenkirche in Annaberg-Buchholz. Die Annenkirche in Annaberg-Buchholz, erbaut in der Zeit des Silberbergbaus, ist die größte und prächtigste Kirche des Erzgebirges, Vorbild und große Schwester für viele Annenkirchen und -kapellen im Bergbaugebiet des Erzgebirges und ganz Mitteldeutschlands. Auch die Eislebener Annenkirche ist in dieser Zeit entstanden. Nach Anna soll das Hospiz benannt werden. Wer war sie? In der Bibel ist sie unbekannt. Weiterlesen

Du siehst mich

(Jahreslosung 2023) Niemand hat sich jemals für Hagar interessiert. Hagar musste nur ständig zu Diensten sein. Sieben Tage in der Woche, von frühmorgens bis zum späten Abend. Und auch nachts. Dem Hausherrn. Mit Billigung der Hausherrin. Oder sogar auf deren Anregung hin. Hagar sollte schwanger werden, und dieser Sohn sollte den Stammbaum der Familie begründen. Die Hausherrin war schon zu alt dafür. Hagar musste ein Kind zur Welt bringen, aber es würde ihr nicht gehören. Was sie dazu dachte, ihre Schmerzen und Träume – danach fragte niemand. Sie war eine Sklavin, eine ausländische noch dazu. Die Geschichte des Gottesvolkes beginnt mit Abraham, Sara und einer ägyptischen Sklavin als Leihmutter.
Gleich dreifach war Hagar abgehängt und unfrei: als Frau, als Ausländerin, als Sklavin. Weiterlesen

Die Heilung des Gelähmten als Männergeschichte

Es ist eine Männergeschichte. Jesus, der Gelähmte, die Freunde, die ihn tragen, die Schriftgelehrten – all die agierenden Personen sind Männer. Die Frauen, wenn sie denn im Haus sind wie zuvor die kranke Schwiegermutter des Petrus, bleiben im Hintergrund.

Und: die Geschichte ist merkwürdig stumm. Der Gelähmte sagt nichts, noch seine Freude. Wir hören nichts von seiner Not, keine Klage, keine Bitte, kein Hilferuf, keine Schilderung des langen Leidens und was sie vielleicht schon alles unternommen haben. Auch die Schriftgelehrten sagen nichts. Sie sprechen nicht aus, was sie denken. Ihr Widerstand bleibt stumm. Es wird viel geschwiegen in dieser Geschichte. Jesus ist der einzige, der redet. Weiterlesen

CSD: Männlich / weiblich / divers

Oft wird behauptet, dass es nach der Bibel zwei eindeutig getrennte Geschlechter gäbe. Dann wird meistens auf das 1. Kapitel der Bibel verwiesen, die Erschaffung der Welt: Da heißt es im Vers 27: „Gott schuf die Menschen zu seinem Bild, und schuf sie als Mann und Frau“. Die Kirche und auch die Gesellschaft, wird gefordert, soll endlich eine klare Ordnung in Mann und Frau in den Vordergrund stellen. Alles andere laufe dem Sinn der Bibel entgegen. Dieser Satz, Gott schuf die Menschen als Mann und Frau, wird als Waffe benutzt und allen entgegengehalten, die z.B. über Transition oder sich verändernde Geschlechterrollen nachdenken.
Doch er steht so gerade nicht in der Bibel. Im hebräischen Text heißt es stattdessen: Gott schuf sie männlich und weiblich. Also gerade nicht Mann und Frau. Weiterlesen

Himmel auf Erden

Heute ist Himmelfahrt. Wenn wir heute auf einem Berg sitzen oder im Freien Gottesdienst feiern, dann ist das schon ein Stück Himmel. Himmel auf Erden. Wir können frei atmen, hören die Vögel und das Rauschen der Blätter. Wir sehen, hören, fühlen die Schönheit der Natur um uns herum. Wenn wir sie mit allen Sinnen aufsaugen, dann staunen wir. Manchmal ahnen wir ein wenig davon, wie diese Erde, wie diese Welt gemeint ist: als Himmel auf Erden. Dann wissen wir wieder, dass die Welt aus einem Traum geboren ist, aus einem kostbaren, wundervollen Traum Gottes und der Menschen, aus einem Traum, der wirklich werden soll. Als Himmel hat Gott sich diese Erde ausgedacht. Das ist das Ziel unserer Welt. Weiterlesen

Reminiszere: Bleib bei mir

Bleib noch bei mir. Eltern kennen das flehentliche Bitten ihrer Kinder beim Zubettgehen. Abends lauern die Monster unter dem Bett. Wenn es dunkel wird, kriechen sie hervor und bedrohen die Kinder. Große Hunde, Spinnen und Gespenster können sie zu Tode ängsten und ihre Seelen erschrecken. Bleib bei mir, betteln die Kinder. Für sie sind die Monster real. Wenn eine Menschenseele in der Nähe ist, wenn wenigsten die Tür einen Spalt offen bleibt, erscheint die Gefahr weniger bedrohlich. Bleib bei mir. Das hilft.
Dass sie einsam und verlassen sind, damit haben nicht nur die Kleinen zu kämpfen. Auch Erwachsene fühlen sich oftmals ausgeliefert. Oder Kinder und Jugendliche, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Sie erleben, dass ihnen niemand glaubt. Niemand ist da, dem oder der sie sich anvertrauen können, der*die sie stärkt und ihnen Mut macht. Alle schauen weg. Sie stehen buchstäblich mutterseelenallein da. Weiterlesen

Gott* wird

Was für ein Name: Ich bin, der ich bin. Oder: Ich werde sein, die ich sein werde. Das ist eher ein Nicht-Name. Gott hat einen Nicht-Namen. Gott heißt nicht Allmächtiger. Oder Herr. Oder Jehova, was eine phantasierte Deutung der 4 hebräischen Buchstaben „Jahwe“, des Tetragramms darstellt. Als Mose am brennenden Dornbusch fragt, gibt Gott sich selbst einen Namen, der kein Name ist und der auch ganz verschieden aus dem Hebräischen übersetzt werden kann: Ich bin, ich werde sein, ich bin für euch da. Ich werde sein, die ich sein werde (2. Mose 3,14).
Ein Name ist immer etwas Festes und gibt einer Person ein Gesicht. Hinter ihrem Namen blitzt das Wesen einer Person auf. Davon waren die Leute früher überzeugt, und wenn sie den Namen herausbekamen, erfuhren sie zugleich, wie er oder sie ist. Wolfgang etwa, wie ein Wolf. Oder Traugott.
Gott gibt sich keinen festen Namen. Ich bin, der*die ich sein werde, das lässt Raum für Veränderung. Weiterlesen