Aussätzig? Danken?

Danke?

Sag schön danke! Kinder hassen diesen Satz. Aber sie haben keine Chance, und meistens sind sie ja gut erzogen. So pressen sie sich artig ein Dankeschön heraus und rennen mit dem neuen Spielzeug in der Hand davon. Warum nur bringen Eltern ihre Kinder immer wieder in solche peinlichen Situationen? Tante Elke oder Opa Herbert mögen ja viel ausgegeben haben. Aber reicht es nicht zu sehen, dass sich das Kind an dem Spielzeug freut (oder auch nicht)? Ist das nicht Dank genug?! Dass es für das Zusammenleben wichtig ist, sich zu bedanken, lernen Kinder doch genauso, wenn sie erleben, wie Mama oder Papa stellvertretend für sie ein paar herzliche Worte an Tante und Opa richten. Vielleicht können die Kinder sich sogar abgucken, wie es den Erwachsenen gelingt, mit Geschenken umzugeben, die zwar lieb gemeint, aber unpassend sind. Das Gegenüber nicht zu brüskieren ist auch eine Kunst.
Sag schön danke! Wer sich bei wem bedanken soll, das hat auch mit Macht zu tun. Es legt offen, wer abhängig ist, im kleinen wie im großen. „Die Schwarzen in Afrika“ sollen dankbar sein für unsere Entwicklungshilfe. Ob sie sich eine Maßnahme gewünscht haben, ob sie sinnvoll ist oder ob sie nicht sogar neokoloniale Abhängigkeiten verstärkt, wird bis heute nicht immer diskutiert. Geflüchtete sollen froh sein, dass sie hier leben, und sich nicht noch beschweren. Hartzer sollen endlich mal arbeiten lernen. Behinderte, Transsexuelle, Alleinerziehende – habt euch nicht so! Wir haben schon genug für euch getan. Es reicht jetzt einmal. (Übrigens auch in der Kirche.)
Wer gibt, will meistens auch bestimmen. Grundlegende Rechte werden als großzügige Gaben verkauft, als seien sie Almosen. Die Privilegierten geben stolz bekannt, wie sie für mehr Fortschritt, für mehr Gerechtigkeit gesorgt haben. Dabei sind sie sich nicht einmal bewusst, dass sie privilegiert sind und was ihnen alles in den Schoß gefallen ist qua sozialer Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht.
Muss ich für Gleichberechtigung dankbar sein? Sag schön danke – statt grundlegende Rechte einzufordern?

Danke!

Sommer 2020. Im Krankenhaus arbeiten sie am Limit. Das Fernsehen zeigt manchmal Bilder aus der Intensivstation. Geräte piepsen und blinken. Eine Person liegt an Beatmungsschläuchen im Bett. Sie vom Rücken auf den Bauch zu drehen dauert eine halbe Stunde und ist Präzisions- und Schwerstarbeit zugleich. Unter der Schutzkleidung läuft ihnen der Schweiß in Strömen, berichten Pflegekräfte in Interviews. Sie erzählen, wie sie sich freuen, wenn sie Kranke auf die Normalstation verlegen können. Wie es ihnen wehtut, wenn jemand stirbt. Dass jetzt viel mehr sterben als vorher. Und dass sie alle gleich behandeln. Auch die, die bis zuletzt nicht daran glauben, dass sie Corona haben, und die Laborergebnisse für gefälscht halten. Sie helfen allen. Schwierig, ja schwierig sind immer wieder die Angehörigen. Manche beschimpfen das Personal.
Danke?

Aussätzig

Ausgegrenzt. Draußen sein – das tut weh. Dass sie ausgestoßen werden, das erleben Menschen aus den verschiedensten Gründen. Wer im Rollstuhl sitzt, transsexuell ist oder eine dunkle Hautfarbe hat, hat mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit genügend Erfahrung mit Diskriminierung gesammelt.
Die Konsequenzen sind unterschiedlich. Bei manchen wird „nur“ das Selbstbewusstsein ausgehöhlt, das soziale Umfeld distanziert sich von ihnen, sie kommen beruflich nicht voran. Anderen werden ihre Rechte verweigert. Manche können sich ihres Lebens nicht sicher fühlen. Leider hat in der Vergangenheit auch die Kirche beigetragen, Menschen zu diskriminieren, z.B. geschiedene Frauen und ledige Mütter. Jeder, wirklich jeder kleinste Fortschritt musste mühsam erkämpft werden.
Inzwischen scheint der Titel diskriminiert für manche zu einer Art Ehrenzeichen geworden zu sein. Leute recken voller Stolz Schilder mit dem Gelben Stern in die Höhe, wenn sie durch die Innenstädte spazieren und sich vor den Kameras präsentieren. Diskriminiert sein ist das neue „in“? Dabei interessiert es nicht, was es wirklich bedeutete, jüdisch zu sein im Nationalsozialismus. Oder als Transe oder Scheiß-Ausländer verprügelt zu werden.
Die Aussätzigen bei Jesus hielten sich übrigens an die Regeln bei ansteckenden Krankheiten. Und Jesus auch. Als Leprakranke isolierten sie sich. Und Jesus schickte sie zu den Priestern zur offiziellen Begutachtung, dass sie die Infektion nicht mehr weitergeben können.
Diskriminierung verschwindet nicht einfach so. Die Verhältnisse ändern sich nicht im Selbstlauf. Sondern es sind viele Anläufe nötig. Nicht nur die sogenannten Betroffenen müssen sich immer wieder rühren. Sondern es bedarf vieler Menschen, die sich einsetzen, sich solidarisieren und Öffentlichkeit herstellen. Und nicht die als aussätzig Geltenden müssen geheilt werden, sondern ihre Umgebung. Also die Nicht-Aussätzigen. Die Mehrheit. Wir.

Danke an alle, die dafür immer wieder Mut und Kraft aufbringen.

 

Die zehn Dankbaren von Sangerhausen

Die Rentnerin Almawine A beobachtet am Fenster den Sonnenaufgang am 10. September und freut sich, daß sie noch lebt.
Bella – Babett B hat einen Kurs in Notfallseelsorge besucht und trägt sich für den Bereitschaftsdienst im Kriseninventionsteam ein.
Die Ärztin Cordula C spendet ihren Körper nach ihrem Tod für die medizinische Ausbildung.
Die Verkäuferin Dolores D, im 6. Monat schwanger, kann immer noch kaum glauben, daß es endlich geklappt hat mit der In-Vitro-Fertilisation, und streichelt behutsam mit den Händen über ihren Bauch.
Ehepaar Eggebrecht-Eisentraut hat Augustäpfel übrig und bringt sie mit in die Kirche.
Friedrich F fängt mit seiner Kamera einen Regenbogen ein und schickt das Foto an die Mitteldeutsche Zeitung.
Grindolin G, seit einem halben Jahr Witwer, stellt Blumen auf das Grab seiner Frau und weint.
Der Schüler Hannes H bettelt seit Wochen bei seinen Eltern, daß sie ihn  im Ballett der Musikschule anmelden. Als sie endlich unterschreiben, schlägt er mitten in der Küche begeistert ein Rad.
Isidore I setzt sich am Wochenende in die Kirche, weil sich niemand anderes eingetragen hat.
Der kleine Karl – Konstantin K gibt seiner Mama einen dicken Kuß.

 

Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis zu Lukas 17,11-19

Weitere Predigten in der Trinitatiszeit
Übersicht über die Predigten im Jahr
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Andere Predigt zu Lk 17,11-19: Fünf Häute und zehn Prozent

Lukas 17,11-19 Es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog. 12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne 13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! 14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. 15 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme 16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. 17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? 18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde? 19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

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