Wichern erfindet den Adventskranz

In Hamburg lebte vor etwa 200 Jahren Johann Hinrich Wichern. Er war Lehrer in der Sonntags-Schule. Dort unterrichtete er Kinder, die sehr arm waren. Ihn bedrückte, was sie zuhause erlebten:
Sie haben nicht genug zu essen.
Sie werden geschlagen.
Die Eltern sind betrunken und kümmern sich nicht um die Kinder.
Die Kinder verkümmern in den engen Wohnungen.
Manchmal rief jemand die Polizei. Die brachte die Kinder in ein Waisenhaus. Dort mussten die Kinder hart arbeiten und wurden grob behandelt. Wenn sie wegliefen, wurden sie verprügelt.
Es muss etwas anderes geben für sie, überlegte Johann Hinrich Wichern.
Ich bräuchte ein Rettungshaus für diese Kinder.
Ein Rettungshaus für Kinder, in dem sie sicher und glücklich aufwachsen –  diese Idee ging Wichern nicht mehr aus dem Kopf.

1. Advent mit dem Wichern-Adventskranz

Davon träumte er auch, als er eines Tages zum Hafen spazierte und die Schiffe beobachtete. Aus fernen Ländern segelten sie über den Ozean bis nach Hamburg. Welche kostbare Ladung mochten sie wohl in ihrem Bauch tragen? Der Wind blähte die Segel am Mast und trieb die Schiffe ans Land. Die Matrosen warfen die Anker, die Schiffe schaukelten am Kai. Seeleute rollten Fässer über Stege hinab und schleppten Ballen heraus.
Wie schön wäre es, wenn einmal ein Schiff voller Hoffnung und Liebe käme, träumte Johann Hinrich Wichern. Ein altes Adventslied fiel ihm ein. Seine Mutter hatte es ihm vorgesungen. Es steht auch in unserem Gesangbuch Nr. 8.
[Gemeindelied: EG 8,1-4: Es kommt ein Schiff]

Warum sollen Träume nicht wahr werden? Johann Hinrich Wichern beschloss:
Ich gründe ein Rettungshaus für Kinder.
Er fragte die reichen Hamburger Kaufleute und ein paar Handwerker, die er kannte, ob sie ihm Geld geben. Dann kaufte er ein Haus. Er nannte es: Das Rauhe Haus.
Vor dem Einzug riss er die Zäune und Mauern um das Grundstück ab. Die Nachbar:innen wunderten sich:
Die Kinder reißen doch aus!
Du musst sie einsperren!
Sie haben schon zu viel angestellt.
Sie sind bockig und hinterhältig.
Aber Johann Hinrich Wichern widersprach:
Die Kinder sollen gern hier sein. Dann laufen sie auch nicht weg.
Wichern behielt recht. Die Kinder fühlten sich im Rauhen Haus wohl. Sicher ging manchmal eine Fensterscheibe zu Bruch. Doch  selbst die schwierigen Kinder lebten in Wicherns Rettungshaus auf. Sie lernten, freundlich miteinander zu sein.

Wie das Kind, das von zuhause nur Streit kannte. Als es in das Rauhe Haus aufgenommen wurde, hatte es Angst, dass es bestraft wird. Es hatte schon viel falsch gemacht. Es trug zerlumpte Kleider und traute sich gar nicht hinein. Doch Wichern ging freundlich auf das Kind zu. Er streckte ihm die Arme entgegen und sagte:
„Mein Kind, dir ist alles vergeben. Sieh um dich her, in was für ein Haus du aufgenommen bist. Hier ist keine Mauer, kein Graben, kein Riegel. Nur mit einer Kette binden wir dich hier, diese heißt Liebe. Und was wir fordern, ist, dass du Liebe übst gegen Gott und die Menschen!“
Danach bekam es neue Kleidung.
So wurde jedes Kind aufgenommen.

Auch im Rauhen Haus waren die Kinder fleißig. Vormittags lernten sie. Am Nachmittag fegten sie ihre Zimmer aus und sie mussten ihre Kleidung selbst flicken. Sie halfen im Garten, bauten Gemüse an und ernteten das Obst von den Bäumen. Im Herbst feierten sie das Apfelfest. Sie arbeiteten viel und feierten viel. Geburtstag, Ostern, Pfingsten. Am meisten freuten sie sich auf Weihnachten. Wenn Ende November die Herbststürme durch Hamburg fegten, begannen die Kleinsten zu fragen:
Wann ist endlich Weihnachten?
Jedes Jahr konnten es die Kinder kaum aushalten.
Wann ist endlich Weihnachten?
Im Jahr 1839 ließ sich Johann Hinrich Wichern etwas einfallen. Eine Überraschung für die Kinder. Am 1. Advent sollten alle staunen.
Als die Kinder frühmorgens aufstanden, versammelten sie sich  zur Morgenandacht vor dem Betsaal des Rauhen Hauses, so wie an jedem Sonntag. Doch heute blieb die Tür  zum großen Betsaal noch geschlossen. Johann Wichern sprach den Psalm aus der Bibel für den ersten Advent.
Wir wollen das auch tun. Er ist im Gesangbuch unter der Nummer 2 abgedruckt.
[Gemeinde betet gemeinsam aus Psalm 24]
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch. Johann Hinrich Wichern fragte die Kinder: Welches Lied passt zu diesem Psalm? Die Älteren wussten es:  Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.
Wir wollen es zusammen singen, im Gesangbuch Nummer 1.
[Gemeindelied EG: 1,1 Macht hoch die Tür]

Gespannt warteten die Kinder vor dem Betsaal des Rauen Hauses. Endlich öffnete Johann Hinrich Wichern die Tür. Im Dämmerlicht spähten die Kinder in den Saal:
Oben an der Decke hängt ein riesiger runder Reifen.
Ein Wagenrad.
Auf dem Wagenrad leuchtet eine Kerze.
Die Kinder freuten sich, wie die Kerze in dem dunklen Saal leuchtete:
So schön sah es im Betsaal noch nie aus.
Dann entdeckten sie:
Auf dem Wagenrad sind noch mehr Kerzen.
Sie sind aber nicht angezündet.
4 dicke weiße Kerzen.
Dazwischen stehen rote.
Johann Hinrich Wichern erklärte: Heute ist erster Advent. Jetzt ist es noch dunkel. Nur das erste Adventlicht leuchtet. Morgen früh treffen wir uns wieder, singen ein Lied und zünden noch eine Kerze an. Übermorgen die dritte, die ganze Adventszeit hindurch. So könnt ihr wissen, wie lange es noch bis Weihnachten ist. Am Heiligabend leuchtet das ganze Rad und der Betsaal erstrahlt im Licht der Kerzen.

Und so erfand Johann Hinrich Wichern 1839 den Adventskranz. Jeden Tag hielten Kinder und Erwachsene eine Andacht und sangen Adventslieder. Jeden Tag wurde ein Licht mehr angezündet, bis Weihnachten kam. Die Kinder haben so erlebt: Gottes Licht kommt zu uns. Und jeden Tag wird es ein bisschen heller, im Rauhen Haus und im Leben.

[Wichern zündet die erste Kerze am Adventskranz an]

Ein Wagenrad mit 24 Kerzen – das wäre bei euch im Wohnzimmer viel zu gefährlich. Deshalb hat heute jeder Adventskranz vier Kerzen, für jeden Sonntag eine. Das Rauhe Haus in Hamburg gibt es immer noch. Und im ganzen Land gibt es Kindereinrichtungen, Frauenhäuser und Beratungsstellen der Diakonie, wenn Kinder und Eltern Hilfe brauchen.

 

Szene zum Vorlesen oder Spielen im Familiengottesdienst am 1. Advent
Mögliche Mitspielende / Mitlesende: Wichern, Nachbar:innen, Kind beim Aufnahmeritual, Kinder des Rauhen Hauses. Die kursiv gedruckten Sätze können von ihnen übernommen werden.

Ablauf des gesamten Familiengottesdienstes:
Musik zu Beginn, Begrüßung, Gebet
Erzählung / Spielszene mit
Lied EG 8,1-4 Es kommt ein Schiff, geladen
Psalm 24,7-10
Lied EG 1,1 Macht hoch die Tür
Anzünden der ersten Kerze am Adventskranz durch Wichern
Lied EG 17,1 Wir sagen euch an
Gebet, Vaterunser, Segen
Lied EG 1,2-5
Musik zum Ausgang

Der vollständige Text des Aufnahmerituals im Rauhen Haus lautet: „Mein Kind, dir ist alles vergeben. Sieh um dich her, in was für ein Haus du aufgenommen bist. Hier ist keine Mauer, kein Graben, kein Riegel, nur mit einer schweren Kette binden wir dich hier, du magst wollen oder nicht, du magst sie zerreißen, wenn du kannst, diese heißt Liebe und ihr Maß ist Geduld. Das bieten wir dir, und was wir fordern, ist zugleich das, wozu wir dir verhelfen wollen, nämlich, dass du deinen Sinn änderst und fortan dankbare Liebe übest gegen Gott und den Menschen!“

 

Zum Weiterlesen:
Predigt: Johann Hinrich Wichern und der Adventskranz
Andacht: Happy Birthday, Adventskranz!
Weitere Predigten in der Adventszeit
Weitere Spielszenen in Gottesdiensten
Zur Übersicht über das gesamte Kirchenjahr

 

Ein Gedanke zu “Wichern erfindet den Adventskranz

Hinterlasse einen Kommentar