Erntedankfest mit Wein

Zum Erntedankfest stehen in vielen Kirchen Brot und Wein auf dem Altar. In unserer Kirche sind sogar die Pfeiler mit Weinlaub bemalt. Es rankt sich in die Höhe und trägt Blätter, Blüten und Früchte. Eine pralle Weintraube, das ist wie ein Traum. Davon erzählt auch die Bibel. Der Traum beginnt in Ägypten, in einer bitteren Zeit voller Tränen und Unterdrückung. Dort hatte der Pharao  die Israelit:innen versklavt. Sie stöhnten unter der Zwangsarbeit. Und Gott hörte ihre verzweifelten Klagen. Ich führe euch in die Freiheit, versprach er. Ich bringe euch  in ein Land, in dem ihr sicher leben könnt, ein Land, so fruchtbar, daß Milch und Honig darin fließen. Das gelobte Land. Gott  half dem Volk, der Sklaverei zu entrinnen. Mit Mose und Miriam flohen sie vor dem Pharao und zogen trockenen Fußes durchs Schilfmeer. Die Israelit:innen  waren frei. Aber das Land, von dem sie träumten, lag noch in weiter Ferne. Lange, lange  wanderten sie durch die Wüste.

In der Bibel lesen wir: Endlich kamen sie ganz nahe an das Land heran, das Gott ihnen versprochen hatte. Voll Freude hielten sie an, schlugen ihre Zelte auf und schauten sehnsüchtig zu den Bergen hinüber. Hinter den Bergen lag das Land Kanaan. Nicht mehr lange, so hofften sie, dann sind wir am Ziel. Dann kommen wir in das Land, „wo Milch und Honig fließt“! Ob das Land wirklich so schön war, wie alle sagten? Ob es dort auch genug zu essen gab? Die Israeliten wollten es gerne vorher wissen.
Da rief Mose zwölf Leute zu sich und befahl ihnen: „Geht über die Berge und seht euch heimlich in dem neuen Land um! Schaut euch die Menschen und ihre Städte an! Seht und erkundet, was dort in dem Land wächst! Dann kommt zurück und sagt uns, was ihr gesehen habt!“
Da machten sie sich auf den Weg, zogen über die Berge und blieben lange Zeit weg. Nach vierzig Tagen kehrten sie endlich zurück. Aber wie staunten die Leute, als sie die Heimkehrer sahen! Auf ihren Schultern trugen sie eine Stange, daran hing eine riesige Weintraube. In ihren Händen hielten sie frische Früchte, Granatäpfel und grüne Feigen. „Seht her!“, riefen die zwölf. „So üppige Früchte wachsen in diesem Land. Es ist wirklich ein Land, wo ‚Milch und Honig fließt‘!“ (4. Mose 13, in Anlehnung an Neukirchener Kinderbibel S. 86 und Neukirchener Erzählbibel S. 68 f.)

Ich weiß nicht, wem das Wasser im Mund mehr zusammengelaufen ist, als die Leute mit dieser riesigen Weintraube zurückkamen, den Kindern oder den Erwachsenen. Jedenfalls haben alle glänzende Augen bekommen. Im Grunde waren sie nur ein abgerissener Haufen von Sklavenfamilien, bettelarm, dem Pharao weggelaufen und dem Tode entronnen. Von der langen Wanderung durch die Wüste sahen sie bestimmt ziemlich mitgenommen und staubig aus. Und nun: Weintrauben, Granatäpfel, Feigen. Ein Land, das üppige Früchte hervorbrachte, lag vor ihnen. Es bot genügend Raum zum Leben für alle. Was Gott versprochen hatten, breitete sich überreichlich vor ihnen aus und brachte ihre Gesichter zum Strahlen: Nie mehr Hunger. Kein Pharao. Keine Sklavenarbeit. Freiheit. Genug zu essen in Hülle und Fülle.  Ein Traum lag greifbar vor ihnen.

Diese Geschichte ist nicht passiert. Die Menschen haben sie sich trotzdem erzählt und in die Bibel geschrieben. Denn solche Erfahrungen haben sie immer wieder gemacht. Bis heute erleben Völker bittere Not, Unterdrückung und Unfreiheit. Bis heute verlassen Familien ihre Heimat, irren umher wie die Israelit:innen in der Wüste und suchen Orte, wo sie sich niederlassen können und sicher sind.

Die Bibel will uns erzählen: Genügend Raum zum Leben für alle, ein Land, das üppig Früchte trägt, das bietet die Erde auch heute. Die Erde bringt reichlich hervor, was wir brauchen. Sie nährt Pflanzen, Tiere und Menschen. Es kann es ein gutes Leben für uns geben, für alle Menschen und für alle Völker. Die Erde soll ein gelobtes Land sein, in dem Milch und Honig fließen und alle ihr Auskommen haben. Wir brauchen keine Mauern und keinen Stacheldraht.

Erntedank erinnert uns daran, wie Gott sich die Erde ausgedacht hat und wie schön sie werden kann, wenn wir dabei mit Hand anlegen. Wir können behutsam mit ihr umgehen und sie bewahren. Wir können der Gerechtigkeit zum Recht verhelfen, in unserem Land und zwischen Nord und Süd. Unsere Würde leuchtet auf, wenn wir dabei mitmachen. Wir können  das Paradies zum Blühen bringen und miteinander das gute Leben teilen. Die Weinranken an den Pfeilern erinnern uns jeden Sonntag daran.

 

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