Halleluja und Amen: Vereinnahmung und Abwertung von jüdischem Glaubensgut durch christliche Tradition

In unseren Kirchen finden wir jüdische Symbolik. Das Tetragramm, die hebräischen Buchstaben יהוה für den Gottesnamen, war beliebt in Altären der Barockzeit. An der Kanzel sind jüdische Propheten dargestellt. In Gesangbuchliedern taucht der Gottesname auf („Dir, dir, Jehova, will ich singen“, im EG 328 schon ersetzt durch „du Höchster“). Amen, Halleluja, Messias – das sind Worte aus dem Hebräischen. Wie kommt es, daß unsere christlichen Tradition gleichzeitig über Jahrhunderte Antisemitismus befördert hat?
Ich glaube, es ist zweierlei passiert: Die Kirchen haben sich den jüdischen Glauben sowohl angeeignet und ihn gleichzeitig abgewertet. Weiterlesen

Keine Diskriminierung!

Wie versteinert stand Emma da. Wieder einmal hatten sie ihr das hässliche Wort an den Kopf geworfen. Wieder einmal hatten sie ihr klargemacht: Du gehörst nicht dazu. Manchmal war es nur ein Blick, der Emma traf. Oder Leute drehten sich weg und grinsten sich an, wenn sie vorbeikam. Tausend kleine Nadelstiche hatten Emma gelehrt, dass sie anders war. Hier würde sie nie die gleichen Chancen haben. Sie würde nie so selbstverständlich über die Straßen bummeln können wie andere. Emma musste immer darauf gefasst sein, dass irgendwer ihr hinterherstarrte. Irgendwer, der sie nicht einmal kannte. Oder ausspuckte. Dabei war sie ein Mensch wie alle anderen auch. Weiterlesen

Reformationstag: Rabbi Jesus

Ich habe ein Bild mitgebracht. Es zeigt einen jüdischen Rabbi oder Rabbiner, also einen jüdischen Gelehrten, Lehrer, Theologen, Ausleger der Schrift. Er trägt seinen Gebetsmantel, den Tallit, an dessen vier Enden sich die Zizit, Schaufäden oder Quasten, befinden. Den legt er morgens an, wenn er betet, und er trägt ihn, wenn er in der Synagoge aus der Tora vorliest und sie auslegt.
Einen Abschnitt aus der Tora haben wir eben gehört, und gerade dieser Abschnitt hat für den jüdischen Glauben eine besondere Bedeutung. Weiterlesen

Der Schwarze König – Krippe ohne Rassismus

Die drei Könige fehlen seit 2020 an der Weihnachtskrippe im Ulmer Münster. Der Schwarze König war voller Klischees: ohne Schuhe, krumme Beine, unförmige Gestalt, eine groteske Körperhaltung. Er könnte aus den Völkerschauen stammen, die zu Ende des 19. Jahrhunderts veranstalten wurden und in denen Menschen aus Afrika und anderswo wie im Zoo ausgestellt wurden, als wilde, exotische und ungebildete Menschen. Weiterlesen

Umkehr zum Frieden

Umkehr zum Frieden, lautet das Motto der Friedensdekade. Umkehr zum Frieden ist die Aufgabe, wenn ein Krieg zu Ende ist. Bei Kriegsende ist ja noch lange nicht Frieden. Die Straßen stehen voller Ruinen, und auch die Menschen sind beschädigt und verstört und verbogen. So haben es die Älteren nach dem 2. Weltkrieg erlebt, so sehe ich es in vielen Ländern, die einen Bürgerkrieg hinter sich haben oder ein verbrecherische Regierung abgeschüttelt haben.
Wenn die Waffen endlich schweigen, wird wieder aufgebaut. Häuser und Geschäfte, Straßen und Brücken. Das lässt sich reparieren. Aber der Krieg hat sich auch in die Seelen eingegraben. Weiterlesen

Jom Kippur und Mansfeld-Südharz

Ein Jahr ist der Anschlag von Halle jetzt her. Am 9. Oktober 2019 griff ein junger Mann aus unserem Landkreis die Synagoge an, tötete zwei Menschen und verletzte andere. Den Tag hatte er bewußt gewählt: Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag. Er hat sich intensive mit dem jüdischen Glauben beschäftigt. Aber nicht, um Brücken zu schlagen, sondern aus Haß. Der Antisemitismus, den christliche Kirchen Jahrhundert um Jahrhundert gepredigt haben, wirkt weiter. Weiterlesen

Frauenmahl in Bremen

Ich bin Pfarrerin und von mir wird erwartet, daß ich nicht irgendwelche Geschichten erzähle, sondern ich soll mich mit der Bibel beschäftigen. Ziemlich langweilig, finden manche. Alt und abgestanden. Ziemlich langweilig, seufze auch ich oft, wenn ich die Bibel aufschlage und den Abschnitt durchlese, über den ich zu predigen habe. Hundertmal gehört, von Kindesbeinen an, und ziemlich viele Verbote. Manchmal ärgere ich mich. Zum Beispiel: warum kommen keine Frauen vor, wenn von der Heilung eines gelähmten Mannes erzählt wird? Weiterlesen

Steine zu Brot

Jesus fastet in der Wüste und wird danach versucht. „Sprich, dass aus diesen Steinen Brot wird.“ (Matthäus 4,3)  Der Hunger macht ihn wehrlos. Wenn Menschen halbverhungert sind, sind sie zu fast allem bereit. Bei Jesus waren es 40 Tage. Da schreit jede Faser nach Brot. Wenn die Armut und das Elend in den Ecken hocken, folgen die Menschen jedem, der ihnen verspricht, sie da herauszuholen. Hunger  und Not sind große Künstler, die Sinne zu vernebeln. Glücksritter und Volksverführer finden willige Gefolgschaft. So stimmen die Abgehängten für Parteien, die Wohlstand und Aufschwung versprechen. An den Rand Gedrängte bejubeln Wortführer, die gegen Minderheiten hetzen. So übermächtig ist ihre Hoffnung, dass sie sogar alle verjagen, die sie zur Vernunft mahnen. Dass der Reichtum keineswegs den Armen winkt, sondern im Gegenteil auf ihre Kosten erkauft wird, wollen sie nicht hören. Sie können es nicht hören. Hunger kann den Verstand vernebeln. Weiterlesen