Gastfreundschaft spielt auch in Tansanie eine große Rolle. Jesus schildert, wie Gäste nachts vor der Tür stehen. Alles wird in Bewegung gesetzt, um sie aufzunehmen und zu bewirten. Notfalls wird sogar die Nachbarschaft aufgeweckt. Das könnte auch in Tansania passiert sein.
Fremde aufnehmen ist eins der Werke der Barmherzigkeit. Wer Menschen aufnimmt, gibt nicht nur, sondern empfängt machmal sehr viel. Es ist interessant, was Fremde aus der Ferne zu erzählen haben. Der Horizont weitet sich. Vielleicht wächst sogar eine Freundschaft aus dem Besuch. Oder eine alte Verbindung lebt auf. Gastfreundschaft ist in vielen Ländern ein hohes Gut. Manche finden, daß wir uns in Deutschland eine dicke Scheibe abschneiden können.
Anders als in der Geschichte aus dem Lukas-Evangelium sind die meisten Leute in Tansania heute nicht so bettelarm. Bei Jesus herrscht solche Armut, daß keinerlei Vorräte im Haus sind und auch keinerlei Geld. Der Gastgeber muß bei seinem Freund ausleihen. Er kann es ihm also nicht einmal bezahlen.
Entwicklungshilfsorganisationen haben in den letzten zehn, zwanzig Jahren intensiv über ihre Rolle und über das Verständnis von Partnerschaft nachgedacht, auch im kirchlichen Bereich. Nicht nur in Tansania kamen Missionswerke meistens zusammen mit der Kolonialherren ins Land oder wurden von ihnen unterstützt. Heute verstehen wir Partnerschaft anders, nicht als Einbahnstraße, sondern als gegenseitiges Geben und Nehmen. “Helfen” kann auch zu einem Gefälle zwischen Menschen und Ländern führen. Da oben, das sind die Starken, Guten, unten die Schwachen, die Führung und Leitung brauchen. Die, die helfen, sind stark und mächtig, die anderen ohnmächtig. Es geht beim Helfen auch um Macht. Dieses Machtgefälle muß aufgebrochen werden.
Früher sind Leute “zum Helfen” nach Afrika gegangen. Heute kommen Freiwillige und arbeiten bei uns mit. Salome, die Hebamme und Krankenschwester aus dem Lugala-Hospital, ist im Rahmen des Entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes ein Jahr in Roßla gewesen; einige von Ihnen haben sie kennengelernt. Das Lutherische Missionswerk, das den Freiwilligendienst organisiert, wird erst dann mehr deutsche Jugendliche nach Tansania, Indien oder Papua-Neuguinea schicken, bis genausoviel junge Leute aus diesen Ländern für ein Jahr zu uns kommen. Das Lutherische Missionswerk hat ein Begegnungsprogramm “Mission in den Norden” (Mission to the North) aufgelegt. Statt “denen in Afrika” etwas beizubringen, fragen wir gegenseitig: Was können wir voneinander lernen?
Jesus fragt weiter: Welche Eltern bieten ihrem eigenen Kind eine Schlange an, wenn es um einen Fisch gebeten hat, oder einen Skorpion, wenn es nach einem Ei gefragt hat. Das wäre ja absurd.
Vergiftete Gaben, Schlangen und Skorpione, Steine statt Brot haben die Länder Europas nach Afrika, Asien oder Lateinamerika gebracht. Auch die Kirchen haben ihnen eine europäische Art zu glauben und zu leben einfach übergestülpt. Ihre “Hilfe” hat die Würde der Menschen und ihre Traditionen nicht geachtet, sondern sie als rückständig und abergläubisch abgewertet. Sie haben ihre Kulturen zerstört und europäische Maßstäbe als die alleinigen, christlichen dargestellt. Vergiftete Gaben, Schlangen und Skorpione, auch bei manchem, was gut gemeint war.
Oranisationen wie “Brot für die Welt” verstehen sich heute anders. Sie wollen darauf hören, was die Menschen brauchen, sie wollen unterstützen, ihre eigenen Wege zu finden. Sie wollen die Menschen des globalen Südens hören und ihnen eine Stimme verleihen, wenn sie heute nach Brot, nach Fisch und Ei rufen. Und sie setzen sich dafür ein, daß – um bei Fisch und Ei zu bleiben – Fischbestände geschont und lokale Hühnerzucht und Eierproduktion gefördert werden.
Vom 9. bis 13. März 2018 trafen sich in Arusha in Tansania 1000 Delegierte auf einer Konferenz des Ökumenischen Rates der Kirchen. Zum Ende der Konferenz haben sie einen “Aufruf zur Nachfolge” verfaßt. Worum die Delegierten in Arusha uns alle bitten, das ist für mich das Ei und der Fisch, nach dem die Kinder in dem Gleichnis von Jesus damals rufen. [einzelne Auszüge]
– Wir mussten klar erkennen, dass die schockierende Anhäufung von Reichtum durch ein einziges globales Finanzsystem einige wenige Menschen sehr reich und sehr viele sehr arm macht.
– Das weltweite imperiale System hat den Finanzmarkt zu einem Götzen unserer Zeit gemacht und die Kulturen der Vorherrschaft und der Diskriminierung gestärkt, die weiterhin Millionen von Menschen gesellschaftlich marginalisieren und ausschließen.
– Wir sind aufgerufen, uns um die Schöpfung Gottes zu kümmern und solidarisch mit Nationen zu sein, die vom Klimawandel stark betroffen sind, angesichts der rücksichtslosen Ausbeutung der Umwelt durch menschliche Gier und Konsumismus.
– Wir sind berufen, zusammen in einer gerechten und inklusiven Gemeinschaft zu leben …in einer Welt, die auf Marginalisierung und Ausgrenzung beruht.
– Wir sind berufen, im Dialog mit Menschen anderer Glaubensrichtungen treue Zeugen der verändernden Liebe Gottes in einer Welt zu sein, in der die Politisierung religiöser Identitäten oft Konflikte verursacht.
– Wir sind berufen, als dienende Leiter zu wirken, die auf den Weg Christi in einer Welt hinweisen, die Macht, Reichtum und Geldkultur privilegiert.
– Wir sind aufgerufen, Mauern einzureißen und Gerechtigkeit für Menschen zu suchen, die enteignet und aus ihrem Land vertrieben wurden, einschließlich Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende, und uns neuen Grenzen und Rändern zu widersetzen, die trennen und töten.
– Wir sind aufgerufen, dem Weg des Kreuzes zu folgen, der elitäres Verhalten, Privilegien, persönliche und strukturelle Gewalt in Frage stellt. *
Welche Eltern bieten ihrem eigenen Kind eine Schlange an, wenn es um einen Fisch gebeten hat, oder einen Skorpion, wenn es nach einem Ei gefragt hat? Jesus bringt das, worum Menschen bitten, in Zusammenhang damit, wie Gott auf unsere Gebete reagiert. Er geht davon aus, daß Gott den Menschen hilft, so wie Kinder Gutes bekommen, die ihre Eltern um Hilfe bitten. Nicht Schlange oder Skorpion, sondern Fisch und Ei.
Die Menschen und Völker des globalen Südens warten darauf, daß wir solidarisch sind. Ich bitte darum, daß wir sie hören, so wie Gott unsere Gebete hört.
Predigt am Tansania-Sonntag Rogate über Lukas 11,5-13
* Der Aufruf zur Nachfolge aus Arusha ist im Original in Englisch. Auf verschiedenen Websiten wird daraus zitiert, z.B. livenet.ch/magazin/international/afrika/325234-vom_geist_bewegt_zu_verwandelnder_nachfolge_berufen.html oder lmw-mission.de/nachricht-192.html
Andere Predigt zu Lukas 11,5-13 und 18,1-7: Beten: die unverschämten Forderungen der Armen
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Liturgischer Impuls zu Psalm 22 aus Tansania
Wer so schreit, hat Achtung vor einer Frau.
Ein Schrei ist zu hören: O Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,
wo ich so viel leiden muss?
Wer immer so schreit, hat Achtung vor einer Frau.
Wer da schreit , ist ein Mann, ein Messias,
der den Schoß seiner Mutter achtet; den Schoß, der Ihn nährte mit Schöpferkraft.
Wer immer so schreit, hat Achtung vor einer Frau.
Ihr Schoß wurde zum Mutterschoß, und sie gebar einen Messias.
Er wurde geboren, die Welt zu retten, Gottes Liebe zu erfüllen.
Wer immer so schreit, hat Achtung vor einer Frau.
Das Kind wurde kräftiger, der Körper wuchs beständig
dank der Mutter des Messias und ihrer Brust, die ihn stillte.
Er preist die Brüste und den Schoß, der ihn gebar.
Wer immer so schreit, hat Achtung vor einer Frau.
Frau
Säule der Errettung, Heil für alle Menschen.
Gott verkündete in Eden die Errettung aller durch die Geburt von einer Frau
Wer immer so schreit, hat Achtung vor einer Frau.
Die Frucht ihrer Schoßes ist das Heil für alle.
Sie gebar einen Retter, der für uns diese Schmerzen des Herzens erleidet.
Der Psalm sagt uns, die Schmerzen des Kindes kennt die Mutter.
Wer immer so schreit, ist eine Zuflucht für eine Frau.
Gedanken zu Psalm 22 von Joyceline Njama, Teilnehmerin des Mission tot he North-Programms 2011. In: Materialheft zum Tansania-Sonntag der EKM 13.5.2012 S. 41