Mechthild von Magdeburg und das Älterwerden

Mechthild von Magdeburg war eine kranke Frau, als sie im Kloster Helfta aufgenommen wurde. In Magdeburg hatte sie in einer Beginengemeinschaft gelebt. Das war eine Wohn-, Arbeits- und geistliche Gemeinschaft von Frauen. Anders als im Kloster legten sie kein Gelübde ab und wählten ihre Beichtväter selbst. Ob in Magdeburg, Halle, Nordhausen oder Weimar, in vielen Städten taten sich Frauen in Beginenhäusern zusammen. Sie arbeiteten, wirtschafteten, lebten und beteten zusammen. Sie pflegten Kranke, kümmerten sich um Sterbende, unterrichteten Mädchen oder arbeiteten z.B. in der Textilbranche. Änderte sich ihre Lebenssituation, konnten sie jederzeit gehen. Sie waren frei. Mechthild beschreibt auch den Alltag von Beginen, wenn sie rät: Du sollst jeden Tag ( alle tage) in das Krankenhaus (siechhus) gehen und sie (die Kranken) mit dem Trost der Worte Gottes salben und sie freundlich mit irdischen Gaben erquicken, denn Gottes Reichtum steht über allen Kosten. Du sollst stets bei den Kranken saubermachen und sollst, vereint mit Gott, herzlich mit ihnen lachen. Ihre Notdurft sollst du selber wegtragen und sie voller Anteilnahme und Freundlichkeit fragen, welcher Art ihre verborgene Krankheit sei, und ihnen dann getreulich zur Seite stehen. So fließt die Süßigkeit Gottes wunderbar in dich. (VI/1)

Der Kirche waren solche unabhängigen Frauengemeinschaften natürlich ein Dorn im Auge. Auch in Magdeburg versuchte das Domkapitel, das Beginenhaus in ein Kloster umzuwandeln oder die Frauen zum Austritt zu bewegen.
Mechthild und die Beginen von  Magdeburg wehrten sich erbittert und fochten viele Kämpfe aus. Mechthild bezeichnet die Kleriker als „stinkende Böcke“ und befürchtet: „Ich bin mir nach dem, was mir bisher geschehen ist, gewiss, dass ich noch viele Becher mit Galle austrinken muss, denn leider hat der Teufel unter den Menschen geistlichen Standes noch sehr viele Schenken, die so voller Giftes sind, dass sie es nicht allein trinken können: Sie müssen es Gottes Kindern voller Bitterkeit ausschenken“ (II, 24).

Mechthild wird um die 60 und schon krank gewesen sein, als sie schließlich doch in ein Kloster ging. Aber es war nicht irgendeins. Helfta unter der Äbtissin Gertrud von Hackeborn entwickelte sich zum Zentrum deutscher Frauenmystik.
Hier fand sie Aufnahme, Pflege und Förderung. Schon ein Jahrzehnt vorher hatte sie ihr Hauptwerk begonnen: Das fließende Licht der Gottheit. Ihr Magdeburger Beichtvater hatte sie ermutigt, ihre Visionen und Gedanken aufzuschreiben. In Helfta stellte sie es dann fertig. Es wurden sieben Bände. Die Linguistik bezeichnet es als wichtiges Zeugnis der Sprachgeschichte in dieser Zeit.

O du brennender Berg, o du auserwählte Sonne,
o du voller Mond, o du grundloser Brunnen …
Ich bin in dir und du bist in mir,
wir können uns näher nicht sein,
denn wir zwei sind in eins geflossen   (I,8)

Die Seele spricht zu Christus:
Ich tanze, Gott, wenn du mich führst!
Soll ich sehr springen,
Mußt du anfangen zu singen!.
Dann springe ich in die Minne,
Von der Minne in die Erkenntnis,
Von der Erkenntnis in den Genuß,
Vom Genuß über alle menschlichen Sinne.
Dort will ich verbleiben und doch höher kreisen.  (I,44)

Während ihr Körper langsam verfiel, blühte die geistliche Ausstrahlungskraft von Helfta auf. Besonders drei Frauen befruchteten sich gegenseitig: Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn und Gertrud von Helfta. In Helfta wurde nicht nur Theologie und Mystik gepflegt, sondern auch Musik und Wissenschaften.

Als Mechthild hochbetragt starb, was sie blind. Aber ihre inneren Augen hatten sich umso mehr geschärft. Während ihr Körper kränker und schwächer wurde, weitete sich ihr innerer Horizont.  Diese Erfahrung beschreibt Paulus im 2. Korintherbrief (4,16): „Wenn auch unser äußerliches Menschsein verfällt, so erneuert sich doch das innere Tag um Tag.“
Auch in unseren Gemeinden werden die Menschen älter. Die Kräfte lassen nach. Vieles ist nicht mehr oder nicht mehr wie früher möglich. Manchmal verstört es zu sehen, wie Leute körperlich und geistig abbauen. Das ist ein Verlust. Wir sind sterblich. Unser Leben ist endlich. Wie gehen wir damit um? Das ist eine Herausforderung.
Mechthild beschreibt ihr Älterwerden so: „O weh, zu meinem Leidwesen gibt mir mein Alter nun großen Anlass zur Schelte, denn es ist unbrauchbar zu leuchtenden Werken… Es ist auch unleidlich, weil ihm (schon) ein kleiner Schmerz, auf den die Jugend gar nicht achtet, sehr weh tut.“ (VII,3)
„Ich lebe in einem Land, das heißt „Elend“, das ist diese Welt… Darin habe ich ein Haus, das heißt „Qualvoll“, das ist das Haus, in dem meine Seele gefangen ist, mein Leib. Dieses Haus ist alt, klein und finster (VII,48)

In Wartezimmern erzählen sich viele Menschen ihre Krankheitsgeschichten. Manche jammern und klagen nur noch. Auch Paulus läßt ein paar Kapitel später anklingen, welche Schmerzattacken ihn plagen (2. Kor 12,7). Erstaunlicherweise stellt Paulus dem einen Gewinn an innerer Weite entgegen. Ich weiß nicht, wieviel Kraft ihn dieses Aushalten und Loslassen gekostet hat. Mit Sicherheit hat ihm die Überzeugung geholfen, daß Gott auch in seinen schlimmsten Stunden bei ihm ist. Und umgekehrt: Er kommt Jesus in seinen Schmerzen nahe. Gleichzeitig gewinnt er innere Freiheit.

Mich bewegt, wie liebevoll Mechthild ihren gebrechlichen Körper beschreibt:
Ach, mein allerliebstes Gefängnis, in dem ich gefesselt bin, ich danke dir für alles, worin du mir gehorcht hast; wenn du mich auch oft betrübst, so bist du mir doch eine Hilfe gewesen. Du wirst noch von all deiner Not befreit am Jüngsten Tag! Dann werden wir nicht mehr klagen…    (VII,65)
Es soll alles, was zu Gott kommen wird, in einem gemeinsamen Haus wohnen. Dann wird es kein Siechenhaus mehr geben; wer in Gottes Reich gelangt, der ist von aller Krankheit befreit. (VII,57)

Wie wir altern, das vollzieht sich ganz unterschiedlich, und die einzelnen erleben es auch sehr unterschiedlich. Jede, jeder muß eigene Wege finden, damit umzugehen.  Ich wünsche uns Weisheit und Segen, daß wir auch einen Gewinn entdecken können. Bei Mechthild wird anschaulich, was Paulus meint: Wenn auch unser äußerliches Menschsein verfällt, so erneuert sich doch das innere Tag um Tag.

Predigt zu Jubilate über 2. Kor 4, 16-18
Deshalb verlieren wir nicht den Mut. Wenn auch unser äußerliches Menschsein verfällt, so erneuert sich doch das innere Tag um Tag. 17 Die Last unserer gegenwärtigen Bedrängnis ist leicht, denn sie führt uns in den alles Maß überschreitenden Raum, der die Fülle göttlicher Klarheit ist, der Zeiten und Welten umfasst – 18 für uns, die wir nicht das Sichtbare im Blick haben, sondern das Unsichtbare. Das Sichtbare gehört ja dem Augenblick, doch das Unsichtbare der Unendlichkeit. (Bibel in gerechter Sprache)

Spielszene: Jutta von Sangerhausen und Mechthild von Magdeburg
Weitere Predigten zwischen Ostern und Pfingsten
Weitere Predigten im Jahreslauf

Die Lebensdaten von Mechthild sind unsicher und werden meist mit ca. 1208 bis 1282, 1285 oder 1294 angegeben. Die Zitate stammen aus Mechthilds Werk „Das fließende Licht der Gottheit“.

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