Jutta von Sangerhausen und Mechthild von Magdeburg – eine Talkshow
Pfarrerin: Wie Sie sehen, haben wir heute das Fernsehen zu Gast bei uns., ich hoffe, dass nun alles klappt mit der Technik. Ja, und nun schalten wir um von Sangerhausen … nach Sangerhausen!
Moderatorin: Ja, guten Tag, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, liebe Studiogäste, hier bin ich wieder, und herzlich willkommen zu unserer allseits beliebten Sendung: „Das war ihr Leben.“ Diesmal aus Sangerhausen, denn wir haben heute einen Überraschungsgast bei uns im Studio, eine Sangerhäuserin, die es in ein anderes Land verschlagen hat. Noch heute, viele hundert Jahre später, verehren sie die Leute dort wie eine Heilige.
Damals hat ihre Reise viele Tage gedauert. Nun ist sie das erste Mal wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt und gleich zu uns zu Gast im Studio – und da kommt sie schon: Jutta von Sangerhausen! (Beifall, Händeschütteln).
Jutta, es ist sehr lange her, dass Sie Sangerhausen verlassen haben, genaugenommen etwa 750 Jahre. Sie haben also nicht nur so eine weite Reise hinter sich, sondern auch eine Zeitreise. Ich hoffe, Sie haben sich ein wenig erholt und auch ein wenig umgeschaut…
Jutta: Ja, ich bin sofort dort hoch gestiegen, zum Alten Schloß, wo jetzt die Musikschule ist. Um das Jahr 1250 herum war das noch freies Feld, nur ein paar Häuser am Alten Markt standen, und ich weiß noch, wie die Marktfrauen dort immer ihre Stände aufbauten. Als ich schon in Polen war, hörte ich, dass ein Schloß in Planung sein soll. Das mußte ich mir natürlich heute sofort angucken. Sangerhausen hat sich ganz schön herausgemacht. Zu meiner Zeit war es ja ein kleines Nest.
Moderatorin: (spitz) Das wird es jetzt auch wieder.
Jutta: Dann bin ich zur Ulrichkirche.
Mod.: Mir der verbindet Sie einiges…
Jutta: Ja, dort bin ich jeden Tag hingegangen. Schon als Kind hat mich die Kirche sehr interessiert.
Mod.: Damals waren die Leute eben viel frömmer als heute…
Jutta: Nein, überhaupt nicht. Aber ich habe damals für eine Frau geschwärmt. Die war mein großes Vorbild. Sie hieß Elisabeth.
Mod.: Was, meinen Sie etwa die heilige Elisabeth??
Jutta: Sie war unsere Landgräfin. Ludwig, der Landgraf, kam manchmal aus Eisenach von der Wartburg nach Sangerhausen. Hier hat er Verträge zu unterschrieben oder Streit geschlichtet. Elisabeth hat ihren Mann manchmal begleitet.
Mod.: Und haben Sie sie selbst gesehen?
Jutta: Ich war damals noch zu klein, und Elisabeth ist ja leider schon mit 24 Jahren gestorben. Aber die Leute haben viel von ihr erzählt.
Mod.: Dass sie sich um die Armen gekümmert hat. Und dass sie Aussätzige gepflegt hat. Dass sie vieles weggegeben hat, was ihr gehört hat.
Jutta: Und dass manche sie für verrückt gehalten haben: Als Königstochter und Landgräfin in Armut leben!
Mod.: Das muß Sie sehr beeindruckt haben.
Jutta: Ja, denn ich fand es schon als Kind wichtig, dass ein Mensch sinnvoll lebt. Das wollte ich auch. Als ich 10 war, habe ich sehr gebetet, dass Gott mir meinen Lebensweg zeigt.
Nur heiraten und Kinderkriegen – ich hatte damals schon das Gefühl, dass das nicht alles ist.
Mod.: Naja, beim Heiraten kommt es ja auch darauf an, wen!
Jutta: Das stand gar nicht zur Debatte. Das hat mein Vater entschieden.
Mod.: Er hat Ihren Mann ausgesucht – o la la! … (betroffen, Pause) Und wen hat er ausgesucht?
Jutta: Einen Edelmann. Er war auch wirklich gut. Er fand nur, dass ich zu viel zur Kirche gehe.
Mod.: Er war wohl eifersüchtig…
Jutta: Ja, ich war ihm dort zuviel mit Männern zusammen. Ich habe mich intensiv mit den Pfarrern unterhalten.
Mod.: Heute gibt es in Sangerhausen auch Pfarrerinnen.
Jutta: Na so was! Das wäre übrigens auch was für meine Freundin gewesen. Die war mein zweites Vorbild.
Mod: Noch ein Grund, eifersüchtig zu sein…
Jutta: Leider wohnte sie nicht in Sangerhausen. Da war der Kontakt etwas schwierig. Denn bedauerlicherweise waren zu meiner Zeit die Handys noch nicht erfunden.
Mod.: Seien Sie bloß froh, bei den Rechnungen heutzutage! Da hätten Sie hinterher nichts mehr an die Armen zu verschenken gehabt! – Lassen Sie mich raten, wo Ihre Freundin wohnte. Nicht in Riestedt und auch nicht in Hettstedt, sondern in Magdeburg!!
Ja, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, weil wir das schon geahnt haben, haben wir sie heute als zweiten Überraschungsgast eingeladen: Mechthild von Magdeburg!
Mechthild: swester jutte von sangerhusen!
Mod.: Mechthild von Magdeburg, die berühmte Autorin!
Mechthild: Dabei dachte ich, ich kann gar nicht schreiben. Und Latein durfte ich als Mädchen auch nicht lernen.
Mod.: Mechthild, Sie sind als Adlige auf einer Burg groß geworden. Die Stars, die damals aktuell waren, das waren die Minnesänger und gaben Konzerte auf den Burgen. Aber wie sind Sie zur Religion und zum Schreiben gekommen?
Mechthild: Aber als ich 12 war, habe ich etwas Seltsames erlebt, eine Art Traum. Ich sah einen großen Jungen neben mir stehen, vielleicht 16. Wie er aussah – genauso wie ich es mir immer erträumt hatte. Er schaute mich liebevoll an und fragte: ‚Warum bist du so traurig? Hast du niemanden, der dir hilft?’ Und dann, dann nahm er meine Hand sanft in seine und sagte: ‚Hab keine Angst, ich werde dein Retter sein.’
Mein Herz pochte wie wild… Ich schaute mich vorsichtig um. Doch auf einmal war zwischen uns eine dichte Dornenhecke und trennte uns. Ich wurde fast ohnmächtig vor Trauer und vor Sehnsucht. Doch da beugte er sich über die Hecke und hob mich darüber und stellte mich neben sich, und ich war wieder bei ihm. Da schaute ich auf seine Hände. Sie waren von Nägelmalen durchbohrt, so wie die Nägel am Kreuz. Da wusste ich: Es war Jesus. Und ich wusste: Ich bleibe bei ihm. Mein Leben lang. – So habe ich auch von Jesus geschrieben.
Mod.: ( hüstelt) Nun ja, die Art ist ja etwas freizügig, á la Minnesänger.
Mechthild: Der Bischof hat sich deshalb oft mit mir gestritten. Außerdem fand er, eine Frau darf keine Bücher schreiben.
Jutta: Mir hat auch niemand geglaubt, dass ich als Frau die Bibel verstehen kann und dass Gott sogar zu mir spricht.
Mod.: Mechthild, würden Sie unseren Zuschauerinnen und Zuschauern kurz Ihr Buch vorstellen?
Mechthild: Es heißt: Das fließende Licht der Gottheit. Gott ist für mich nichts Starres oder Altertümliches. Und auch nichts Enges. Kein Herrscher auf dem Thron.
Gott ist für mich wie ein sanftes Licht, das alles durchdringt.
Mod.: Hier habe ich einen Abschnitt über das Beten gefunden:
Mechthild: Das Gebet „macht ein bitteres Herz süß,
ein trauriges Herz froh,
ein blindes Herz sehend,
eine kalte Seele brennend.
Es zieht den großen Gott in ein kleines Herz. …
Es vereint die zwei Liebenden, Gott und die Seele“
Jutta: Mechthild, warum trägst Du denn ein Nonnengewand?
Mechthild: Ich bin ins Kloster gegangen.
Jutta: Aber das wolltest du doch nie! Du wolltest doch immer eine Begine bleiben!
Mod.: Begine?? Was ist denn das?
Mechthild: Ich habe in Magdeburg mit mehreren Frauen zusammen gelebt. Aber das war mehr als eine WG. Wir haben selbst für uns gesorgt, haben uns um Kranke und Sterbende gekümmert. Und wir haben regelmäßig gebetet, fast so wie im Kloster. Solche Beginenhäuser gab es übrigens in vielen Städten.
Mod.: Und was ist da der Unterschied zu einem Kloster?
Mechthild: Uns Beginen hat niemand hereingeredet, kein Abt, niemand. Wir haben uns selbst ausgesucht, zu welchem Pfarrer wir gehen.
Jutta: Das hatte dem Bischof ja nie gepasst.
Mechthild: Er hat immer mehr Druck gemacht. Wir sollten in ein Kloster gehen.
Jutta: (betroffen): Deshalb also… Und in welches Kloster bist du schließlich gegangen?
Mechthild: Nach Helfta, Kloster Helfta bei Eisleben. Da kamen dann auch andere hin. Gertrud von Helfta und Mechthild von Hackeborn.
Jutta: Da wart ihr ja alle zusammen, ihr drei Mystikerinnen!
Naja, ich hatte auch meine Sorgen. (kichert) Weißt du noch?
Mechthild: Meinst du die Geschichte mit deinem Mann?
Mod.: Ihr Mann war wütend, dass das Essen noch nicht fertig war, weil Sie so spät aus der Kirche kamen.
Jutta: Das war ich gewohnt.
Mod.: Sie warfen fix ein paar Fische in einen Topf mit kochenden Wasser, nahmen den glühendheißen Topf vom Feuer und setzten das ganze Ihrem Mann vor. Der guckte misstrauisch. Aber dann kostete er doch. Und siehe da, das Essen war fertig und schmeckte fantastisch. Am Ende hat er sich bei Ihnen entschuldigt, wird erzählt.
Ist das wahr?
Jutta: Kein Kommentar.
Mechthild: Zu jeder Heiligen gehört eben eine Legende…
Mod.: Also dass finde ich aber praktisch. Das Essen kocht sich von alleine – solche Wunder könnten ich mir als Hausfrau auch wünschen, und Ihren Kindern scheint’s nicht geschadet zu haben. Sie hatten doch 5 Jungs, wenn ich mich recht erinnere?
Mechthild: Was ist eigentlich aus ihnen geworden?
Jutta: Chorherr, Bischof…
Mod.: Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Doch ehrlich gesagt, Jutta: Das klingt alles ziemlich alltäglich und überhaupt nicht außergewöhnlich. Aber Sie waren doch eine besondere Frau!
Jutta: Mein Mann starb. Da war ich mit meinen 5 Jungs allein. Aber die waren eigentlich schon groß. Meine Verwandtschaft, die Nachbarn haben gesagt: Jetzt muß sie wieder heiraten. Alle haben das von mir erwartet.
Mechthild. In ein Kloster wollten wir ja beide nicht.
Jutta: Nach meinen Plänen hat niemand gefragt.
Mod.: Hatten Sie denn welche?
Jutta: Schon vorher habe ich oft Kranke gepflegt. Auch die Aussätzigen, zu denen niemand wollte und vor denen sich alle ekelten. Als mein Mann starb, stand für mich die Entscheidung: Leben, wie es die anderen von mir erwarten und wie es alle machen, oder ich gehe meinen eigenen Weg.
Mod.: Sie haben sich für’s zweite entschieden.
Jutta: Ich wollte ja sinnvoll leben, mit allen Konsequenzen, wie Elisabeth. Wann, wenn nicht jetzt, habe ich gedacht.
So habe ich meinen ganzen Besitz verschenkt, an die Armen, komplett. Am Ende hatte ich selbst kaum noch was und musste fast betteln. Ich war sehr radikal.
Mod.: Da hatten die Sangerhäuser was zu reden!
Jutta: Und wie! Manche fanden es toll und hätten es am liebsten auch so gemacht. Aber die meisten hielten mich für verrückt. (lacht)
Mod.: War es ja auch ein bisschen.
Jutta: Ja. Aber das war noch nicht alles. Gott war für mich immer wie ein Licht…
Mechthild: … das fließende Licht der Gottheit…
Jutta: Dieses Licht, das wollte ich auch anderen zeigen. Und da habe ich etwas noch viel Verrückteres angefangen. Ich habe mich entschlossen, nach Polen zu gehen, zu den Pruzzen, die keine Christen waren.
Mod.: Was haben die Leute hier in Sangerhausen dazu gesagt?
Jutta: Die waren sprachlos. Noch dazu als Frau. Polen war für die Leute damals kein attraktives Reiseziel. Dort war’s gefährlich.
Mod.: Wie sind Sie auf Polen gekommen?
Jutta: Ein Verwandter von mir hatte dort zu tun, Anno von Sangerhausen. Er hat mir auch erzählt, dass es laufend Überfälle gab, gerade auf Christen. Genau deshalb wollte ich dorthin.
Mod.: Das begreife ich überhaupt nicht. Wieso wollten Sie unbedingt in ein Krisengebiet? Das ist doch quasi Selbstmord!
Jutta: Die Kreuzritter kamen mit dem Schwert. Doch ich wollte den Leuten zeigen: Gott ist kein Feind, der sie bekämpft. Gott liebt sie. Und das erfahren sie nur, wenn jemand sie liebhat.
Mod.: Das war ja ganz schön gewagt.
Jutta: Ich kam nach Kulmsee, heute heißt es ja Chelmza, und war fremd. Ich habe ja nicht Polnisch verstanden, die vielen schs und tschs. Aber dann haben die Leute gesehen, wie ich gelebt habe und dass ich gut zu ihnen war. Dass Gott mir nicht befohlen hat, Kriege zu führen, sondern Menschen zu trösten und zu pflegen. Diese Sprache haben sie gut verstanden.
Mod: Polen ist bis heute ein christliches Land. Dazu haben Sie beigetragen.
Jutta: Na, na. So viel Rummel… Ich wollte auch nie im Dom begraben begraben sein, mit viel Pomp und so.
Mod.: Das hat der Bischof dort anders gesehen. Ihr Grab ist im Dom von Kulmsee.
Jutta: Dagegen kann ich mich nun wirklich nicht mehr wehren.
Mod: Die einfachen Leute, die verehren Sie bis heute. Jedes Jahr im Mai feiern sie ein großes Juttafest! – Was haben Sie denn für eine Sonne?
Jutta: Die hat für mich eine besondere Bedeutung.
Ich musste einmal mit anderen Frauen eine Kranke besuchen, ein weiter Weg., bis in den Abend. Unterwegs wurde es finster, so dass wir nichts mehr sehen konnten. Ich war außerdem barfuß, wie immer. Die anderen waren schon ziemlich verzweifelt und mutlos. Als wir nicht mehr weiter wußten, habe ich mich auf die Erde geworfen und zu Gott gebetet. Auf einmal wurde es hell. Es war ein Wunder! Die Sonne leuchtete wieder. Wir konnten weitergehen, denn wir sahen den Weg. Erst als wir ankamen, nach ein paar Kilometern, ging die Sonne endgültig unter, und es wurde stockfinster.
Mod.: Ein Maler hat Sie mit der Sonne in den Händen dargestellt.
Jutta: Sie ist mein Zeichen. Sie hat es uns unterwegs hell gemacht. Gott war bei uns. – Das können wir auch völlig ohne Wunder erleben.
Mod: Sie meinen: Gott zeigt Ihnen die Wege in Ihrem Leben.
Jutta: Ja. Gott ist wie eine Sonne, „das fließende Licht der Gottheit“.
Mod.: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, das war die heutige Ausgabe von unserer beliebten Sendung „Das war ihr Leben“ mit Jutta von Sangerhausen und Mechthild von Magdeburg als Überraschungsgast. Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht, mit diesem Lied verabschieden wir uns und schalten wieder um nach … Sangerhausen.
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