Der Schwarze König – Krippe ohne Rassismus

Die drei Könige fehlen seit 2020 an der Weihnachtskrippe im Ulmer Münster. Der Schwarze König war voller Klischees: ohne Schuhe, krumme Beine, unförmige Gestalt, eine groteske Körperhaltung. Er könnte aus den Völkerschauen stammen, die zu Ende des 19. Jahrhunderts veranstalten wurden und in denen Menschen aus Afrika und anderswo wie im Zoo ausgestellt wurden, als wilde, exotische und ungebildete Menschen. In den letzten Jahren wurde in Deutschland immer wieder über Rassismus diskutiert. Black lives matter, schwarze Leben zählen, haben auch bei uns viele Menschen gefordert. Die Polizei setzt sich mit Rassismus in ihren Reihen auseinander. Da kann nicht gleichzeitig eine Krippenfigur in der weihnachtlich geschmückten Kirche zur Besinnung einladen, die Schwarze Menschen heute als herabwürdigend und beleidigend empfinden, meinte die Kirchengemeinde. Sie entschied, die Krippe ohne die Könige auszustellen.

Im Internet erhob sich ein Shitstorm. Die evangelische Kirche will die Weihnachtsgeschichte umschreiben, hieß es. Dabei tauchen Könige in der Weihnachtsgeschichte gar nicht auf. Weise aus dem Osten, magoi ex anatolon, besuchen das Kind (μάγοι ἀπὸ ἀνατολῶν Matthäus 2,1). Sie bringen kostbare Geschenke mit, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Magoi – das können Zauberer sein, Sterndeuter, Wissenschaftler, Gesandte oder zoroastrische Priester. Oder auch Frauen. Von Königen ist jedenfalls keine Rede, ebensowenig dass sie aus Afrika kommen oder eine dunkle Hautfarbe haben. Auf sehr frühen Wandgemälden in den Domitilla-Katakomben in Rom sind vier Weise dargestellt, in einer anderen Katakombe zwei. Zahlreiche Abbildungen zeigen sie mit phrygischer Kleidung, mit persischen oder syrischen Kopfbedeckungen. Eine syrisch-aramänische Legende erzählt sogar von 12 Magiern, die aus Persien kamen. Immer wieder standen die Weisen auch für die drei Lebensalter der Menschen: Jugendlicher, Erwachsener und Greis. In mittelalterlichen Mysterienspielen schließlich werden sie den drei Erdteilen zugeordnet, die damals bekannt waren: Europa, Afrika und Asien. (wikipedia, Artikel Heilige Drei Könige)

In der Renaissance-Malerei bürgerte es sich ein, einen der Könige mit dunkler Hautfarbe darzustellen. Die Könige wurden in prächtigen Gewändern und mit großem Gefolge in Szene gesetzt. Oft stifteten Kaufleute oder Innungen Altarbilder. Die Anbetung der Weisen wurde besonders gern gewählt, denn sie bot eine willkommene Gelegenheit, Reichtum zur Schau zu stellen.

Mich beschäftigt, dass gerade in dieser Zeit europäische Schiffe nach Afrika und Amerika segelten, fremdes Eigentum eroberten, nicht-weiße Menschen verschleppten und versklavten und ihre Kultur zerstörten. Gleichzeitig erfreuten sich Anbetungsszenen mit Schwarzen Menschen größter Beliebtheit. Die gleichen Kaufleute, die koloniale Raubzüge finanzierten und an ihnen verdienten, statteten die Kirchen mit kostbaren Altargemälden aus. Das Bild mit dem Schwarzen König, das die Leuten andächtig bestaunten, haben sie aus Sklavenhandel mit genau diesen Schwarzen Menschen finanziert, die dort dargestellt waren.

Wie Schwarze Menschen wirklich lebten, interessierte nicht. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht aus der Kolonialzeit setzt sich bis heute fort. Der Schwarze König diente als Symbol. Er sollte das Andere, das Ferne, das Exotische verkörpern. Wie seine Realität aussah, wollte niemand wissen.

Schwarze Deutsche beklagen das bis heute. Sie dienen als Projektionsfläche und müssen herhalten für Phantasievorstellungen von Afrika. Selbst wenn sie hier geboren sind, werden sie ihr Leben lang immer wieder gefragt: wo kommst du her. Die Polizei kontrolliert ihre Ausweise zuerst. Bei  interkulturellen Workshops in Kitas oder an Schulen sollen sie – in bester Absicht – trommeln oder kochen und am liebsten in bunten Gewändern auftreten. Doch vielleicht tragen sie lieber Jeans, hassen Kochen, haben sich auf Informatik spezialisiert oder befassen sich als Bundestagsabgeordnete*r mit Politik, so wie Karamba Diaby aus Halle.

Aber ihre dunklere Hautfarbe macht sie zu „Schwarzen“, in die Menschen mit heller Hautfarbe all das hineinsehen, was sie mit „schwarz“ verbinden: fremd, exotisch, gefährlich, interessant, kriminell, ungebildet, naturverbunden … Die wirkliche Person verschwindet dahinter, was sie will, wofür sie sich interessiert, was ihr wichtig ist. Das war schon bei der Darstellung des Schwarzen Königs in den Altarbildern der Renaissance so. Die Kunstwissenschaft hat festgestellt, dass die Gesichter der weißen Menschen deutlich differenzierter ausgeführt sind. Für die Gesichter von Menschen mit dunkler Hautfarbe haben die Maler_innen weitaus weniger Farbschattierungen verwendet als für weiße.*

Wir feiern heute Epiphanias. In vielen Familien stehen während der Weihnachtszeit Krippen unter dem Baum. Die Könige können uns heute daran erinnern, daß reale Menschen unter uns leben. Viele von ihnen nennen sich übrigens selbst Schwarze Menschen oder People of Colour, PoC. Was erleben sie bei uns? Wir können aufmerksam werden dafür, wie sie unsere Gesellschaft wahrnehmen und was ihre Perspektive ist.
Der Schwarze König kann uns anregen, über unsere Sprachbilder nachzudenken: was verbinden wir mit schwarz und mit weiß? Meistens steht weiß für das Gute und schwarz für das Böse. Weiße Weste. Schwarze Seele. Schwarzbuch. Ein rabenschwarzer Tag. Wie wirken solche Sprachbilder auf Menschen, die als schwarz eingeordnet werden? Könnten wir auch andere Sprachbilder verwenden, bei denen sich Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht von vornherein auf der negative Seite wiederfinden?

Die Krippe im Ulmer Münster stellt den Schwarzen König als Zerrbild dar. Wie könnten heute die Weisen respektvoll dargestellt werden?
Mir gefällt ein Bild aus Kenia gut. Es zeigt drei Frauen, hochaufgerichtet und stolz, mit Schätzen auf dem Kopf. Sie tragen sie auf dem Kopf, so wie es  Frauen in afrikanischen oder südamerikanischen Dörfern seit Jahrhunderten geübt sind. Eine Schale mit Wasser, Feuerholz und Mais – es sind die Schätze, die sie täglich zum Leben brauchen. Du bist König. Du bist Königin. Amen.

Predigt zu Epiphanias
Andere Predigten zu Weihnachten und Epiphanias
Hier: Predigten im Jahreslauf

* Anna Greve: Farbe. Macht. Körper – Kritische Weisseinsforschung in der europäischen Kunstgeschichte. Scientific Publishing Karlsruhe 2013, S. 138 ff.

Abbildung: „Three Wise Women“ Hilda Bernstein (Weltgebetstag 1991 aus Kenia)

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