… sie versteckten sich im Wald bei Emseloh. Verfolgte Täufer*innen der Reformationszeit erzählen

Wir schreiben das Jahr 1535.
Petronella (P): Ich bin Petronella. Petronella aus Holdenstedt. Ich bin Bäckerin. Und das ist
Lukas (L): Lukas. Ich bin der Mann von Petronella. Ich bin Bäcker in Holdenstedt. Meine Frau Petronella hat sich von mir getrennt, nachdem sie sich von Alexander taufen lassen hat. Petronella und ich haben uns aber im Guten getrennt. Ich will nur nicht zu den Täufern gehören.
Margaretha (M): Ich bin Margaretha, die Muhme von Petronella. Ebenfalls aus Holdenstedt.
Georg Knoblauch (K): Und ich heiße Georg Knoblauch. Ich bin Schieferhauer im Bergwerk und komme aus Emseloh. Dort habe ich ein Haus. Aber die Späher von Herzog Georg sind hinter mir her.

P Bei uns in Holdenstedt fanden Versammlungen von Täuferinnen und Täufern statt, die von Alexander geleitet wurden. Alexander zog als Sendbote viel umher. Er hat uns zur Buße aufgerufen. Was er predigte, hat mich überzeugt – und meine Muhme Margaretha auch.

Taufdeckel

M Petronella und ich haben uns von Alexander taufen lassen, hier in Holdenstedt. Das war 1532. Ich habe ja noch Thomas Müntzer gekannt, als er 1523 Pfarrer in Allstedt wurde. Seine Gottesdienste waren spektakulär! Alles auf Deutsch! Die Lieder, die Lesungen, die Predigt, das Glaubensbekenntnis. Das wollten die Leute erleben. Endlich verstanden sie etwas in der Kirche. Zu Hunderten wanderten sie zu seinen Gottesdiensten, auch wir aus Holdenstedt. Natürlich waren auch viele aus Sangerhausen dabei. Einen Kollegen von Petronella und ihrem Mann kannte ich, einen Bäcker aus der Mühlgasse, der hat sich später auch taufen lassen. Aber all unsere Hoffnungen zerstoben, als 1525 bei Frankenhausen 6000 Männer und Frauen dahingemetzelt wurden. Doch ein paar Jahre später predigte Alexander in unserer Gegend und, nachdem Alexander  hingerichtet wurde, der Schneider Heinz Kraut aus Esperstedt. So wuchsen bei uns erste Gruppen von Täuferinnen und Täufern. Sie mußten immer auf der Hut sein. Einige versteckten sich in der Nähe von Emseloh im Wald. Christoph Thalacker aus Riestedt brachte ihnen nachts heimlich Brot, Speck und Käse.

K In meinem Haus in Emseloh fanden Täufer aus Sachsen Unterschlupf, aus Schönfeld bei Zwickau. Sie lernten bei mir das Futterschneiden, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.  In meinem Haus hat der Schneider Heinz Kraut aus Esperstedt Leute getauft, auch mich. Solche Zusammenkünfte wurden immer gefährlicher. Meiner ersten Frau und mir wurde schon einmal der Prozeß gemacht. Wir wurden gefoltert. Da habe ich widerrufen. Aber meine Frau nicht. Sie wurde in Sangerhausen hingerichtet. Sie starb grausam. Ihr unschuldiger Tod hat in Sangerhausen großes Aufsehen erregt.

Ich bin jetzt zum zweiten Mal verheiratet. Meine zweite Frau Anna Scheidemantel ist jetzt schwanger. Deshalb haben wir im Februar 1535 Emseloh verlassen. In Halberstadt mieteten wir ein Häuschen hinter dem Dom, das Pfaffenhäuslein. Dort entstand eine kleine Gemeinde. Auch Petronella verließ Holdenstedt und zog bei uns ein. …

P … und nach und nach noch andere aus Riestedt und Emseloh, die dort nicht mehr bleiben konnten. Andere kamen nur zu Besuch und brachten Nachrichten aus der Heimat, etwa Christoph Thalacker, Georg Möller, Hans Birkhan und Hans Hesse.
Zu Ostern besuchte uns Schneider Hans Kraut aus Esperstedt und taufte einige. Im Pfaffenhäuslein konnten wir unseren Glauben leben. Wir feierten Gottesdienste. Viermal täglich beteten wir. Vor dem Abendmahl wuschen wir einander die Füße, so wie Jesus. Im Glaubensbekenntnis haben wir das Wort Bund eingefügt. Dort, wo es über Jesus heißt „gelitten unter Pontius Pilatus“, sagen wir „gelitten unter dem Bunde von Pontius Pilatus“, weil Pilatus und die Römer auch ein Bund waren, ein Bund der Gewalt und des Bösen. Dagegen sind wir ein Verbündnis der Hoffnung, ein Bund Gottes. Wir reden uns an mit „Bruder“ und „Schwester“, und teilen, was wir haben.
Natürlich waren wir vorsichtig. Wir haben zum Gottesdienst die Fensterläden und Türen verschlossen, damit draußen niemand etwas hörte. Wer hereinwollte, mußte klopfen. Als wir Abendmahl feierten, waren wir 18 Personen.
K In Halberstadt habe ich Strohhüte geflochten und verkauft, manchmal habe ich als Maurer gearbeitet. Andere haben sich als Taglöhner in der Gegend von Halberstadt verdingt. So kamen wir über die Runden und haben uns gegenseitig unterstützt.

P Bis eine der Frauen im August 1535 ihr Kind bekam. Die Vermieterin, Frau Gebicke, war vorher schon mißtrauisch geworden. Zu viele Leute gingen ihr bei uns ein und aus. Frau Gebicke verlangte, daß das Baby innerhalb von zwei Tagen getauft wird. Das wollten wir nicht. Wir zogen sofort aus. Zum Glück fanden wir ein anderes Haus, das leer stand, den Grauen Hof in Halberstadt.

M Ich war froh, daß meine Petronella nicht mehr in Holdenstedt war, und hatte gehofft, daß sie in Halberstadt sicher ist. Denn schon zu Ostern gab es in Riestedt eine große Verhaftungsaktion. Herzog Georg hat 5 Frauen und 3 Männer verhaften lassen. Am 2. September wurden Georg Köhler und Georg Möller geschnappt. Und dann wurde ich selbst festgenommen. Ich, Margaretha, eine alte Frau und Muhme! Im Gefängnis haben sie versucht, aus mir herauszubekommen, wer noch alles zu uns gehört. Sie haben versucht, mich von meinem Glauben abzubringen. Doch ich habe an alle die gedacht, die unter der Folter standhaft geblieben sind. Ich habe nicht widerrufen. Ein paar Wochen später wurde ich mit dem Schwert hingerichtet.

K Auch in Halberstadt im Grauen Hof standen wir unter Beobachtung. Kardinal Albrecht von Magdeburg ließ sich persönlich Bericht erstatten. Am 13. September 1535 war es so weit. Sie kamen am Vormittag und umstellten das Haus. Außer sechs kleinen Kindern waren lediglich zwei Frauen da. Die wurden nach ihrem Glauben befragt. Sie gaben an, daß sie Täuferinnen sind. Um 13 Uhr trafen Petronella ein und Hans Höhne, einer der Ehemänner und Vater des Babys.
P Als die Soldaten uns sahen, war es schon zu spät. Wir konnten nicht mehr ausreißen. So haben wir uns hingekniet und laut gebetet. Dann haben wir laut gesungen, ein Lied von Martin Luther: „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“. Hans Höhne und ich verabschiedeten uns von allen. Wir umarmten und küßten uns, wir segneten uns und bestärkten uns darin, daß wir standhaft bleiben. Dann nahmen die Wachen uns mit. Am nächsten Tag begannen die Verhöre.

K Der Graue Hof in Halberstadt wurde weiter beobachtet. Genau eine Woche später kam Adrian Richter zum Grauen Hof. Adrian war einer von den Zwickauern, die schon in Emseloh bei mir gewohnt hatten, er war in meinem Haus getauft worden. Auch Adrian wurde sofort verhaftet.
P Jetzt lagen wir zu dritt im Gefängnis. Der junge Vater Hans Höhne, Adrian Richter, den ich aus Emseloh kannte, und ich. Wir wurden verhört und gefoltert. Sie wollten alles über uns wissen und uns von unserem Glauben abbringen. Und sie haben alles ganz genau protokolliert: wie die Taufe abläuft, was wir über das Abendmahl denken und über die Trinität. Wir sind bis zum Tode standhaft geblieben. Durch die Gerichtsprotokolle ist überliefert, daß wir am Schluss gesagt haben, daß wir „erfreut [sind], um Christi willen den Tod zu erleiden.“
Damit in Halberstadt niemand unsere Hinrichtung sieht, wurden wir 15 km weiter zur Bode nach Gröningen gebracht. Der Scharfrichter fesselte uns, steckte uns in Säcke und ertränkte uns in der Bode. Unsere Körper wurden in ungeweihter Erde bestattet.

K Meine Frau Anna Scheidemantel und ich sind noch einmal davongekommen. Wir wurden am 25. November 1535 in einer Mühle bei Kleineutersdorf in der Nähe der Leuchtenburg bei Kahla festgenommen,  als wir Abendbrot gegessen haben und Gottesdienst feiern wollten. Insgesamt 16 Täuferinnen und Täufer. Auch ein Emseloher und ein Obersdorfer war dabei und der Schneider Heinz Kraut, der mich getauft hat.
Noch als sie uns festnahmen, begannen wir zu singen: Nun bitten wir den Heiligen Geist. Auf dem langen Weg zum Gefängnis auf der  Leuchtenburg haben wir ununterbrochen laut gebetet und gesungen. Wenn wir durch Dörfer gezogen sind, hat der Müller gepredigt und zur Umkehr gerufen: „Liebes Volk, tut Buße“.
Die Verfahren gegen uns 16 Täuferinnen und Täufern wurden abgetrennt. Der Schneider Heinz Kraut wurde nach Jena überstellt und peinlich befragt, also gefoltert. Die Fragen stellten auch zwei Pfarrer und der Reformator Philipp Melanchton. Heinz Kraut und zwei andere wurden am 26. Januar 1536 (?) vor den Toren Jenas enthauptet.

Mir selbst gelang es, mich bis nach Mähren durchzuschlagen. In Mähren hatte der Landesherr Täufern aus Süddeutschland und der Schweiz gestattet, sich anzusiedeln. Dort konnten wir nach der Bibel leben. Wir haben alles geteilt, die Kinder gemeinsam aufgezogen, gut ausgebildet und sie das Wort Gottes gelehrt. Nachfahren der Täufer aus Mähren nach Amerika ausgewandert. Die Mennoniten, die Amischen und die Hutterer leben heute noch in den USA. Gemeinschaft, Gewaltlosigkeit und Leben nach der Bibel, das ist auch ihnen am wichtigsten, so wie uns damals.

 

Szenischer Gottesdienst zum Jahr der Taufe und im Vorfeld des Gedenkens an den Bauernkrieg 2025

Personen: Petronella (P), ihr Mann Lucas (L), ihre Muhme Margaretha (M), Georg Knoblauch (K)
Weitere Einzelheiten zu den Personen und Ereignissen können nachgelesen werden in den Wikipedia- Artikeln zu Petronella (Täuferin), Täufer im Harz, Alexander (Täufer), Heinz Kraut.
Gerichtsprotokolle sind abgedruckt bei Eduard Jacobs: Die Wiedertäufer am Harz. In: Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde. Nr. 32 (1899). S. 423-536
und  Paul Wappler: Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526–1584. Band II der Reihe Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens. Verlag von Gustav Fischer: Jena 1913.

 

Hinführung zur Spielszene

Die EKD begeht 2023 das Jahr der Taufe. Es gibt Anstoß, daß wir uns mit der Taufe beschäftigen.  Jahrhundertelang wurden fast nur Kinder getauft, oftmals sofort einen Tag nach der Geburt. Manchmal wurden die Menschen zur Taufe gezwungen. In der Reformationszeit haben viele Menschen das in Frage gestellt, Thomas Müntzer etwa. Nach seinem Tod 1525 im Bauernkrieg blieben diese Fragen lebendig. In Süddeutschland, in der Schweiz, in den Niederlanden, aber auch in unserem Raum sammelten sich Gruppen von Täufer*innen. Offiziell waren sie verboten. „Sendboten“ zogen von Ort zu Ort, predigten, tauften, wurden zu Schlüsselfiguren und Bindegliedern der einzelnen Gruppen über weite Entfernungen hinweg. Für diese unabhängigen Gemeinden war die Taufe kein Ritual nach der Geburt, sondern ein Bekenntnis. Deshalb lehnten sie die Kindertaufe ab und ließen sich oft selbst noch einmal bewußt taufen. Gemeinde, Gemeinschaft bis hin zur Gütergemeinschaft spielte eine große Rolle für sie. Sie beteten gemeinsam, feierten miteinander Abendmahl, wuschen einander die Füße so wie Jesus. Sie traten für die Trennung von Staat und Kirche ein, nahmen das Verbot von Jesus ernst, keinen Eid zu schwören. Sie waren bereit, für ihren Glauben zu leiden. Sie lehnten Gewaltanwendung ab und leisteten keinen Kriegsdienst. Doch von der Kirche wurden sie als Ketzer*innen verleumdet und verdammt. Darin waren sich Katholische und Evangelische einig. Sie wurden beraubt und verjagt, blutig verfolgt, grausam gemartert und getötet. Meist wurden sie ertränkt, wo das nicht möglich war, enthauptet. Die Reformatoren, die eigentlich dafür gekämpft hatten, daß alle ihren Glauben frei leben dürfen,  haben zu unnachgiebiger Verfolgung aufgerufen.  Das ist eine der Schattenseiten der Reformation. Melanchthon etwa hat bei einem Prozeß in Jena bei der „peinlichen Befragung“, also der Folter, die Fragen gestellt. In diesem Prozeß wurde der Schneider Heinz Kraut aus Esperstedt verurteilt, der in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in Emseloh, sechs Menschen getauft hat.
Längst gelten die Verdammungen der Reformation nicht mehr. Die Kirchen haben sie revidiert, üben Selbstkritik und übernehmen Verantwortung für die Vergangenheit. Jedes Jahr im Januar gedenkt unsere Landeskirche (EKM) in Reinhardtsbrunn in Thüringen jener vier Täuferinnen und zwei Täufer, die dort ermordet wurden, stellvertretend für die vielen.

Auch in unserer Gegend sind Täufer:innen belegt, z.B. in Riestedt, Emseloh, Lengefeld,  Holdenstedt, Martinsrieth, Brücken und Sangerhausen. Eine wichtige Person für unsere Gegend ist Alexander. Er hat von Esperstedt aus in Holdenstedt gewirkt, wohl auch Emseloh und Riestedt gewirkt. Er wurde  1533 in Frankenhausen enthauptet. Sein Nachfolger wurde Heinz Kraut.
Erstaunlich sind auch die Verbindungen zu weit entfernten Orten. Unter den Namen von in Emseloh Getauften finden sich mehrere aus dem sächsischen Raum. Eine Gruppe aus Emseloh und Riestedt wohnt im Täuferhaus in Halberstadt. In einer Mühle in der Nähe der Leuchtenburg bei Kahla wurden  16 Leute festgenommen, darunter ein Obersdorfer und mehrere Männer und Frauen aus Emseloh. Einige werden wir heute kennenlernen.
Das Evangelium heute ist der Taufbefehl. Er soll Anlaß sein, daß wir uns damit beschäftigen, auch im Vorfeld des Gedenkens an den Bauernkrieg 1525.

 

Aus einem Täuferlied von 1526 / 1527

Wir schleichen in den Wäldern um.
Man sucht uns mit den Hunden.
Man führt uns als die Lämmlein stumm
gefangen und gebunden.
Man zeigt uns an
vor jedermann,
als wären wir Aufrührer.
Wir sind geacht
wie Schaf zur Schlacht,
als Ketzer und Verführer.

 

Man hat sie an die Bäum gehenkt,
erwürget und zerhauen,
heimlich und öffentlich ertränkt

viel Weiber und Jungfrauen.
Die haben frei
ohn alle Scheu
der Wahrheit Zeugnis geben,
daß Jesus Christ
die Wahrheit ist,
der Weg und auch das Leben. 
(Lienhart Schiemer, enthauptet 14.1.1528)

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