Die Freund*innen haben sich zurückgezogen und eingesperrt. Sie haben sich selbst isoliert. Sie fürchten sich vor dem, was draußen vorgeht. Sie haben Angst, dass sie genauso hingerichtet werden wie Jesus. Niemand soll sie aufspüren, deshalb haben sie sich eingeschlossen. Sie haben sich sozusagen freiwillig in Quarantäne begeben.
Seit Wochen müssen viele Menschen zuhause bleiben. Manche kommen gut damit klar. Sie müssen nicht stundenlang zur Arbeit pendeln. Auf einmal ist Zeit, gemeinsam zu kochen oder miteinander zu spielen. Doch vielen fällt langsam die Decke auf den Kopf. Es ist nicht einfach, es wochenlang in einer engen Wohnung auszuhalten. Familien kommen schnell an ihre Grenzen und die Konflikte explodieren. Und wer in echter Quarantäne sitzt, ist darauf angewiesen, dass andere für sie einkaufen und ihnen Lebensmittel, Medikamente und Toilettenpapier bis vor die Wohnungstür tragen.
Wer mag die Jünger*innen von Jesus versorgt haben, dass sie nicht verhungern, als sie sich selbst isoliert haben? Und ob sie sich auch gestritten haben, so viele Leute auf engem Raum? Vielleicht war es Thomas, der die Verbindung zur Außenwelt gehalten hat? Vielleicht hat er sich von Zeit zu Zeit vorsichtig hinausgeschlichen und sie mit Essen und Informationen versorgt. Jedenfalls war Thomas nicht da, als auf einmal ein Wunder geschieht: Jesus ist da. Er kommt zu ihnen, in ihre Quarantäne.
Plötzlich steht er mitten unter ihnen. Er bringt das Leben mit, bringt Leben in die Bude. Ein Lichtblick. Auf einmal ist die Enge und die Hoffnungslosigkeit wie verwandelt. Dass sie eingeschlossen sind und nicht hinaus können, ist nicht mehr so quälend und trostlos. Jesus besucht sie in der Quarantäne.
Das wäre heute natürlich nicht erlaubt. Aber Lichtblicke kann es trotzdem geben. Wenn jemand anruft. Dass Kinder ein Bild malen. Ein Bericht im Fernsehen, der mich anrührt und eigene Einfälle in mir weckt. Jesus ist da. Auch in der Quarantäne.
Noch etwas beschäftigt mich. Jesus zeigt den Jünger*innen seine Wunden, die die Nägel an den Händen gerissen haben, und den Stich der Lanze am Brustkorb. Es ist ja Ostern und Jesus ist aus dem Grab aufgestanden. Aber sein Körper ist versehrt. Die Wunden sind geblieben, ja sie sind sein Erkennungszeichen. Ostern hat die Narben nicht einfach weggemacht. Die Spuren bleiben. Auch bei uns. Sie erzählen vom vergangenen Leben, von überwundenen Krankheiten, von unserer Geschichte, von Schmerzen und Heilung, von unseren Leiden und von unserer Freude und Kraft. Jeder Körper zeigt Spuren des Älterwerdens. Unsere Verletzungen, die äußeren und die inneren, die niemand sieht, gehören zu uns, und sie machen uns unverwechselbar… Jesus versteckt seine Verwundungen nicht schamhaft. Sie sind ein Zeichen, dass das Leben verwandelt, selbst die Schmerzen und den Tod.
Wie geht es weiter mit den Ausgangsbeschränkungen? Darum drehen sich viele Gespräche. Die Jünger*innen bleiben noch weiter in Quarantäne, auch als Jesus wieder verschwunden ist. Eine Woche später sitzen sie immer noch hinter verschlossenen Türen, als auch Thomas ihn endlich sehen kann.
Jesus drängt sie nicht, vorzeitig hinauszugehen. Die Zeit ist noch nicht reif, dass sie wieder gefahrlos auf die Straße könnten. Jesus scheucht sie nicht heraus. Aber er besucht sie wieder. Er lässt sie nicht allein. „Friede sei mit euch“, sagt er immer wieder. Er lässt ihnen ganz viel Frieden da, damit sie die Zeit gut überstehen. Er bringt ihnen Ostern ins Haus.
Predigt am Sonntag Quasimodogeniti über Johannes 20,19-27
Predigten zwischen Palmsonntag und Quasimodogeniti: hier
Predigten bis Pfingsten und Trinitatis: hier
Konfirmationspredigten: hier
Predigten im Jahreslauf: hier
Aus Johannes 20,19-27: Am Abend des Ostertages saßen die Jünger*innen hinter geschlossenen Türen aus Angst vor der jüdischen Obrigkeit. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: »Friede sei mit euch!« Er zeigte ihnen die Hände und die Wunde an seiner Seite. Sie freuten sich, als sie Jesus sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: »Friede sei mit euch! Wie mich Gott gesandt hat, so sende ich euch.«
Aber Thomas, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen. Die anderen berichteten ihm: »Wir haben Jesus den Lebendigen gesehen.« Er aber sagte zu ihnen: »Wenn ich nicht die Wunden der Nägel in seinen Händen sehe und sie mit meinem Finger fühle und mit meiner Hand in seine Seite greife, dann werde ich nicht glauben.«
Nach einer Woche saßen die Jüngerinnen und Jünger wieder drinnen und Thomas war bei ihnen. Obwohl die Türen abgeschlossen waren, trat Jesus in ihre Mitte und sagte: » Friede sei mit euch!« Dann sagte er zu Thomas: »Lege deinen Finger hierher und sieh meine Hände an und nimm deine Hand und greife in meine Seitenwunde und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!« (Übersetzung: BigS)