Auf dem Nachttisch meiner Oma standen ein Wecker und eine Keksdose. Letzterer galt mein besonderes Interesse. Die Dose glänzte und beinhaltete Plätzchen mit einem roten Marmeladenpunkt in der Mitte. Zu besonderen Gelegenheiten durfte ich den Deckel aufmachen und ein Plätzchen naschen. Für die Oma dagegen war der Wecker wichtig. Nicht nur weil er schön laut klingelte. „Der ist noch aus der Heimat“, sagt sie immer.
Die Heimat gab es nicht mehr. Die Oma hatte Schlesien 1945 verlassen müssen. Bettelarm war sie in Hohenleuben gelandet, einem 2500-Seelen-Nest, das sie nie als Stadt anzuerkennen bereit war. Zu tief saß die Trauer, zu unwiederbringlich war der Verlust. Der Wecker gehörte zu dem wenigen, was ihr aus der Heimat geblieben war. Sie hing an ihm, denn er hielt in ihr wohl beides wach: die Erinnerung und den Schmerz. Später verwirrten sich ihre Sinne. Immer öfter lief sie weg, doch sie wusste genau wohin: heim. Sie wollte in die Heimat.
Während für sie der zerbeulte Blechwecker ein Schatz war, hing ich an anderen Dingen: ein winziges Büchlein, das mir jemand geschenkt hatte. Das Kästchen mit den roten, gelben und grünen Spielfiguren, die ich in langen Umzügen über den Tisch wandern ließ. Das buttergelbe Osterküken, der Windmüller zum Hineinblasen und die Kurrende, mit denen meine Mutter je nach Jahreszeit die Wohnung dekorierte und die alljährlich mit Spannung aus ihren Schachteln geholt wurde. Materiell gesehen war das meiste nicht der Rede wert. Dennoch waren es Schätze, an denen ich mich immer wieder erfreute.
Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz, sagt Jesus. Schätze haben tatsächlich etwas mit dem Herzen zu tun. Wir brauchen etwas, was das Herz erfüllt und erwärmt. Das sind meistens die kleinen, unscheinbaren Dinge, das Foto von der Geliebten, der Kieselstein in der Hosentasche. Nur die Werbung suggeriert, dass wir viel Geld brauchen, um das Glück zu kaufen. Wenn Kinder (oder Erwachsene) zu viel haben, wird alles austauschbar und nichts mehr wert. Oder sie haben nie Bindungen entwickeln können, weil das, was ihnen lieb war, mit Füßen getreten und sie selbst missachtet wurden.
Jesus empfiehlt, sich „Schätze im Himmel“ zu sammeln, Schätze, die nicht kaputtgehen können. Was uns wirklich reich macht, tragen wir in uns. Das bleibt auch dann, wenn sich unsere Lebenssituation verändert. Was wir im Herzen haben, kann uns niemand wegnehmen. Herz-Schätze.
Eine 82-jährige Witwe schrieb mir, wie Lieder und Psalmen sie auf ihren Spaziergängen bereichern: „Auf meinen ‚Gängen um den Teich’ singe ich innerlich einen nach dem anderen, vergleiche eventuell daheim und bin glücklich über diese Schätze. Wie sehr möchte ich allen anderen einsamen alten Menschen raten, auch jetzt noch im Alter zu beginnen, Bekanntes aufzufrischen und einen Schatz anzulegen.“Welche Schätze würden Sie gerne anlegen?
In allem, was wir tun und denken, strahlen wir aus. Wir gestalten Gottes Schöpfung und vermehren ihre Schönheit. Wir tragen dazu bei, ob kostbare Güter wie Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität wachsen, Gottes Reich. Es beginnt damit, dass wir solche Schätze in unseren Herzen tragen. Herzschätze. Beginnen wir zu sammeln und zu vermehren.
Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. (Lukas 12,34)
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