Liebe BewohnerInnen, liebe Mitarbeitende, liebe Angehörige und Gäste! Unweit von meinem Heimatort stand abgelegen im Wald ein einsames, altes Gehöft, umgeben von duftenden Wiesen und Obstbäumen, der Wellershof. Meine Mutter nahm mich einmal mit dorthin. Ich bestaunte die schweren, geschnitzten Möbel und die runzlige alte Frau, die Wellersbäuerin. Sie hatte seit ihrer Geburt dort gelebt wie vor ihr ihre Eltern und Voreltern. Inzwischen wird sie lange tot sein. Aber der Wellershof hat die Menschen über Generationen unter seinem Dach behütet und beschützt.
So bodenständig sind wir heute nicht mehr. Die Leute heute ziehen öfter um, weil sich ständig was ändert: die Arbeit, die Beziehungen, die Gesetze. Manche von Ihnen wurden auch hin- und hergeschoben, von einem Heim ins andere. Wer kann da Wurzeln schlagen und sich zu Hause fühlen?
Heute feiern wir, dass diese Häuser vor 10 Jahren eingeweiht wurden. Manche von Ihnen können sich noch an den Umzug aus Rottleberode erinnern. Wir feiern, weil diese Häuser eine dauerhafte Heimat werden sollten. Sie sollten keine weitere Zwischenstation sein, sondern eine Bleibe auf immer. Sie sollten Raum bieten, das Leben zu gestalten und zu feiern.
Ich glaube: Gott ist wie ein solches sicheres Haus. Gott behütet und beschützt uns wie ein großes Haus. Jesus hat einmal gesagt: In Gottes Haus sind viele Wohnungen.
So ähnlich wie mit dem Haus und den vielen Wohnungen ist es ja auch bei Ihnen: Sie alle haben ein Zimmer, hier oder in der Außenwohngruppe, allein oder zu zweit. Diese Ecke, dieses Zimmer ist Ihr eigenes. Da können Sie sich einrichten, Poster an die Wand hängen, ein Foto ins Regal stellen oder ein Kuscheltier aufs Bett. Das Zimmer trägt Ihre Züge, denn Sie haben es gestaltet und bewohnen es. In Gottes Haus sind viele Wohnungen. Alle haben wir unseren Platz . Alle gehören dazu. Gott will für alle Heimat sein. Bei Ihnen ist kein Zimmer wie das andere, sie sind so unterschiedlich wie wir selbst. Die einen ordentlich, pingelig, die anderen genial, die einen mit Sinn fürs Schnörkelige und Gemütliche, die anderen eher nüchtern.
Es sind viele Wohnungen. Lauter verschiedene. Das ist auch bei Gott so. Niemand muss so sein wie die anderen. Es müssen nicht alle gleich sein. Im übrigen wäre es doch schrecklich langweilig, wenn alle die gleiche Meinung haben, das gleiche denken, das gleiche sagen, das gleiche können oder mögen. Jede/r ist anders, und jede/r ist darum etwas ganz Besonderes. Mit unseren Stärken und Schwächen ergänzen wir uns. Was der eine nicht kann, dort hilft die andere. Und das Haus beschützt alle.
In Gottes Haus sind viele Wohnungen, und alle sind unterschiedlich. Trotzdem gehören wir alle zusammen. Trotzdem ist es e i n Haus, eine Gemeinschaft. Wir leben nicht nebeneinander darin, sondern miteinander. Wir helfen uns gegenseitig, wir unterstützen uns, wir nehmen Anteil aneinander, wir weinen und lachen zusammen.
Zwei Häuser mit vielen Wohnungen. Wir können die Tür hinter uns zumachen. Manchmal möchten wir allein sein. Dann ziehen wir uns zurück. Und dann öffnen wir die Tür, kommen heraus, besuchen einander, laden jemanden ein. Alle, die hier aus- und eingehen, gestalten das Leben in unserem Haus. Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeitende, Angehörige und Gäste. Alle prägen es. Alle tragen dazu bei, dass ein guter Geist im Haus wohnt, Gottes Geist
Das ist ja am wichtigsten in einem Haus: wie es drinnen zugeht. Dass sich niemand ausgeschlossen fühlt. Dass wir uns versöhnen, wenn wir uns gestritten haben. Dass niemand Angst haben muß vor den anderen oder gar Gewalt erfährt. Wir wünschen uns, dass Frieden und Liebe in unseren Häusern wohnen, dass die Freundlichkeit schon aus den Fenstern winkt und das Lachen herausschallt.
In Gottes Haus sind viele Wohnungen, und das Haus hat Türen und Fenster nach draußen. Niemand wird eingesperrt, auch bei Ihnen nicht. Wer hier wohnt, soll herauskommen können, Kontakte nach draußen knüpfen, soll sich hervor wagen und eigene Erfahrungen sammeln. Frischer Wind von draußen tut immer gut. Sonst wird es muffig.
Manche träumen sogar davon auszuziehen, sich ein eigenes Zuhause zu schaffen. Was heißt Zuhause? wann sind wir zu Hause? Sind es die Eltern? Sind es die eigenen 4 Wände? Sind es die Menschen?
Für jede/n etwas anderes. Aber wir alle sehnen uns nach einem Ort, wo wir sagen können: Da gehöre ich hin. Da kann ich leben, und da werde ich vielleicht einmal sterben.
Wie oft wir noch umziehen in unserem Leben, das weiß heute niemand. Aber selbst wenn sich alles verändert – Gott will für uns ein Haus sein, das bleibt, eine Heimat, zu der wir immer wieder zurückkehren können. Gott will uns Halt geben, uns behüten und beschirmen, so sicher, wie es der Wellershof für die alte Frau war und für ihre Eltern und Voreltern auch. Bei Gott dürfen wir immer geborgen sein. Gottes Haus hat viele Wohnungen, und es ist Platz für uns alle.
Komm, bau ein Haus, das uns beschützt, pflanz einen Baum, der Schatten wirft, und beschreibe den Himmel, der uns blüht. Amen.
Predigt zum 10-jährigen Jubiläum des Wohnheims für Menschen mit Behinderungen am 9.7.2005
Weitere Predigten in der Trinitatiszeit: hier
Predigten im Jahreslauf: hier