Heilige – der Kaufmann Johann Grötzinger

Der Kaufmann Johann Grötzinger in der Grauengasse wunderte sich, als er eine Mahnung von der Kirchenkasse im Briefkasten  vorfand. Er sei, las er, mit der Kirchensteuer im Rückstand und solle sie binnen 8 Tagen überweisen, sonst würde sie durch’s Finanzamt eingezogen werden. Der Kaufmann Johann Grötzinger schüttelte den Kopf, denn er war ein korrekter und ehrlicher Mann und keineswegs ein säumiger Zahler. Seine kaufmännische Ehre bedeutete ihm viel. So setzte er sich an sein Pult, schraubte seinen Federhalter auf und schrieb. „Als Glied der Bekennenden Kirche habe ich den Betrag ordnungsgemäß an die Treuhandstelle Gerth eingezahlt.“ Unten setzte er noch seine Unterschrift und das Datum: 30.9.36. So schickte er den Vordruck an die Gemeinde zurück.

Damit war der Fall für ihn erledigt, und er wandte sich wieder seinem Geschäft zu, einer Mosterei. „Grötzingers Süßmost, naturrein“. Sein Apfelsaft war gefragt. Freilich hatte er das Keltern erst 1930 erlernt, die Räume waren eng. Aber er hatte ein 2. Standbein gebraucht. Seine Buchhandlung am Harz warf nur wenig ab, seit 1933 noch weniger. Er verkaufte keine nationalsozialistischen Schriften, seine distancierte Haltung war stadtbekannt. Schwere Zeiten für eine evangelische Buchhandlung. Die Mosterei war da um ein mehrfaches einträglicher.

Bekannt war auch, dass er zu den Getreuen der Bekennenden Kirche in Sangerhausen gehörte. Er war im Sangerhäuser Bruderrat, zusammen mit Pfr. Orphal und seinem Freund Alban Hess, Buchhändler in der Göpenstraße. Der Kirchenkampf zog einen Riß mitten durch Sangerhausen und die Jacobigemeinde. Die meisten passten sich an. Pfr. Orphal hatte fast den gesamten Gemeindekirchenrat gegen sich, einschließlich des Superintendenten Franckh. Franckh hatte ihm sogar den Vorsitz im Gemeindekirchenrat abspenstig gemacht und sich selbst zum Vorsitzenden gemacht. Die beiden Buchhändler gehörten zu denen, die Pfr. Orpal die Treue hielten. Montags war Bibelstunde im Pfarrhaus Markt 22, über 20 Leute kamen.

Bekennen bedeutete für Johann Grötzinger nicht nur etwas glauben und eine Meinung haben. Als Kaufmann war er nicht nur im Großen treu, sondern auch im Geringsten. Also beim Geld. Die Bekennende Kirche sammelte eigene Kollekten ein, nicht für deutschchristlich gefärbte Veranstaltungen. Und seine Kirchensteuer hatte Grötzinger korrekt an das Treuhandkonto der Bekennenden Kirche überwiesen. So war es vom Provinzialbruderrat in Magdeburg angeordnet. So hatte es Grötzinger gemacht. Auf Heller und Pfennig genau.

Ein paar Wochen war Ruhe. Dann flatterte ihm wieder ein Brief ins Haus. Diesmal vom Finanzamt. Johan Grötzinger musste sich setzen, als er die Zeilen überfolg: rückständige Kirchensteuer. Androhung der Pfändung. Das tat weh. Schließlich war er ein treues Gemeindeglied. Betrieb eine evangelische Buchhandlung. Und der Gemeindekirchenrat behandelte ihn wie einen säumigen Schuldner und hetzte ihm das Finanzamt auf den Hals.

In dieser Nacht wälzte er sich unruhig in seinem Bett hin und her. Sollte er klein beigeben? Er entschied sich, formal zu argumentieren. Das Finanzamt war schließlich eine Behörde. So setzte er sich am nächsten Morgen an sein Pult und antwortete dem Finanzamt folgendermaßen.

„Ich muß gegen die Absicht der Pfändung Einspruch erheben. Begründung: Der Ihnen erteilte Auftrag entbehrt der Rechtskraft. Der Auftrag ist nicht von dem rechtmäßigen Vorsitzenden des GKR , Pfr. Orphal, unterzeichnet, sondern von Sup. Franckh, der … sich den Vorsitz in diesem Gremium anmaßt bzw. sich gegen sein besseres Wissen von einer Gruppe aufdrängen lässt. Es… ist nicht angängig, dass Gruppen, die sich selbst als staatstragende Kräfte bezeichnen, Anordnungen von staatlich eingesetzten Kirchenämtern übergehen, wie es der „GKR“ der Jacobigemeinde tut…
Zur Sache selbst bemerke ich, dass … der Kirchensteuerbetrag auf das Treuhandkonto der Bekennenden Kirche bei Rechtsanwalt Gerth eingezahlt wurde.“

Das war mutig. So etwas hatte der zuständige Finanzbeamte noch nie erlebt. Aber er konnte damit überhaupt nichts anfangen und war hoffnungslos überfordert. Wer war denn nun Gemeindekirchenrat? So schickte er eine Abschrift von Grötzingers Brief an die Kirchengemeinde und bat um Stellungnahme. Die Pfändung setzte er vorerst aus.

Die Antwort des Gemeindekirchenrats ließ auf sich warten. Aber sie fiel völlig anders aus, als irgend jemand nur hätte vermuten können.

„An den Herrn Leiter der Amtsanwaltschaft in Nordhausen

Strafantrag
1.
des Superintendenten
2.
der Kirchenältesten der Jacobgigemeinde
gegen den Geschäftsinhaber Joh. Grötzinger, Grauengasse 1.

Im Schreiben an das Finanzamt vom 14.11.36 beleidigt der Beschuldigte

  1. a) den Superintendenten… und die Kirchenältesten… durch die Behauptung, daß sie … den Weisungen der Kirchenausschüsse … zuwiderhandeln
  2. b) den Superintendenten… durch die Behauptung, er habe sich den Vorsitz des Gemeindekirchenrates gegen sein besseres Wissen von einer Gruppe aufdrängen lassen,
  3. c) die Parteigenossen, die dem Gemeindekirchenrat angehören, durch die Behauptung, dass sie dem Superintendenten den Vorsitz aufgedrängt hätten.

Der Superintendent… und die… Kirchenältesten… stellen gegen den Geschäftsinhaber Joh. Grötzinger in Sangerhausen wegen der Beleidigungen… hiermit Strafantrag.“

Hätte der Kaufmann Johann Grötzinger ahnen können, dass aus der Kirchensteuer, die er an die Bekennende Kirchen zahlte, eine Beleidigungsklage werden würde – wo jedermann wusste, dass es hierzulande KZs gab? Hatte er bedacht, welche Konsequenzen sein Glauben haben würde, dass sein Eintreten ihm so viel Leid einbringen würde?
In diesem Fall sollte es für ihn noch einmal glimpflich abgehen. Der Gemeindekirchenrat fürchtete, dass die Sache keine Aussicht auf Erfolg haben würde, und reichte die Klage doch nicht ein.

Die Gestapo war ihm aber auf den Fersen, ein paar Jahre später schnappte die Falle zu. Er kam nach Halle in den Roten Ochsen, 7 Monate lang, fast die ganze Zeit Einzelhaft. Erst nach 6 Monaten wurde ihm die Anklageschrift zugestellt. Vorwurf: „gedanklich mögliche Handlungen“. Der BK-Anwalt verteidigte ihn, er wurde freigesprochen. Doch seine Gesundheit war angeknacktst und die seiner Frau noch mehr. Die hatte die Mosterei alleine weiterführen müssen, die 25-l-Ballons heben. Noch kurz vor Kriegsende starb sie an den Folgen.

Der Magdeburger Bischof Ludolf Müller, im 3. Reich selbst im Bruderrat, bescheinigte ihm Jahre später, „daß Herr Grötzinger stets unerschrocken für die Belange der Bekennenden Kirche eingetreten ist und alle damit verbundenen Schwierigkeiten in Kauf genommen hat. Herr Grötziger war wegen seines tapferen Eintretens für die BK etwa ½ Jahr lang in Haft genommen. Während dieser Zeit ist er mehrfach Hafterschwerungen unterworfen gewesen.“
Heute kennt in Sangerhausen wohl niemand mehr seinen Namen. Das liegt daran, dass er nach dem Krieg unbequem wurde – übrigens ebenso wie der Buchhändler Alban Hess. 1948 half Sup. Rohkohl ihm bei der Flucht in den Westen. Es war höchste Zeit. Ein paar Tage später standen sie vor seiner Tür und wollten ihn abholen.

Ich bin auf Johann Grötzinger nur gestoßen, weil der Briefwechsel z.T. erhalten geblieben ist. An seinem Beispiel können wir erahnen, was es bedeuten konnte, sich zur Bekennenden Kirche zu halten. Sein Schicksal steht für die vielen, deren Namen wir nicht wissen. „Einfache Gemeindemitglieder“ wie er haben Angst, Ausgrenzung und materiellen Verlust riskiert, sie haben mit ihrem Mut, mit ihrem Einsatz, ihrer Zeit, ihrem Geld, ihrer Kraft dazu beigetragen, dass Kirche in Sangerhausen sich nicht völlig angepasst hat, sondern Jesus nachgefolgt ist. Daran wollen wir uns 60 Jahre nach Kriegsende auch erinnern.

Hochaltar
Hochaltar

Wir sitzen heute mit Blick auf den schönen gotischen Heiligenaltar mit den zwanzig geschnitzten Figuren. In der alten Kirche hießen die Heiligen Märtyrer. Martyrein bedeutet leiden und bekennen. Das gehört zusammen. Vom Bekenntnis und vom Blut der Zeugen lebt die Kirche.

Wo ist heute mein Mut gefragt? Wo ist es heute nötig, dass ich mein Gesicht zeigen? Was ist mir so wichtig, dass ich bereit sind, dafür auch Nachteile in Kauf zu nehmen? Was bin ich heute bereit einzusetzen? So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Epheser 2,19)
In der evangelischen Kirche sind Heilige nicht nur die Figuren, die auf den Altären stehen. Wir alle sind Heilige, sollen Heilige sein, auch wenn wir unvollkommen sind. Wir alle können Gott bezeugen.

Johann Grötzinger steht für die Heiligen, die in keinem Altar abgebildet sind. Er erinnert daran, wie „normale“ Gemeindemitglieder für ihren Glauben eintreten, selbst unter Druck. Er macht uns Mut, dass auch wir glaub-würdig leben. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.

 

Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis zu Epheser 2,19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.

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