Die Eltern von sieben Kindern haben mir einmal erzählt, dass sie ihre Kinder manchmal gesegnet haben. Einfach so, ohne besonderen Anlass. Die Kleineren sind zu Mutter oder Vater gelaufen, die Eltern haben sie umarmt, gedrückt, die Hände auf die kleinen Köpfe gelegt und sie gesegnet. Die Kinder müssen gespürt haben, dass das besondere Momente waren, denn die Älteren sind dann manchmal auch gekommen und wollten ebenfalls gesegnet werden. Von Zeit zu Zeit kam das also vor. Es hat offensichtlich beiden Teilen gut getan, Eltern und Kindern.
In einer Familie aufwachsen, wo es so zugeht, das tut natürlich wohl und ist ein Geschenk. Von klein auf haben die Kinder erfahren, dass sie behütet sind und dass Segen nichts Fremdes oder Abgehobenes bedeut, sondern sie mitten in ihrem Alltag umgibt: Sie haben ein Zuhause. Menschen wenden sich ihnen zu, interessieren sich für sie, fordern sie heraus, brauchen sie. Sie erleben Angst, Krankheit, Misserfolge wie jeder Mensch, aber sie erleben auch: ich werde getröstet und es geht weiter.
Ich habe die Familie bewundert und ein wenig beneidet. Dabei haben die Eltern keineswegs in jedem Gottesdienst gesessen oder täglich Bibel gelesen. Aber sie haben sich getraut, ihren Kindern die Hände aufzulegen. Das ist eigentlich nichts besonders Kompliziertes. Im Gegenteil. Und indem sie ihren Kindern das weitergegeben haben, wurden sie zudem selbst bereichert. Dennoch – der Mut der Eltern hat mich beeindruckt, denn wo wir Segen zuhause praktiziert! Er ist weitgehend aus dem Alltag in die Kirche verschwunden und in die Hände von „Fachpersonal“ gelegt. Dabei war es in früheren Zeiten durchaus üblich, dass die Eltern den Kindern ihren Segen mitgeben, wenn sie auf eine Reise gingen, eine Ausbildung begannen oder heirateten. Auf dem Totenbett haben sich die Sterbenden von ihren Familien verabschiedet und sie gesegnet.
Ich habe beobachtet, wie bewegend es für Menschen sein kann, wenn sie persönlich gesegnet werden. Natürlich endet jeder Gottesdienst an jedem Sonntag mit dem Segen. Alle, die durch die Kirchentür hinausgehen, dürfen wissen: ich bin gesegnet in dem, was mir bevorstehe, wenn ich heimgehe. Wir wissen es. Das müsste genügen – und genügt uns doch nicht. Selbst Brautpaare, die mit dem, wie es bei uns in der Kirche zugeht, kaum etwas anfangen können, möchten manchmal in der Kirche heiraten. Es ist irgendwie schöner, sagen sie. Hinter ihren Worten verborgen steckt die Sehnsucht nach etwas anderem, für das sie keine Worte haben, nur eine Ahnung. Sie brauchen eine Vergewisserung, dass sie auf dem gemeinsamen Weg nicht allein sind und dass Liebe Frucht trägt.
Die Bibel erzählt davon, wie Menschen einander segnen. Sie berichtet auch, wie kostbar und wirkungsvoll dieser Segen sein kann und welche Kraft etwa dem Erbsegen, dem letzten Segen der Eltern, innewohnen kann. Wir können und sollen einander zum Segen werden. Die Bibel ruft uns sogar auf, Gott zu segnen. An vielen Stellen, wo es heißt „dankt Gott“ oder „lobt Gott“, steht eigentlich im Hebräischen das Wort „segnet“ (barakh). Segnet Gott, preist Gott.
Gerade bei der Goldenen Konfirmation schauen wir zurück, was die Jahre aus uns und was wir aus den Jahren gemacht haben. Verborgen im Gleichklang des Alltags und im Auf und Ab der Jahre sind Spuren in unserem Leben gelegt. In den Menschen, die uns begegnen, in Herausforderungen, in all den Freuden und Leiden der Jahre hat Gott den Segen für uns sozusagen eingewickelt und versteckt. Wir können die verborgenen Chancen entdecken und daran reifen, können dankbar werden für die großen und kleinen Geschenke des Lebens. Dankt Gott, segnet Gott!
Segen ist keine Einbahnstraße. Gesegnet werden wir erst sein, wenn Segen auch von uns ausgeht. Menschen, die alles haben und festhalten wollen, sind nicht wirklich frei. Wer immer nur auf das schaut, was den anderen gegeben ist und was vielleicht im eigenen Leben fehlt, wird bitter oder griesgrämig. Doch von Menschen, die dankbar sein können, auch wenn sie Schweres erlebt haben, geht etwas aus.
„Gott redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet…“ Segen wird hier nicht scheibchenweise zugeteilt und ängstlich beschränkt. Sondern er wird weitergegeben und geteilt und verschenkt über viele Hände und Münder: Gott, Mose, Aaron, die Israeliten.
Wer darf wann wen segnen, diese Frage passt hier überhaupt nicht. Dennoch wurde Segen immer wieder an Bedingungen geknüpft und verweigert. Vor 50 Jahren hieß es: Jugendweihe oder Konfirmation, und Sie mussten sich damals entscheiden. Segen wurde in vielen Zeiten auch zum Politikum und Machtinstrument und Zankapfel. Er wurde benutzt, um Moralvorstellungen durchzusetzen oder Menschen gefügig zu machen. Ledige Mütter, Geschiedene haben das leidvoll erfahren. Homosexuellen Paare erleben bis heute, dass sie erbitterten Streit auslösen, wenn sie gesegnet werden wollen.
Aber nicht eine Institution verwaltet und teilt Segen aus. Die Eltern von den sieben Kindern haben das nicht nur begriffen, sie haben ihn gelebt – in ihrem Alltag, in ihren Beziehung.
„Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ Heute, in der Kirche, geben wir Segen weiter, den Goldenen Konfirmandinnen und Konfirmanden besonders. Er wird wirken, ganz bestimmt. Gott begleitet und hilft uns, dass wir unseren Weg finden und gehen. Jede und jeder von uns hat die Gabe, Segen um sich herum zu verbreiten, eine Atmosphäre, in der Menschen stark und froh werden. Jede und jeder kann etwas beitragen zu einer Welt, in der Gerechtigkeit gedeiht. Wir können einander die Hände auflegen, den Kindern, Enkeln, Geliebten, Weggefährten. Wir können uns umarmen und Mut zusprechen. Wir können aufstehen und für die Wahrheit einstehen. Wir können Gottes Namen auf die Welt legen.
gedeckter tisch
die teller die gläser
feldblumen im krug
heda endzeitgenossen
wann wenn nicht jetzt
wollt ihr das zeitliche
segnen
(Kurt Marti)
Predigt zur Goldenen Konfirmation (Trinitatis) über 4. Mose 6, 22-27
Andere Predigt über 4. Mose 6,22-27: Segen, eine jüdische Tradition
Predigten zu Himmelfahrt, Pfingsten und Trinitatis: hier
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