Es gibt Leute, die zu Ostern nicht sofort Halleluja singen. Sie befinden sich in guter Gesellschaft. Die Frauen am Ostermorgen gehören auch dazu. Sie gehen zum Grab. Sie sind erste Zeuginnen der Auferstehung. Sie verbreiten die Nachricht und werden ihre ersten Verkündigerinnen und Apostelinnen. Aber von Jesus-lebt-Rufen oder Glaubensbekenntnissen keine Spur. Stattdessen erzählt das Markus-Evangelium, das älteste der vier Evangelien, von Zittern und Entsetzen und endet mit „denn sie fürchteten sich“. Das erscheint wie ein Kontrapunkt zur Weihnachtsgeschichte, als der Engel zu Maria trat und ihr die Schwangerschaft ankündigte und später zu den Hirten auf dem Feld: Fürchtet euch nicht. Das war der Anfang. Und am Ende – oder am Anfang, am Neuanfang? – wieder Furcht, im Griechischen übrigens Phobos, wir kennen es aus dem Wort Phobie, Klaustrophobie etwa – die Angst vor geschlossenen Räumen, oder Homophobie. Es ist verwirrend.
Wahrscheinlich haben die Frauen genau das erlebt: etwas Verwirrendes, etwas, was in kein Schema passte und ihre Welt aus den Fugen brachte. Es war so anders, dass es sich kaum in Worte fassen ließ, geschweige denn für andere deutlich machen ließ: das leere Grab, die Gestalt des jungen Mannes im weißen Gewand, seine Worte und Aufgaben an sie. Der Kern war: Jesus ist nicht bei den Toten. Jesus lebt.
Die Männer glaubten den Jüngerinnen nicht. Als „Geschwätz“ tun sie es im Lukasevangelium ab (24,11). Verrückte Frauen, und sie erzählen verrückte Sachen. Verrückte Ostern. Genau das ist Ostern: eine ver-rückte Welt. Die Welt wurde aus den Fugen gerückt. Oder sie wurde zurechtgerückt. Und sie sehen es plötzlich. Da ist etwas anderes passiert, als dass sie über etwas Wichtiges im Glauben aufgeklärt worden sind, etwa das Leben nach dem Tod. Darüber kann man / frau hitzig diskutieren, es für wahr halten oder nicht. Doch von einer bloßen Information über eine interessante oder strittige Frage wird niemand verrückt oder so durcheinander, wie es von den Frauen erzählt wird. Was sie an diesem Sonntag erlebt haben, Auferstehung, hat mit ihnen selbst zu tun, mit ihrem Leben, und verändert ihrer Welt. Deshalb sind sie aus dem Tritt. Die Freude darüber kommt später.
Wo erleben wir solche Umwälzungen? Unsere Ostergeschichten heute werden ganz andere sein. Sie können erzählen, wo bei uns, im Leben eines Menschen, in unserer Gesellschaft, die Welt ver-rückt wurde. Sie werden davon erzählen, was Menschen einengt und niederdrückt, wie sie aufstehen, aufblühen und ihre Fesseln abschütteln. Es muß nicht das letzte Wort haben, wenn die Wahrheit verdreht wird, das Geld regiert oder die Waffen, dass Völker ausgebeutet und unterdrückt werden. Unsere Ostergeschichten können erzählen, wie Recht wird mitten in der Ungerechtigkeit, wie Mauern, gebaut für die Ewigkeit, fallen – wie die Mauer fällt, wie Vorurteile sich auflösen, wie sich Leben und Liebe stärker erweisen als Resignation, Ignoranz und Gewalt, stärker selbst als der Tod.
Oft sehen solche Geschichten auf den ersten Blick nüchtern aus, gar nicht nach Jubel und Auferstehung. Wenn ein Mensch sich verändert, ist das oft verwirrend, am meisten für ihn / sie. Bei Umwälzungen in einer Gesellschaft ist nicht gleich zu sehen, wohin es führt. Damals war es auch nicht anders. Die Frauen wussten nicht, was sie erwartet und wie es ausgehen würde. Wir denken, wir sind klüger, weil wir den Ausgang an jenem ersten Ostermorgen kennen. Doch wir müssen unsere eigenen Wege gehen. Wo ist unser Grab, wo sind die Frauen, die uns nachgehen, wo ist unser Ostern?
Die Frauen waren Jesus bis zum Kreuz gefolgt und haben sich eingelassen auf Schmerz und Verlust. Sie gehen noch weiter, sie gehen auch den Weg zum Grab, den Weg der Trauer und des Loslassens. Um Jesu willen, um der Liebe willen, um ihrer selbst willen haben sie sich eingelassen auf einen Weg, von dem nicht klar ist, wohin er sie führt, wie es bei großen Veränderungen oft ist. Am Ostermorgen stellt sich heraus: sie haben dabei Gott selbst gefunden! Der Weg hat sie zu Zeuginnen der Auferstehung gemacht.
Nun verbreiten sie die Nachricht von diesem Ereignis. Sie verbreiten Unruhe, und die Unruhe reicht bis heute. Das Konzept der Römer, Jesus zu kreuzigen, um die Bewegung zu zerschlagen, ist nicht aufgegangen. Die Bewegung breitete sich erst richtig aus, die Gemeinde wuchs. Gesegnete Unruhe.
Das ist das Jahresmotto der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Es erinnert an die Wende 1989 und an die Unruhe, die von Leuten ausging, die nichts hatten außer Bibelsprüchen auf den Jackenärmeln, Kerzen, Gebete, abgezogene Blätter, die von Hand zu Hand gingen. Sie trotzten der Angst vor der Stasi, gaben Informationen weiter, pflanzten Bäume, sagten Nein, oftmals jahrelang. Viele meinten: man darf den Staat nicht provozieren. Viele beobachteten den Herbst 89 hinter der Gardine. Es war nicht klar, wie die Geschichte ausgehen würde. Doch alle die, die dabei waren, erzählen von einer der intensivsten Zeiten in ihrem Leben, von Angst, Hoffnung und Aufbruch. Die Neunmalklugen, die angeblich heimlich schon immer so gedacht haben wollen, haben diesen Sog der Befreiung nie erlebt.
Auf dem Plakat steht „Gesegnete Unruhe 1989 – 2009“. Die Unruhe geht weiter, mit anderen Herausforderungen und Themen. Ostern ist nicht nur ein Ereignis vor 2000 Jahren. Es ist höchst gegenwärtig, Und Ostern geht weiter. Wohin es führt, werden wir ja sehen. Den Frauen sagte der Engel: Jesus ist nach Galiläa vorausgegangen. Jesus ist auch uns schon weit voraus. Jesus wartet in der Zukunft, und wir können darauf zugehen. Ostern ist heute. Und morgen.
Sie haben eine Osterkerze bekommen. Ein Bündel Kerzen ist auch auf dem Plakat mit dem Jahresmotto zu sehen. Es sind die Kerzen der ersten Mahnwachen in den 80-er Jahren, die die DDR in Unruhe versetzten. Es sind die Kerzen der Wende, die auch hier in der Jacobikirche brannten, vor der SED-Kreisleitung oder vor der Stasi in der Mogkstraße. Es sind die Kerzen der Friedensgebete, die wir nach dem 11. September 2001 angezündet haben oder 2003 vor dem Irakkrieg, die Kerzen unter der Gedenktafel am Rathaus für die Jüdinnen und Juden Sangerhausens, es sind die Kerzen, die wir auf den Marktplatz gestellt haben gegen den Aufmarsch von Rechtsextremen in unserer Stadt. Wir werden die Osterkerzen jetzt anzünden. Gesegnete Unruhe haben die Jüngerinnen und Jünger verbreitet und die Botschaft vom Sieg des Lebens in die Welt getragen. Dieses Licht wollen wir uns jetzt weitergeben und singen: Gelobt sei Gott im höchsten Thron 103.
Predigt zu Ostern 2009
Predigten zwischen Palmsonntag und Quasimodogeniti: hier
Predigten im Jahreslauf: hier