Oh, ein Spatz!

Oh, ein Spatz! So freute sich meine Tante vor ein paar Jahren, als wir über den Marktplatz gingen. Ich habe lange keinen mehr gesehen, erklärte sie, als sie meine verwirrten Blicke sah.
Ich stutzte und überlegte. Tauben, murmelte ich, Tauben gibt’s zuhauf. Im Kirchturm sind sie eine Plage. Die Amsel flötet manchmal draußen; Schwalben schwirren. Elstern, Mäusebussard, selbst eine Nachtigall habe ich im Mai schlagen gehört. Aber Spatzen, Sperlinge?Es stimmte, ich konnte mich in dem Moment nicht mehr genau erinnern, wann ich das letzte Mal diese frechen, tschilpenden Dinger gesehen hatte. Lag es daran, daß es inmitten der Stadt meistens staubig und laut ist? Jedenfalls seitdem halte ich Ausschau nach ihnen. Früher waren sie ja überall, zankten sich um die Krümchen, überfielen den Schulhof in ganzen Schwärmen. Im 2. Weltkrieg sollen sogar Prämien für erlegte Spatzen gezahlt worden sein. Eben Allerweltsvögel.
Solche Allerweltsvögel, daß Jesus von ihnen sagt: „Kauft man nicht zwei Sperlinge für 1 Groschen? Und doch fällt kein Spatz auf die Erde, ohne daß Gott es bemerkt.“
Das Verschwinden der Spatzen – ich bin mir sicher, daß Gott es schon lange aufgefallen ist, eher als mir. Wenn solch ein Allerweltsvogel für Gott eine Rolle spielt – sollte es mir dann egal sein, wenn die Spatzen weniger werden und die Fledermäuse und die Hasen? Seit 10 000 Jahren lebt der „Haussperling“, wie er korrekt heißt, in der Nähe der Menschen und ihrer Siedlungen. Unsere sanierten Gebäude und asphaltierten Parkplätze machen ihm das Leben schwer. 2002 ist er sogar zum Vogel des Jahres ausgerufen worden. Inzwischen hat er sich wieder erholt. 2015 zählte er sogar zu den häufigsten Vögel in Sachsen-Anhalts Gärten, noch vor Amseln.
Seitdem ich auf die Spatzen Acht habe, wird mir diese Welt immer kostbarer. Ich merke, wie ich nachdenklicher mit ihr umgehe und sorgsamer werde. Und ich freue mich über jeden Spatz, den ich entdecken kann.

Predigten in der Passions- und Vorpassionszeit: hier
Predigten im Jahreslauf: hier

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