Für diese Predigt habe ich den Gottesdienst „Ostereier für Schuldenerlaß“ von Kerstin Sommer und Dieter Heidtmann zur Grundlage genommen und umgearbeitet. In: Ostern. Gottesdienstpraxis Serie B. Gütersloh 2001, S. 77 – 86
Wir haben die Sträuße in der Kirche mit Eiern geschmückt, einige haben sie von zu Hause mitgebracht. Ei und Ostern, das gehört zusammen, es ist ein Symbol für die Auferstehung.
Als Jesus am Karfreitag starb und ins Grab gelegt wurde, war er vom Tod umschlossen wie das Innere eines Eis. Der Tod hielt ihn umfangen wie eine Eierschale. Aber Jesus ist auferstanden, er hat die Macht des Todes zerbrochen. Das Grab konnten ihn nicht gefangen halten, der Lebendige, das Leben brach sich Bahn, so wie ein Küken die Schale zerbricht und ans Licht schlüpft.
Das Ei kann uns aber auch an eine Zeit erinnern, in der das Leben der Menschen hart und bitter war und die Menschen unfrei waren, als die Bäuerinnen und Bauern ihren Grundherren untertan waren und Abgaben bringen und Frondienste leisten mußten. Jedes Jahr am Gründonnerstag wurde abgerechnet zwischen Bauern und ihren Herren. Denn früher endete an diesem Tag das Zinsjahr, das Schuldenjahr. Gründonnerstag war Zinstermin.
In der Passionszeit durften keine Eier gegessen werden. So sammelten die Bauern sie, denn Eier gehörten auch zu den Leistungen, die sie erbringen mußten. Wenn die Bauern ein gutes Jahr gehabt hatten, konnten sie alle ihre Abgaben bezahlen. Als letztes überreichten sie am Gründonnerstag ihrem Grundherrn feierlich ein rot gefärbtes Ei. Dieses Ei bedeutete: Sie hatten alle ihre Schulden bezahlt. Sie waren schuldenfei. Dieses letzte Ei, rot wie das Blut Jesu, bezeugte es.
Als das System der Grundherrschaft abgeschafft wurde, konnten die Bauern die Eiern, die sie bisher abzuliefern hatten, für sich selbst behalten. Und sie machten damit das beste, was man machen kann: Sie schenkten die gefärbten Eier, die vorher den Gläubigern vorbehalten waren, ihren Kindern. So entstand aus dem Zins-Ei unser Brauch, Ostereier zu verschenken. Später erst, als die Menschen nicht mehr wußten, woher diese Tradition kam, wanderte der Brauch, Ostereier zu verschenken, auf den Ostersonntag. Übrig geblieben ist die Tradition, mit anderen die Freude und einen Teil des Ergebnisses seiner Arbeit zu teilen, um auch andere am Segen teilhaben zu lassen, der einem selbst zuteil geworden ist.
Es ist gut, wenn wir an den Ursprung dieser Tradition erinnern, in jenen bitteren Zeiten. Die Oster-Ei-Geschichte begann mit der Gefangenschaft in Fron und Unfreiheit, und sie wandelt sich – wie die richtige Ostergeschichte – zur Befreiungsgeschichte. Das letzte, das rote Ei bedeutet Freiheit. Und beides ist miteinander verwoben, eine richtige Ostergeschichte. Bittere Abhängigkeit und die Befreiung von der Last, beides steckt in dem Ei – genauso wie Karfreitag und Ostern zusammengehören, Tod und Auferstehung. Jesus ging durch den Tod und verwandelte das Sterben in Leben.
Frondienste und Abgaben müssen wir heute nicht mehr leisten. Unfrei und abhängig fühlen wir uns trotzdem manchmal, und Schulden binden Menschen auf Jahre und Jahrzehnte hinaus. Was, wenn dann eine/r arbeitslos wird. Es fängt bei den Jugendlichen an, die in hohe Handy-Rechnungen hineinschlittern, und über die Leute, die längst den Überblick über ihre Finanzen verloren haben und alle Mahnbriefe in den Papierkorb werfen. Es geht über die Kommunen, die keinen Bewegungsspielraum mehr haben, bis hin zu den armen Ländern dieser Welt. Ihr Schuldenstand ist so hoch, dass jede Entwicklung unmöglich gemacht wird. Bezahlen müssen dafür die Armen: indem an der Gesundheitsfürsorge gespart wird, im Bildungssystem. Schulden machen unfrei, die einzelnen und die Völker. Sie nehmen die Luft zum Atmen.
Ein rotes Ei, ein letztes, das darunter einen Schlußstrich ziehen kann, das könnte alles verwandeln.
Beim Abendmahl singen wir: Christe, du Lamm Gottes (auch ein Ostersymbol, das Osterlamm), der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser. Das Osterlamm trägt die Schuld; das Ei ist das Zeichen der Freiheit von Schulden. Mehr noch als Schuld und Schulden gehören Vergebung und Entschuldung zusammen.
Jesus, das Osterlamm, ist durch den Tod gegangen und hat ihn verwandelt. Er will uns daran Anteil geben, damit auch heute die Fesseln springen, die inneren und die äußeren. Schuldnerberatung der Diakonie bei der ABI, die Erlaßjahr-2000-Kampagne sind ebenso Zeichen dafür wie das Abendmahl.
Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser. Beim Abendmahl werden die Konfirmand_innen heute rote Eier verteilen. Auch unsere eigenen persönlichen Geschichte sind nicht so strahlend und makellos, wie wir es uns so gerne wünschten. Sie sind auch brüchig und belastet von Zwängen und Unfreiheit, von Bitterkeit und Tränen, von Schuld und Schulden. Aber sie soll sich wandeln in Geschichten von Befreiung und Leben. Was auf uns lastet, soll sich wenden. Im Osterlamm und –ei sollen unsere Geschichten zu Ostergeschichten werden. Das sind gerade nicht die perfekten, sondern solche, wo aus dem Unvollkommenen das Leben sich herausrankt und aufsteht und neu ordnet.
Die Bauern damals mußten Abgaben bringen. Wer heute zum Abendmahl kommt, muß nichts bringen, sondern bekommt ein Ei geschenkt. Denn Gott beschenkt uns. Gott legt uns Leben und Neuanfang sozusagen wie ein Osterei in unsere Hand. Wir dürfen es annehmen, wir dürfen es begreifen und uns daran erfreuen, es nach Hause tragen, es hüten und weitergeben. Jesus ist auferstanden.
Predigt zu Ostern 2003
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