Liebe Schwestern und Brüder, das ist einer der großen Träume der Menschheitsgeschichte, Martin Luther Kings Worte auf dem Marsch nach Washington 1963. Vor 50 Jahren begann dieser Traum wahr zu werden.
Er begann, Gestalt anzunehmen – nicht mit einer Umwälzung von oben, einer Regierungsumbildung, neuen Gesetzen oder einem internationalem Gipfeltreffen. Noch durch einen Aufruhr oder eine Revolte von unten, Gewalt und Blutvergießen. Er begann am 1. Dezember 1955, mit einer Frau, die müde von der Arbeit kam. Rosa Parks, eine farbige Näherin aus Alabama im Süden der USA, dort, wo es getrennte Abteilungen in Bussen Behörden und Restaurants gab und wo die Schilder „für Neger verboten“ sichtbare und unsichtbare Zäune durch die Gesellschaft zogen.
An diesem Donnerstag kaufte Rosa Parks ihre Fahrkarte beim Fahrer, stieg aus und zur Hintertür wieder ein. Ein einziger Sitz war frei, am Ende der für Weiße reservierten Plätze. Dort setzte sie sich. Sie stand auch dann nicht auf, als nach ein paar Stationen ein weißer Fahrgast den Platz beanspruchte. Sie war der Demütigung einfach müde. Sie weigerte sich. Der Fahrer holte die Polizei, Rosa Parks kam ins Gefängnis.
Am nächsten Montag begann das, was als Busstreik von Montgomery die Geschichte verändern würde. 381 Tage lang boykottierten die Farbigen die Busse der Stadt. 381 Tage lang gingen sie zu Fuß zur Arbeit, fuhren mit dem Rad, bildeten Fahrgemeinschaften, mieteten Sammeltaxis. Am Ende gab ihnen das Oberste Gericht recht. Die Rassentrennung musste aufgehoben werden, auch im Bus. Am 382. Tag früh um 5.45. Uhr trafen sich Rosa Parks, Martin Luther King und einige andere an der Bushaltestelle vor Kings Haus. Die Scheinwerfer kündigten den 6-Uhr-Bus an. Die Gruppe nahm auf den vordersten Sitzen Platz.
Der Busfahrer begrüßte sie: „Sie sind doch Dr. King, nicht wahr?
Wir freuen uns, dass Sie heute morgen mit uns fahren.“ Dieser 21. Dezember 1956 war ein Test und er wurde zum Fest.
Begonnen hat es unscheinbar, am 1. Dezember 1955.
Rosa Parks hat sich nur nicht mehr abgefunden damit, wie es war. Sie hat nicht mehr selbstverständlich hingenommen, was eigentlich eine tiefverwurzelte Ungerechtigkeit und Entwürdigung war.
Die andere Welt beginnt im Kopf. Sie beginnt damit, dass das Selbstverständliche zur Frage wird.
Rosa Parks hatte keinen Plan oder gar ein Programm. Sie fing einfach an. Sie dachte Nein, und sie blieb buchstäblich dabei sitzen. Und es zog Kreise. und veränderte eine ganze Gesellschaft.
Wovon träumen wir? Was sind unsere Visionen? Haben wir überhaupt Träume? Oder haben wir uns abgefunden mit der Welt im Jahr 2005 – obwohl wir doch 1989 gemerkt haben, wie schnell eine ganze Weltordnung in sich implodieren kann? Glauben wir wirklich daran, dass der Markt regiert , dass die Renditen steigen müssen, dass der Niedriglohnsektor ausgebaut, die Rechte, die Schwächere schützen, abgeschafft werden müssen? Glauben wir, dass wir als Preis die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Nord und Süd in Kauf nehmen müssen? Wem kommt das eigentlich alles zugute? Wer kriegt was? Glauben wir wirklich, dass unsere Weltordnung und auch unser Land nur durch ständiges Wachstum überlebensfähig ist und wir deshalb die Schöpfung und uns selbst gnadenlos ausbeuten und verschmutzen müssen? Eine menschliche Welt sieht anders aus.
Trauen wir uns zu träumen! Trauen wir uns, anders zu denken. Fangen wir einfach an, auch wenn wir – wie Rosa Parks – keinen Plan oder kein Programm haben.
Liebe Schwestern und Brüder, Gott hat uns aufgerufen, an der neuen Welt mitzubauen. Martin Luther King hat in seiner Rede die Vision des Propheten Micha zitiert, dass an der Wende der Zeiten die Völker zusammenkommen und ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden, dass alle friedlich unter ihrem eigenen Feigenbaum sitzen und genug für alle da ist. Diese Vision gilt auch für uns. Sie hilft uns, hinauszudenken über das, was wir um uns herum sehen und hören. Sie regt uns an zum Träumen, wenn unsere Phantasie versagt, zum Weiterdenken, wenn wir mit unseren Ideen am Ende sind. Sie hilft uns, Visionen für unsere Zeit zu entwickeln. Nur das Bestehende fortzusetzen und für das Wahre zu halten ist nicht biblisch.
Aber wie soll das denn gehen? Wie sollen die Völker an einen Tisch kommen, im Irak, in Nigeria, in Tschetschenien. Wie sollen sie Schwerter zu Winzermessern und Getreidesicheln umschmieden, wo sich doch damit glänzend verdienen lässt und auch die Rüstungsindustrie in Deutschland davon profitiert und uns dann noch vorrechnet, wie viele Arbeitsplätze sie schafft? Wie soll das denn gehen, dass die Verarmung der öffentlichen Kassen aufhört und unser Gemeinwesen wieder seiner eigentlichen Bestimmung nachkommt, nämlich die Schwachen zu unterstützen? Denn dafür zahlen wir doch unsere Steuern!
Druckfrisch erschienen ist ein Buch des Diakonischen Werkes, in dem nachgewiesen wird, dass unsere Wirtschaft keineswegs lahmt, aber Reichtum kommt nur wenigen zugute. Wir verteilen um. Von unten nach oben.
Wie soll das denn gehen? Ich weiß es nicht. Aber die Frage ist eine Falle, eine Fangfrage, nicht ernst gemeint. Wie soll das denn gehen, das ist meist ein Argument, es beim Alten zu belassen und gar nichts zu tun. Zu grummeln und sich zurückzuziehen auf ein „wie soll das denn gehen“, das ist immer einfacher und bequemer als sich etwas Neues auszudenken und andere Wege auszuprobieren. Wie soll das denn gehen, dieser Einwand kommt denen wie gerufen, die von den bestehenden Zuständen profitieren
Wie soll das denn gehen, diesen Einwand hat auch Jesus immer wieder gehört. Selbst seine Jünger sprachen so. Sie konnten sich die neue Welt Gottes nicht vorstellen. Sie stellten diese Frage, wenn es um das Entscheidende ging, um die Auferstehung. Es ist auch heute die Frage an unseren Glauben. Halten wir daran fest? Halten wir uns an den Verheißungen Gottes fest und seiner verwandelnden Kraft– auch wenn wir jetzt noch nichts sehen und wenn es unsere Vorstellungskräfte übersteigt? Vertrauen wir der Kraft der Auferstehung – das war bei Jesus die Frage und ist es heute auch.
Der Weg kommt beim Gehen, das haben in der DDR z.B. die Friedensfrauen oder manche in Friedensgruppen gesagt. Der Weg kommt beim Gehen, auch wenn wir jetzt noch nicht wissen, wo er uns hinführt. Dieser Satz hat geholfen gegen die Mutlosigkeit, weil das System so starr, die Bonzen so borniert waren und wir uns wund gescheuert haben. Der Weg kommt beim Gehen.
Solch ein Weg hat vor 25 Jahren begonnen. Im November 1980 wurde die erste Friedensdekade begangen, und auch da konnte niemand ahnen, welche Eigendynamik sich entwickeln würde. Die alten Worte des Propheten Micha begann zu leuchten. Schwerter zu Pflugscharen. Junge Leute von 15, 18, 20 Jahren haben sie als Aufnäher in Schulen, Lehrbetriebe, Universitäten getragen. Drei Worte haben einen ganzen Staatsapparat in Aufregung versetzt. Eines Morgens sind sie sogar auf dem Marktplatz von Sangerhausen aufgetaucht, sehr zur Verwirrung und zum Ärger der Staatssicherheit hier.
Die Friedensdekade wurde zum Forum für kritische Gedanken, Gruppen sammelten sich, und wohl alle, die 1989 die Wende getragen und gestaltet haben, sind durch die Schule der Friedensdekade gegangen. Der Weg kommt beim Gehen.
1855, 1980. Jedesmal begannen die Veränderungen klein, ohne Programm, gegen den Widerstand der Machthaber und entgegen den vorherrschenden Ansichten. Jedesmal begann es damit, dass Menschen sich ihre eigenen Gedanken gemacht haben.
Warum sollte das nicht auch bei uns möglich sein? Warum sollte die Vision der Bibel nicht von neuem Kraft entfalten? Gott will die Erde erneuern. Lassen wir uns mit hineinnehmen, lassen wir uns anstecken vom Geist der Auferstehung, vom Geist des lebendigen Gottes, der sogar den Tod in Frage stellt.
Predigt am Buß- und Bettag zum Abschluß der Friedensdekade über Micha 4,1-4
Andere Predigten zu Martin Luther King: am Gründonnerstag (Mahl der Träume) und zu Pfingsten
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