Christus im Gefängnis. Osterpredigt

Sie haben ihn ins Gefängnis geworfen. In ein schwarzes, gähnendes Loch, zu den Ratten, die durch das vermodernde Stroh huschen, zu den Elenden und Vergessenen, denen die Augen trüb geworden sind und die Haare verfilzt und verlaust. Wenn hier jemand überlebt, ist es die Hoffnungslosigkeit.
Sie haben ihn ins Gefängnis geworfen. So malt ihn Johannes Rosenau 1445, im stolzen Hermannstadt oder Sibiu, der prächtigen Hauptstadt Siebenbürgens, weit im Osten der christlichen Welt. Denn hinter den sieben Bergen endet diese Welt und die osmanische beginnt, das Türkenreich. Und hinter den steinernen Hausfassaden, all den Kirchen und Türmen und Treppen und Toren, die vom Bürgerstolz der Hermannstädter künden, dahinter gähnt jenes vergitterte Loch, aus dem es selbst im Sommer dumpf und kalt weht, so daß sogar die Spatzen einen Bogen darum machen.
Hier verbirgt die geschäftige Welt, die sich im Schatten der gotischen Stadtpfarrkirche ausbreitet, ihre Kehrseite. Denn Wohlstand, deutsches Stadtrecht und Kultur im Osten Europas, das alles endet an diesen Gitterstäben. Für die, die hier gefangen sind, gibt es weder Recht noch Freiheit.In den Chor der Stadtpfarrkirche malt Johannes Rosenau ein riesiges Wandgemälde, einem Altar gleich. Die Kreuzigung. Darüber Geburt, Taufe und Himmelfahrt. Aber darunter, dort, wo bei uns die Predella ist mit dem Abendmahl, dort hat er das schwarze Loch gemalt, gleichsam ein Grab. Und hinter dem Gitter Christus: Christus im Gefängnis. Die Vorübergehenden sehen die Kehrseite der aufstrebenden Stadt. Aus einem Kerker blickt Christus sie an. Und Kerker gibt es bis heute. Damals wie heute liegt das Land an der Peripherie Europas.Weiß Gott allein, an welche Gefängnisse die gedacht haben, die dieses Fresko betrachtet haben, die der Ungarn und Deutschen, die der Rumänen, die Ceausescus und der Securitate und die danach. Gefängnisse überdauern die Zeiten und das Unrecht oft auch.
Christus im Gefängnis. Er sitzt ein, unschuldig, Opfer von Vor-Urteilen und Gummi-Paragrafen. Er gehört zu denen, für deren Rechte sich kein Anwalt stark macht. Ja der „Volkszorn“ fordert die Todesstrafe.

Johannes Rosenau hat die Folterspuren gemalt, die Dornenkrone, das Blut. Aber es ist der Auferstandene, den er zeigt, nicht der Tote. Hinter den Gitterstäben blickt der auferstandene Jesus nach draußen. Er breitet die Arme aus, zeigt die Nägelmale, öffnet die Hände. Goldene Strahlen gehen von seinem Haupt aus, ein Hoffnungsschimmer für die vielen, die noch im Dunkel der Gruft warten. Er ist der Erste, der freikommt. Das Gefängnis muß ihn freigeben und alle anderen auch. Die Riegel, die Ketten springen. Die Wächter fallen vor Schreck um. Mit der Auferstehung fallen die Mauern. Die Rechtlosen werden rehabilitiert und kommen zu ihrem Recht.

Ostern können wir mitten unter uns erleben. Ostern geschieht am Krankenbett, im Flüchtlingslager, in der einsamen Wohnung, im Obdachlosenasyl.
Christus kommt dahin, wo Menschen allein, verzweifelt, abgeschrieben sind. Christus hilft ihnen beim Aufstehen, wenn die Knie noch wacklig sind. Er flüstert ihnen Mut zu, zaubert ein Lächeln in tote Augen, streichelt über faltige Hände.

Zuerst aber steigt er hinab in die Keller der Menschheit, zu den dunkelsten Orten auf unserem Planeten, wo sich sonst niemand hinwagt.
Er steigt hinab in Verliese und schallisolierten Baracken. Er geht zu den Gefangenen und Gefolterten, zu Frauen, die den Wärtern ausgeliefert sind, zu denen, die ewig um ihr Leben betrogen sind.

Er leistet den Vergessenen Gesellschaft.
Kämpft um ihr Recht.
Schreibt Briefe gegen das Vergessen.
Kümmert sich, daß der Prozeß neu aufgerollt wird.
Kämpft gegen ungerechte Gesetze.
Läßt sich ins Gefängnis werfen.
Er nennt sie seine Brüder und Schwestern und führt sie heraus, damit sie leben und strahlen wie er.

Jesus selbst hat in seiner Antrittspredigt in Nazareth die Jesaja-Worte auf sich bezogen: Gott hat „mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei sein sollen.“ (Lk 4,18)
Gefangen sein und frei kommen ist nicht nur ein Symbol für innere und äußere Zwänge, weder in Zeiten Jesajas oder Jesu noch im spätmittelalterlichen Europa. Es ist reale Hoffnung.

Johannes Rosenau malt, wo Ostern beginnt: Hinter einem schwarzen, vergitterten Loch. Dort, wo sich der Tod am hartnäckigsten eingenistet hat damals in Siebenbürgen hinter den sieben Bergen. Und wo er noch heute nistet in den rechtsfreien Räumen an den Rändern unserer Welt, wo das Wort Menschenrechte eine unbekannte Vokabel ist.
Christus, ins Gefängnis geworfen, Geselle der Elenden, Erstling der neuen Schöpfung.
Auch unsere Lieder erzählen davon: Christ lag in Todesbanden. Jesus ist kommen, der starke Erlöser, … sprenget des Feindes befestigte Schlösser, führt die Gefangenen siegend heraus. (EG 66,3)
Ostern können wir mitten unter uns erleben. Verbiesterte brechen in Gelächter aus. Ängstlichen erwacht der Mut, Gelangweilte entwickeln Phantasie und ändern ihr Leben.
Wo sonst aber sollte Auferstehung beginnen als da, wo Menschen lebendig begraben sind?
Auferstehung beginnt im Gefängnis.
Und wir können mitmachen.

[Liedvorschlag: EG 101 Christ lag in Todesbanden]

Osterpredigt 2011

Das Fresko von Johannes Rosenau in der evangelischen Stadtkirche von Sibiu / Hermannstadt in Rumänien läßt sich im Internet finden, z.B. http://hermannstadt.evang.ro/stadtpfarrkirche/rosenauer-wandbild/

Predigten in der Osterzeit: hier
Predigten bis Pfingsten und Trinitatis: hier
Predigten in der Passions- und Vorpassionszeit: hier
Predigten im Jahreslauf: hier

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