Abigail erschrak zu Tode, als die Leute ihr erzählten, wie ihr Mann Nabal sich wieder einmal aufgeführt hatte. Nabal mit seinem Dickkopf war unberechenbar. Oft schon hatte Abigail hinter den Kulissen ausbügeln müssen, wenn er die Leute vor den Kopf gestoßen hatte. Aber diesmal hatte er das ganze Dorf in Gefahr gebracht. Als Davids Schutztruppen den jährlichen Tribut abholen wollten, hatte Nabal einfach nicht gezahlt. Aus purem Geiz und weil er der Herr im Haus war. Das war gefährlich. Denn sie waren auf Davids Wohlwollen angewiesen. Er sorgte für Ordnung, sorgte dafür, dass niemand dem Hirten Nabal den Weidegrund für seine Schafe streitig machte. Und Nabal hatte viele Herden. Bisher hatten Davids Leute diese Ordnung immer zuverlässig geschützt, aber jetzt kochten sie. Mit 400 Freischärlern war nicht zu spaßen.
Abigail zögerte keinen Augenblick. Sie ließ die Esel beladen: Zweihundert Brote und dreihundert Kuchen, dazu Getreide, geröstete Schafe und Schläuche voller Wein, eine ganze Karawane. Die schickte sie vor, David entgegen. Dann eilte sie in ihr Gemach, warf ihr schönstes Kleid über, schminkte sich und bestieg selbst einen Esel. Hinter einer Biegung kam David in Sichtweite. Abigail stieg ab und warf sich vor ihm auf die Erde, zu seinen Füßen. Dann redete sie mit Engelszungen auf ihn ein. Ihr Plan ging auf. David ließ sich besänftigen und kehrte um.
Als Abigail nach Hause kam, sagte sie keinen Ton. Denn Nabal hatte sich gerade auftischen lassen, und das bedeutete, dass er betrunken war. Erst als er am Morgen aus seinem Rausch erwachte, erzählte sie ihm alles. Aber Nabal kam gar nicht dazu, Abigail eine Szene zu machen. Ihn traf der Schlag, und zehn Tage nach dem Anfall starb er.
Er hat nie zu würdigen gewußt, was seiner klugen Frau gelungen war: Frieden zu schaffen. Während es durch ihn fast zum Krieg gekommen wäre, hat sie den Konflikt entschärft, und zwar auf eine unkonventionelle Weise. Nicht durch Kampf oder Demonstration von Stärke, wo einer gewinnt und der Unterlegene auf Rache sinnt. Abigail hat den Konflikt so gelöst, dass es keine Sieger und keine Verlierer gab. Beide Seiten waren zufriedengestellt. Dazu gehört Phantasie. Abigail hat sie gehabt.
Diese tatkräftige Frau steht gegen die schulterzuckende Resignation des Satzes „Wir sind nur kleine Leute und können sowieso nichts tun“. Abigail ist die Mutter aller, die sich einfallsreich und beharrlich für den Frieden stark machen. Die Bibel erzählt von ihr.
1. Buch Samuel, Kapitel 25
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