„Ich hatte mich freiwillig an die Front gemeldet“, erzählte mir vor Jahren ein alter Mann. „Aber dann sollte ich bei einem Erschießungskommando mitmachen. Da habe ich nein gesagt. Mein Offizier wurde wütend und drohte mir Konsequenzen an. Doch ich blieb bei meinem Nein. Natürlich hatte ich Angst. Aber mir ist nichts passiert.“
Dieser Mann ist ausgestiegen aus seiner Mitläuferrolle. Es war also sogar unter den Nazis möglich, sich zu verweigern. Die Erklärung „Wir mussten ja alle mitmachen“ trifft auf ihn nicht zu. Aus eigener Entscheidung ist er Soldat geworden, und er selbst hat bestimmt, wo für ihn die Grenze war: Sich an einem Erschießungskommando zu beteiligen war mit seinem Gewissen nicht vereinbar. Seine Weigerung wurde letztlich akzeptiert – ohne negative Folgen für ihn. Unsere Geschichte wäre anders abgelaufen, wenn alle so viel Zivilcourage gezeigt hätten. Aber zum Gehorsam erzogen, haben viele nicht gewagt, sich aufzulehnen.
Deshalb beeindruckt mich besonders, wenn Menschen ausgestiegen sind aus der Rolle als Täter oder Mitläufer oder auch als schweigendes Opfer. Nein sagen kostet Kraft. Ich glaube, die meisten müssen es erst im Laufe des Lebens lernen – auch heute. In der Masse mitschwimmen ist viel bequemer.
Das fängt schon in der Schule an. Wer „anders“ ist, wird manchmal auch einsam sein , ausgelacht werden oder anecken. Eine Frau, die nein sagt, riskiert Krach, denn sie ist nicht mehr so fügsam, wie es von ihr erwartet wird. Doch wer sich nicht (mehr) duckt, lebt viel freier und muß sich nicht als Marionette fühlen.
Die Angst, mit der wir uns selbst einsperren, erweist sich oft als unbegründet. Stellen Sie sich vor, Sie sagen nein – und die anderen akzeptieren es!! Ich wünsche mir, wir würden unseren Kindern vermitteln, daß es gut ist, eine eigene Meinung zu haben. Gut für uns selbst und gut für unsere Gesellschaft. Ich wünsche mir, wir würden sie stark genug machen, daß sie standhalten, selbst wenn sie einmal allein dastehen.
Der alte Mann hat seinem Offizier den Befehl verweigert. In diesem Jahr erinnern wir uns an das Kriegsende und die Befreiung vom Nationalsozialismus 1945. Ich denke manchmal darüber nach, wo für mich heute so eine Grenze wäre. Wo würde ich Nein sagen? Und dafür auch Konsequenzen in Kauf nehmen? Oder haben wir das in unserer Demokratie nicht mehr nötig?
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