Ein mutiger Sklave unterwandert das Finanzsystem

Predigt zu Matthäus 25,14-30 („Die anvertrauten Talente“) *
In dieser Beispielgeschichte hören wir bei den „Talenten“ im Hinterkopf vor allem „Fähigkeiten“. Du hast ein Talent. Wir verstehen es sofort im übertragenen Sinne.  Doch die Leute, denen Jesus diese Geschichte ursprünglich erzählt hat, wußten, was ein Talent wirklich ist: ein riesiger Barren Silber, so viel, wie ein Mensch gerade noch tragen kann, 30 bis 40 Kilogramm. Ein Talent, das sind  17 Jahreseinkommen einer armen Familie (á 350 Denare). Und die 8 Talente eines Investors, die investiert werden, entsprechen 140 bis 160 Jahreseinkommen. Wenn eine Familie an der Armutsgrenze heute 20.000 Euro zur Verfügung hat, entspräche das 2,8 Millionen Euro. **
Der Sklavenbesitzer verfügt über weit mehr. Denn er braucht diese 8 Talente nicht für den laufenden Betrieb, sondern hat sie zusätzlich zur freien Verfügung und kann sie  investieren, ohne seine sonstigen Geschäfte zu beeinträchtigen. Solche Vermögen lassen sich nicht mit eigener Hände Arbeit aufbauen.  Das ist auch heute so. Geld gebiert Geld. Der größte Gewinn wird heute nicht durch Produktion erwirtschaftet, sondern durch Kapital selbst. Geld wird angelegt und verzinst und wird als Aktien an den Börsen durch die Welt geschoben.

Die acht Talente in der Geschichte von Jesus bringen tatsächlich Traumrenditen von 100 Prozent, jedenfalls sieben der acht Talente. Das sind keine Peanuts – „du warst im Kleinen zuverlässig, ich beauftrage ich mit Größerem“ -, sondern riesige Kapitalmengen. Und sie  verdoppeln sich. Aus fünf werden zehn, aus zwei vier. Kann das mit rechten Dingen zugehen. Können aus fünf Millionen unversehens zehn werden? Wo kommen solche gigantischen Gewinnspannen her?
Spätestens seit der Finanzkrise 2008 wissen auch Wirtschaftsunkundige, daß sich eine solche Performance nicht mit ehrlichen Methoden erwirtschaften läßt, sondern nur in hoch spekulativen Bereichen, im Menschen- und Drogenhandel, durch Betrug und gnadenlose Ausbeutung. Solche Gewinne lassen sich nur durch Immobilienspekulationen erzielen, durch Heuschreckenmethoden, Landgrabbing. Hungerlöhne werden gezahlt, Umweltschutzauflagen umgangen, Arme enteignet. Es wird betrogen und erpresst. Hinterzimmer, Abzocker, Briefkastenfirmen lassen grüßen.

Die Beispielgeschichte führt  uns in die Welt der Superreichen und ihrer Praktiken. Wer solchen Gewinn erwartet, weiß wahrscheinlich – oder hoffentlich -, dass das nicht mit legalen Mitteln möglich ist. Wer seine Mitarbeitenden dennoch beauftragt, daß sie das Geld so anlegen, fordert sie auf, sich skrupelloser Methoden zu bedienen.
Doch anders als die Broker an der Wallstreet sind die Fachleute in der Beispielgeschichte von Jesus keine freien Menschen. Sie sind Sklaven. Obwohl sie offensichtlich für ihre Aufgaben spezialisiert sind und weitreichende Handlungsvollmachten haben, sind  sie Abhängige. Qualifizierte Sklaven in Führungspositionen oder auch Sklaven, die Abgaben eintreiben müssen, sind in der Antike durchaus üblich. Und sie können ohne weiteres ausgepeitscht oder eingesperrt werden, wenn sie ihrem Besitzer nicht willfährig sind oder wenn  sie Fehler machen.
Ihr Herr bindet sie also ein in seine schmutzige Geschäftspraxis. Er macht sie, die Abhängigen, zu Mittätern. Die Sklaven tragen dazu bei, daß andere Familien ihr Hab und Gut verlieren, in Sklaverei verkauft werden.

Aber einer macht nicht mehr mit. Er beteiligt sich nicht mehr daran, ein System am Laufen zu halten, das die einen bereichert auf Kosten der anderen. Er sagt seinem Besitzer die Wahrheit ins Gesicht:  „Herr, ich wußte, daß du ein harter Mann bist, der erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, was er nicht ausgeteilt hat. Ich bin aus Furcht vor dir losgegangen und habe dein Talent in der Erde versteckt. Hier hast du dein Geld zurück.“ (Mt 25, 24 f.)

Wie viele Nächte wird dieser Sklave wachgelegen haben und sich mit seiner Entscheidung herumgeschlagen haben? Das, wozu er ausgebildet ist – Geld investieren – ist ihm immer fragwürdiger erschienen.
Er hat seinem Herrn nichts entzogen, keinen einzigen Denar. Im Gegenteil. Er hat das Eigentum seines Herrn treu bewahrt. Er hat sich  sogar an den rabbinischen Frömmigkeitsregeln orientiert, als er es in die Erde vergraben hat.
Sein Besitzer wertet sein Verhalten als einen Affront ohnegleichen. Zumal ein Sklave es wagt, dem Herrn den Spiegel vorzuhalten, und ihn als Dieb bezeichnet. Der Besitzer streitet das Urteil mit keinem Wort ab. Aber er bestraft ihn und wirft ihn ins Gefängnis.

Der Sklave landet dort, wo auch die anderen Opfer sitzen. Im Gefängnis sitzen Arme, die in Schuldhaft geraten sind, die ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Im Gefängnis  sitzt Johannes der Täufer. Im Gefängnis sitzt Jesus selbst mit seinen Freundinnen und Freunden. Ich war gefangen und ihr habt mich besucht, sagt er.

Auch heute sind Gefängnisse eher Orte der Armen und Abgehängten und Gescheiterten. Die Reichen können sich Anwälte leisten. Sie genießen Annehmlichkeiten, werden schneller zu Freigängern oder kommen auf Kaution frei. Für Peanuts halten sie die Summen, die sie in ihre Taschen gewirtschaftet haben. Selten, daß ein Josef Ackermann,Sepp Blatter oder Thomas Middelhoff verurteilt wird und seine Strafe auch voll absitzt. Doch andere wandern schon wegen Schwarzfahrens oder Ladendiebstahls hinter Gitter. In vielen Ländern sind die Zellen voller Leute, die ohne Verfahren eingesperrt und mißhandelt werden. Gefängnisse dienen als Druckmittel gegen die lokale Bevölkerung. Hier landen kleine Bäuerinnen und Bauern, die sich gegen Enteignung wehren, Journalist*innen, die über Korruption recherchieren, Oppositionelle und Whistleblower wie Bradley Manning und (wenn es nach der Regierung ginge) Edward Snowden.

Der dritte Sklave kooperiert nicht mehr. Er läßt sich nicht mehr einspannen. Er folgt seinem Gewissen. Er sagt die Wahrheit. Er hält sich an die Regeln der Tora und beherzigt die Mahnung von Jesus: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld, dem Mammon.

Er zahlt einen hohen Preis. Aber die Bibel ist davon überzeugt: Willkür  und Gefängnis haben nicht das letzte Wort. Denn Jesus erzählt die Geschichte weiter. Nach dem Unrechtsurteil – „Werft diesen nutzlosen Sklaven in den finstersten Kerker. Dort wird er schreien und vor Todesangst mit den Zähnen knirschen“ – wird noch einmal Gericht gehalten:  „Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird sich auf seinen himmlischen Richterstuhl setzen. Und alle Völker werden sich versammeln. Er wird die Menschen voneinander scheiden, wie ein Hirte die Schafe von den Böckchen trennt.  Er wird denen zur Rechten sagen: Kommt heran, ihr Gesegneten Gottes, erbt Gottes Reich. Ich war hungrig, ihr gabt mir zu essen; ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr habt mich besucht. Was ihr für eines dieser meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (aus Mt 25, 30-36.40)
Der Sklave, der sich weigert, findet sich an der Seite von Jesus wieder. Die Welt bleibt am Ende nicht in den Händen der Gierigen und Gewalttätigen, sondern wird den Armen und Barmherzigen zufallen und denen, die für Gerechtigkeit eintreten.

Sklaverei gehörte im 1. Jahrhundert zum Alltag der Menschen um Jesus herum. Aus dem letzten Kapitel des Römerbriefes schließen wir, daß mindestens die Hälfte der Gemeindemitglieder in Rom Sklavinnen und Sklaven oder Freigelassene waren. In den Gemeinden, für die Matthäus um 80 herum sein Evangelium schrieb, wird es nicht anders gewesen sein. Viele haben also Unfreiheit am eigenen Leib erfahren. Ihnen erzählt Jesus diese Geschichte. Wie wird sie in ihren Ohren geklungen haben?

Wir leben in Mitteleuropa in einer freien Gesellschaft. Ich kann ja nichts tun, sagen trotzdem viele; ich bin nur ein kleines Licht; mir sind die Hände gebunden.  Die Bibel glaubt nicht daran, daß Menschen nur willen- und wirkungslose Rädchen im Getriebe sind. Wir brauchen nicht mitlaufen. Die Verhältnisse sind nicht  alternativlos. Wir haben immer die Möglichkeit, uns Spielraum zu erobern, und sei er noch so klein. Selbst ein Sklave läßt sich seine Entscheidungsfreiheit und Autonomie nicht nehmen. Wir können und sollen für eine andere Welt einstehen.
Jesus erzählt,  wie jemand das selbst in extremsten Abhängigkeitsverhältnissen wagt. Eine Mutmachgeschichte. Auch für uns.

** Schätzungen nach Marlene Crüsemann: Wahre Herrschaft: Das Gleichnis von den Talenten und das Gericht Gottes über die Völker. In: Marlene Crüsemann, Claudia Janssen, Ulrike Metternich (Hrsg): Gott ist anders. Gleichnisse neu gelesen. Gütersloh 2014, 56 – 69
Die Predigt folgt der Auslegung von Marlene Crüsemann sowie der Gleichnistheorie von Luise Schottroff: Die Gleichnisse Jesu. Gütersloh 2007 (2. Auflage), insbesondere S. 290-294

Einleitung zu Beginn der Predigt:
„Besonders hohe Renditen erzielte in den vergangenen zwölf Monaten etwa der Aberdeen Global Indian Equity Fund. Vor allem ein Regierungswechsel katapultierte die Börse auf dem Subkontinent in neue Höhen und der Fonds legte um 51 Prozent zu. Auf Drei-Jahres-Sicht zählt der Franklin Biotechnology Fund mit durchschnittlich 46 Prozent Jahresplus zu den Besten. Besonders attraktiv für Sicherheitsorientierte war der Emerging-Markets-Bond-Fund von Aberdeen. Er erzielte auf Fünf-Jahres-Sicht elf Prozent Plus per annum. Alle drei wurden im Fondstacho der Ratingagentur Assekurata mit „sehr gut“ bewertet.“  (Handelsblatt.com 25.11.2014: Mehr Rente mit Spezial-Investments)

Weitere Predigten zu Gerechtigkeit
Weitere Predigten in der Trinitatiszeit
Weitere Predigten im Jahreslauf
Andere Predigt zu Mt 25,-14-30: Was aus den Talenten gewachsen ist  (Goldene Konfirmation)

Weitere Lesungen im Gottesdienst: 2. Mose 22, 24 – 26 ; 3. Mose 25, 36 – 39 (Zinsverbot)  und Matthäus 6, 19 – 21.24 (Schätzesammeln)

Hintergrundinformationen zum Matthäus-Evangelium: Syrien-Rundschau  (Download)

* Matthäus 25, 14 – 30 (Bibel in gerechter Sprache)
Denn die Welt Gottes solltet ihr auch mit der Geschichte von einem Mann vergleichen, der im Aufbruch zu einer Reise seine Sklaven rief und ihnen sein Vermögen zur Verwaltung übergab. Dem einen gab er fünf Talente, dem nächsten zwei, dem dritten eins, jedem nach seiner Tüchtigkeit. Dann reiste er ab. Sofort ging der mit den fünf Talenten los, machte mit ihnen Geschäfte und erwirtschaftete weitere fünf dazu. Ebenso erwirtschaftete der mit den zwei Talenten weitere zwei. Der mit dem einen Talent ging los, grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Besitzers.
Nach langer Zeit kommt der Besitzer dieser Sklaven und rechnet mit ihnen ab. Der mit den fünf Talenten trat herzu und brachte weitere fünf mit den Worten: ›Herr, du hast mir fünf Talente übergeben, hier sind die weiteren fünf, die ich erwirtschaftet habe.‹ Sein Besitzer sprach zu ihm: ›Richtig gemacht, du guter und treuer Sklave. Du warst im Kleinen zuverlässig, ich beauftrage dich nun mit einer großen Aufgabe. Du bist eine Freude für deinen Besitzer.‹ Der mit den zwei Talenten trat herzu mit den Worten: ›Hier sind die weiteren zwei, die ich erwirtschaftet habe.‹ Sein Besitzer sprach zu ihm: ›Richtig gemacht, du guter und treuer Sklave. Du warst im Kleinen zuverlässig, ich beauftrage dich nun mit einer großen Aufgabe. Du bist eine Freude für deinen Besitzer.‹
Auch der mit dem einen Talent trat herzu und sprach: ›Herr, ich wusste, dass du ein harter Mensch bist, der erntet, wo er nicht gesät hat, und einsammelt, was er nicht ausgeteilt hat. Ich bin aus Furcht vor dir losgegangen und habe dein Talent in der Erde versteckt. Hier hast du dein Geld zurück.‹ Der Besitzer antwortete ihm: ›Du böser und fauler Sklave, du wusstest also, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, was ich nicht ausgeteilt habe? Du hättest also mein Geld zur Bank bringen sollen. Dann könnte ich jetzt mein Eigentum mit Zinsen zurückbekommen. Nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem mit den zehn Talenten. Die schon etwas haben, denen wird mehr gegeben, sogar bis zum Überfluss. Die nichts haben, denen wird das Wenige, das sie haben, noch weggenommen.

 

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