Das Kind und die Brote

Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wo das Kind herkommt. Einer der Schüler von Jesus, Andreas, hat es offensichtlich beobachtet. Es hat fünf  Brote bei sich und zwei Fische. Ist das das Essen für die Familie? Gerstenbrot ist das Brot für die Armen, die Fische gelten als Beilage. Da fällt das Abendbrot wohl nicht so üppig aus – vermutlicherweise die einzige Mahlzeit am Tag. Und heute fällt sie ganz aus. Vielleicht arbeitet das Kind aber auch und trägt Brote aus in Häuser, also eine Art Semmeljunge oder Semmelmädchen. Noch vor 100 Jahren hingen in Deutschland an den Wohnungstüren der Mietshäuser Leinenbeutel, in die Laufburschen und -mädchen frühmorgens die frischen Semmeln aus der Bäckerei steckten. Ist das Kind also ein Straßen-Arbeits-Kind, so wie in vielen armen Ländern der Erde, und muss zum Überleben der Familie beitragen, weil es sonst gar nicht reicht? Dann hätte das Kind die Brote auf keinen Fall weggeben dürfen, denn sie gehörten ihm nicht. Das Geld wäre vom Lohn abgezogen und es hätte sie ersetzen müssen.
In keiner Auslegung habe ich etwas über dieses Kind gefunden, und doch ist es der Ausgangspunkt eines Wunders. Eine riesige Menge von Menschen wird satt. Ein Kind gibt ab und der Hunger von tausenden wird gestillt.

Nun frage ich mich, ob es unbedingt die Kinder sein müssen, die abgeben müssen. Warum sollen ausgerechnet die Ärmsten die sein, die zuerst teilen? Sei‘s drum. Irgendjemand fängt an. Das Kind fängt an. Ein Mitglied einer Familie, in der sowieso niemals genug auf dem Tisch steht. Und andere schließen sich an. Vielleicht hat es sie gerührt, das arbeitende Kind. Oder sie haben sich geschämt. Jedenfalls: am Ende reicht es für alle.
Sie gehen sorgsam mit den Resten um. Kein Müll. Nichts wird weggeworfen, alles wird verwertet. Am Ende weiß niemand mehr, woher das alles gekommen ist. Oder wie viele Leute eigentlich dabei waren, viertausend oder fünftausend, oder allein fünftausend Männer, ohne die vielen Frauen und Kinder. Nur eins vergessen sie nicht: sich diese Geschichte weiterzuerzählen. Ich sehe sie vor mir, wie sie fröhlich miteinander schwatzen und schmausen.

Solche Wunder gefallen mir. Und so ein Gott gefällt mir, ein Gott, bei dem selbst Kinder Wunder vollbringen können. Brot teilen ist doch kinderleicht – oder?

 

Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis über Johannes 6,1-13
Andere Predigten zum Brot: Brotwerdung Gottes und Vom Himmel steigt Brot
Weitere Predigten in der Trinitatiszeit
Übersicht über die  Predigten im Jahreslauf

 

Als liturgische Anregung:
Wunschzettel
Ach wärest du doch eine Zauberkönigin
Und zaubertest mich heil Gott einfach so
Keine Wunde in der Seele keine Angst mehr vor Nähe
Lust auf Leben und Liebe
Und warum bist du nicht der allmächtige Retter
Für den sie dich ausgeben Gott
Keine Kinder die verhungern keine Folter und Vertreibung
Die Nachrichten sehen ein Vergnügen
Ach hättest du doch deine eigenen Hände
Und Füße und Augen und Münder Gott
Auf uns solltest du dich besser nicht verlassen
Wer möchte schon gerne selbst zuständig sein?
Bitte lass dich niemals von uns einsperren Gott
Ins Reservat für aussterbende Arten
In Sonntagspredigt und Friedhofsgemurmel
Verzauber’ du uns Gott du Schöne
(Carola Moosbach, „Gottflamme Du Schöne. Lob- und Klagegebete“, Gütersloher Verlagshaus, 1997)

 

Aus Johannes 6,1-13 (gekürzt)
Am See Genezareth hatte sich eine große Menschenmenge um Jesus versammelt. Doch wo sollen wir Brote kaufen, damit sie zu essen haben? Philippus meinte: »Brote für 200 Denare würden nicht reichen, damit alle auch nur ein bisschen bekämen«. Andreas, der Bruder von Petrus, sagte zu ihm: »Es gibt ein Kind hier, das fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat; aber was ist das für so viele?« Jesus sagte: »Lasst die Menschen sich niedersetzen!« Die Menschen setzten sich also, ungefähr 5.000 Männer. Jesus nahm die Brote, sprach das Dankgebet und gab ihnen, und genauso auch von den Fischen, so viel sie wollten. Als sie satt waren, sagte er zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: »Sammelt die übrig gebliebenen Stücke, damit nichts umkommt.« Sie sammelten sie also und füllten zwölf Körbe mit den Stücken von den fünf Gerstenbroten, die beim Essen übrig geblieben waren.

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