Das Jahr 1741 war in Sangerhausen durchaus ein durchschnittliches Jahr. Zwar wurden in der Jacobi-Kirche 56 Leute zu Grabe getragen, aber es wurden auch 53 Kinder geboren, und 25 Paare heirateten. In der Ulrich-Gemeinde wird es nicht viel anders gewesen sein. Es war ein durchschnittliches Jahr.Und denoch war es für eine Familie ein besonderes, für die Familie Mogk. Innerhalb eines knappen halben Jahres verzeichnet das Sterberegister dreimal den Namen Mogk. Johann Heinrich Mogk, 61 Jahre, wurde am 23. Mai begraben, abends in der Stille, wie das Kirchenbuch vermerkt, seine 64jährige Stieftante Marie Elisabeth einen Monat später, am 22. Juni, und am 22. Oktober sein Stiefonkel Kaspar Jacob, 73 Jahre alt.

Diese Leichenzüge bei Marie Elisabeth und ihrem Mann Kaspar Jacob waren schon größer, die Schulkinder waren dabei, es wurde eine Predigt gehalten und ein Nachruf. Wie auch sein Stief-Neffe war Kaspar Jacob eine Persönlichkeit in Sangerhausen, zuletzt Kammer-Kommissionsrat bei Herzog Christian. Vorher hatte er solche Titel wir Hoffaktor, Landkommissarius, Kommerzienrat und Oberamtsgeleitsmann. Hauptsächlich aber war er Kaufmann, und zwar offensichtlich ein geschickter. Er schaffte es, sein Vermögen zusammenzuhalten und zu vermehren. Schon 28 Jahre vor seinem Tod besaß er u.a. 219 Acker Land, 6 Gärten. Sein Haus lag am Markt (Markt 17). Den Gedenkstein für ihn und seine Frau haben wir hier.

Aber auch sein Fast-Neffe Johann Heinrich war eine wichtige Person in Sangerhausen. Als Jurist, als Licentiat und Juris Practius war er in der Verwaltung tätig und 13 Jahre lang fürstlicher Rat und Amtmann des Rates. Auch sein Besitz war nicht unbeträchtlich. Häuser, Land, Vermögen.
Die drei Toten der Familie einte beruflicher Erfolg, angesehene Stellung und Besitz. Und noch etwas hatten sie gemeinsam:
Sie führten kein „normales“ Familienleben, so wie es damals üblich war: Mama, Papa und viele Kinder. Sie fielen aus dem normalen Sangerhäuser Trott heraus. Alle drei hatten sie keine Kinder, und Johann Heinrich hatte sich gar nicht erst verheiratet. Wohl aber sein Stiefonkel.
Kaspar Jacob hatte seine Liebste, Marie Elisabeth, in Frankenhausen gefunden. Er 26, sie 18 Jahre heirateten sie, das Aufgebot war hier in Sangerhausen, die Hochzeit in Frankenhausen. Fast 46 Jahre waren sie verheiratet. Dass sich keine Sprößlinge einstellten, wird eher unfreiwillig gewesen sein. Es heißt über sie: „Doch war ihr langwieriger und vergnügter Ehestand ohne Kinder“.
Vergnügt schienen sie trotzdem. Kaspar Jacob war in jungen Jahren als Kaufmann viel gereist: Frankfurt, Mainz, Haag, Amsterdam, und er war schon auf dem Sprung nach England. Damit war er weiter hinaus gekommen als die meisten Sangerhäuser, und angeregten Gesprächsstoff wird es im Hause Mogk allemal gegeben haben. Ihr langwieriger und vergnügter Ehestand… Aber eben ohne Kinder.
Während ihre Lebensform, heute würden wir sagen: Doppeltes Einkommen, no kids, Dinkis, vermutlicherweise unfreiwillig war, war es bei ihrem Stiefneffen anders. Er hatte gar keine Frau.
Vom Familiengepräge und der Sitte her wäre eine Heirat selbstverständlich gewesen, und er hätte alle Chancen gehabt.
Bei seiner Stellung und seinem Vermögen wäre er eine gute Partie gewesen, eine begehrte Partie, und er hätte sich ohne Zweifel die aussuchen können, zu der ihn sein Herz hinzog. Dennoch, er blieb allein. In seinem Haus beschäftigte er eine Haushälterin, Dor. Elis. Dellingen, und mehrere Angestellte, die er alle auch in seinem Testament bedachte. Aber er selbst blieb Junggeselle, warum auch immer, und das wird seine Entscheidung gewesen sein.
Er entschied auch, was nach dem Tod mit seinem Vermögen wurde:
Einen Monat, bevor er starb, machte er sein Testament, am 13. April 1741. Zwei Überraschungen: Er setzte einen Familienfremden zum Nachlaßverwalter ein, einen Forstmeister aus Pölsfeld. Nebenbei: in welcher Beziehung wird er zu ihm gestanden haben? Und: Er spendete eine immense Summe für soziale Aufgaben, etwa dreiviertel seines Besitzes. In dem Testament verfügte er die „Erbschaft zu Anordnunge eines Armen- und Waisenhauses in hiesigem Stifte zum heil. Geiste, wovon ich bei Lebzeiten allbereits die nöthigen Vorschläge getan habe. .. Genug, dass ich den Anfang gemacht, zu zeigen, wie nicht alle Liebe an der Armut verloschen ist.“
Das bildete den Grundstock für die Waisenhausstiftung. Er hat etwas ins Leben gerufen, was heute, über 250 Jahre später, immer noch existiert
Mitte Mai 1741 wurde er zu Grabe getragen, und als sein Stiefonkel am 12. September selbst sein Testament machte, unterstützte der dieses Vermächtnis.
Der alte Mogk bestimmte, dass sein eigenes Haus verkauft werden sollte, falls „kein Waisenhaus allhier binnen 4 Jahren nach meinem Tode zu stande kommen sollte“. Darüber hinaus teilte auch Kaspar Jacob sein Vermögen auf und unterstützte, wie er es schon bei Lebzeiten getan hatte, aufs reichlichste die Kirchen, die sozialen und öffentlichen Einrichtungen in Sangerhausen.
Das ist also das Vermächtnis der Familie Mogk.
Am Gedenkstein des Ehepaares, den wir hier haben, heißt es: „Beide liegen in dieser Kirche begraben, welche sie bei Lebzeiten fleißig besucht und im Tode, nebst den übrigen guten Anstalten, reichlich versorgt haben. Was dieser Stein nicht zeigt, das lerne aus dnen gedruckten Nachrichten. Gehe aber auch hin und tue desgleichen.“ – ein Zitat aus der Geschichte vom Barmherzigen Samariter.
Sie hätten es auch anders halten können, diese drei Mogks. Warum Vermögen zusammensparen, wenn sowieso keine Kinder da sind? Sicher, sie haben standesgemäß und nicht schlecht gelebt und Haus gehalten. Mit ihrem Besitz hättten sie sich ein schönes Leben machen können, hätten in Saus und Braus in den Tag hineinleben können. Das Wort Erlebnisgesellschaft gab es damals noch nicht. Aber in den Tag hinein leben, das Geld für schöne Dinge ausgeben können, das war auch damals Mode. Und warum auch nicht? Sich schick anziehen, gepflegt essen, mit Statussymbolen protzen – nicht mit Autos, aber mit Kutschen, mit Möbeln, Bildern – Gelegenheit zum Geldausgeben gab’s allemal. Und für nach dem Tod hätten sie’s auch anders verteilen können.
Aber sie sie haben es nicht getan, im Leben nicht und im Tod. Im Leben: Johann Heinrich etwa hat gezeigt, „wie nicht alle Liebe an der Armut verloschen ist“; die alten Mogks haben der Stadt und den Kirchen vieles zugewendet. Und im Tode nicht: Johann Heinrich hat den Anfang gemacht und den Grundstock gelegt für die Waisenhausstiftung; Kaspar Jacob hat es ihm nachgetan.
Gehe aber auch hin und tue desgleichen.

Inzwischen sind Stiftungen wieder groß im Kommen. Das Stiftungsrecht soll reformiert werden, Neugründungen erleichtert werden. Im Denkmalschutz wird dafür geworben, für soziale Aufgaben, den Fonds für die Überlebenden des Holocaustes bildet eine Stiftung, wir haben die Stiftung Warentest, und selbst bei Universitäten wird überlegt, ob sie sich langfristig besser über Stiftungen finanzieren lassen.
Denn das Prinzip ist wie beim Sparbuch: das Vermögen liegt darauf fest und wird nicht angegriffen, aber die Zinsen werden ausgegeben. Damit wirtschaftet und wuchert die Stiftung. Das Grundkapital aber bleibt erhalten und bringt immer neue Zinsen. So kann soziale Arbeit langfristig gesichert werden. Und davon lebt ja auch die Waisenhausstiftung bis heute. Was ihre Ländereien an Pacht einbringt, geht in die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.Das Jahr 1741 war in Sangerhausen ein besonderes.
Stiftungen sind wieder groß im Kommen, und es wird dafür geworben. Sicher auch, weil, jedenfalls in den alten Bundesländern, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine Menge Geld zu vererben ist, der Ertrag der Arbeit einer ganzen Generation. Und davon sollen nicht nur die Nachkommen etwas haben, sondern die ganze Gesellschaft.
Wenn Menschen etwas für eine Stiftung geben, dann hinterlassen sie nicht nur ihr Geld und machen sich einen Namen. Sondern sie zeigen, dass sie in einer Tradition der Mildtätigkeit stehen, so wie die Mogks oder Dietrich von Landsberg und Markgräfin Helena, die 1274 unser Stift St. Spiritus gründeten.
Und sie hinterlassen uns die Lebenseinstellung, dass wir nicht nur für uns und für die Familie da sind, sondern dass wir aufgerufen sind zu teilen. Was wir im Laufe des Lebens aufbauen und erwerben, gehört nicht nur uns, sondern davon soll auch allen zugute kommen.
Frieden stiften heißt der Leitspruch der Friedensdekade in diesem Jahr, denn Jesus hat gesagt: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Frieden stiften – Stiftung Frieden – damit hat Jesus angefangen und etwas angestoßen, das über die Jahrhunderte wirkt bis in unsere Zeit. Er ist der Gründer, er hat den Grundstock dieser Stiftung gelegt. Sein Vermächtnis bildet sozusagen das feste, unveräußerliche Kapital der Stiftung. Es ist immer noch da. Es steht in der Bibel, es macht uns Mut und Hoffnung, und manchmal ist es ein Stachel im Fleisch und mahnt uns und stößt uns an, ist Stein des Anstoßes, gibt uns ein Ziel und eine Richtung.
Stiftung Frieden – sie arbeitet seit 2000 Jahren, mehr oder weniger aktiv, mehr oder weniger erfolgreich. Es hat Zeiten gegeben, in denen das Kapital brach lag, und sehr rege und aktive. In den letzten 20 Jahren ist sie belebt worden durch die Dekade der Solidatität der Kirchen mit den Frauen, durch den konziliaren Prozeß, den 3%-Appell, bei dem Kirchgemeinden und -kreise 3 % ihrer Einkünfte für die Arbeit in der Einen Welt geben, durch die Tanzania-Arbeit und das Lugala-Hospital. Die Verwaltung hat Jesus in die Hände der Menschen gelegt. Mit ihren Taten, Träumen, Hoffnungen beleben sie die Arbeit der Stiftung. Immer wieder gab es zwar Treuhänder, denen der Stiftungszweck egal war, die stattdessen ihre eigenen Interessen verfolgt haben, ja die vergessen haben lassen, wozu diese Stiftung da war. Aber sie ist dennoch nicht erloschen. Wo auch immer auf dieser Welt Menschen barmherzig waren, gegen Ungerechtigkeit aufgestanden sind und für Gerechtigkeit eingestanden haben, war diese Stiftung am Wirken. Menschen haben sie bereichert mit ihren Träumen und Hoffnungen, mit Gebeten, Sehnsüchten, Ideen und Fantasien.
Nicht die kleinste Tat ist vergessen oder sinnlos gewesen.
Wofür sammeln wir unsere Kräfte, unsere Fähigkeiten, unser Vermögen, so wie die Mogks damals? Wofür leben wir heute, über die Erlebnisgesellschaft hinaus? Und was bleibt einst von uns übrig? Was hinterlassen wir in dieser Welt, wenn wir irgendwann nicht mehr sein werden?
Jesus lädt uns ein, zur Stiftung Frieden beizutragen. Unser Kapital darein zu geben, daran mitzuwirken, uns in ihr einen Namen zu machen und etwas Bleibendes zu hinterlassen. Und er bevollmächtigt uns als Treuhänderinnen und Treuhänder, diese Stiftung zu verwalten.
Predigt zur Eröffnung der Friedensdekade „Frieden stiften“
Predigt: Der Kelch der Mogks
Predigt: Der barmherzige Samariter
Spielszene: Caspar Jacob Mogk und Elisabeth Doetzschel – ein vergnügter Ehestand
Weitere Predigten zur Jacobikirche
Weitere Predigten in der Friedensdekade
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