Die Bibel erzählt ziemlich offen über König David und seine Beziehungen. Da war nicht nur die Verbindung mit Batseba, um die es heute im Predigttext geht. David hat nicht monogam gelebt. Das wird in der Bibel im übrigen an keiner Stelle kritisiert. Auch die Bibel akzeptiert, dass ein Mann mehrere Frauen haben konnte. Wir wissen von Michal, der Tochter seines Vorgängerkönigs Saul, von Abigail, Ahinoam, Maacha, Haggit, Abital, Egla und eben Batseba (2 Sam 3,2-5); außerdem hatte er noch „Nebenfrauen“. Und dann war da noch Jonatan, Sauls Sohn. Die beiden schließen einen Freundschaftsbund und bekräftigen ihn; Jonathan rettet seinem Freund mehrmals das Leben. Sein Vater richtet wütend den Speer auf Jonathan, als die Sprache auf die Beziehung mit David kommt. Sie umarmen und küssen einander und weinen miteinander (1 Sam 20,41). An Jonatans Totenbett klagt David: „Es ist mir leid um dich, mein Bruder Jonatan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir wundersamer gewesen, als Frauenliebe ist“ (2 Sam 1,26). Manche sagen, er wäre Davids eigentliche Liebe gewesen. Dann wäre es eine Beziehung, die Grenzen überwunden hat: die Grenze der Normen und sogar die Grenze von Freund und Feind. David hat Saul ja den Thron streitig gemacht; Saul hat in David den Rivalen um die Herrschaft verfolgt. In der Tat: wenn es um Jonatan geht, öffnet David sein Herz tief. Von solchen Gefühlen ist bei anderen Frauen nicht die Rede. Auch nicht bei Batseba. Sicher ging es um Sex. Aber auch um Macht.
Manche Verbindungen konnten Einflussmöglichkeiten eröffnen. Bei Abigail war das so. Abigails erster Ehemann Nabal war ein reicher Landbesitzer, ein Landlord. Er weigerte sich, Schutzgeld an David zu zahlen, und ignorierte, dass Davis Söldner deshalb schon im Anzug waren. Abigail ging ihnen mit Brot und Wein und Geschenken entgegen und warf sich David zu Füßen, um sie zu besänftigen. Das Anwesen wurde verschont. Nabal traf der Schlag und Abigail wurde Davids Frau. So kam David in den Besitz von Nabals Grundstücken. (1 Sam 25). Die Tochter oder Witwe des Vorgängers, des Firmeninhabers oder Handwerksmeisters zu heiraten, das kann bis heute lukrativ sein. Das hat bei der Königstochter Michal mit Sicherheit auch eine Rolle gespielt, selbst wenn es heißt, dass sie David liebgewonnen hat (1 Sam 18,20.28).
Manche Wissenschaftler sagen, dass sich David mit der Beziehung zu Batseba zugleich die Herrschaft über Jerusalem sicherte. Als sie schwanger wurde, ließ er ihren Mann Uria einfach aus dem Weg räumen. Uria war Soldat. Er ließ ihn in einem Himmelfahrtskommando an der vordersten Front dienen. Dort fiel er.
Batseba im Bade: Diese Szene ist bei den Malern zu einem beliebten Motiv geworden, besonders in der Barockzeit. Es war zugleich die Chance, eine Nacktszene darzustellen. David beobachtet Batseba versteckt, mit Begehr in den Augen, sie wäscht sich verführerisch, räkelt sich aufreizend. So erscheint sie im Blick der Maler. Doch ist es wirklich so gewesen? Von Verführung erzählt die Bibel nichts. Sie berichtet lediglich:
Zur Abendzeit stand David von seinem Bett auf und schlenderte auf dem Dach des königlichen Palastes umher. Da sah er vom Dach aus eine Frau sich waschen, und die Frau sah sehr schön aus. David schickte jemanden hin und erkundigte sich nach der Frau. Es hieß: „Ist das nicht Batseba, dieTochter Eliams, die Frau Urijas, des Hetiters?“ David schickte Boten und ließ sie holen. Sie kam zu ihm und er schlief mit ihr. Sie hatte sich gerade zuvor von ihrer Unreinheit geheiligt. Dann kehrte sie zurück nach Hause.“ (2 Sam 11,2-4, Bibel in gerechter Sprache).
Auch danach ist von einer leidenschaftlichen Affäre zwischen beiden keine Rede. Es heißt lediglich im nächsten Vers, dass sie David ausrichten ließ: „ich bin schwanger“ (2 Sam 11,5). Das sind Batsebas einzige Worte. Bis zum Ende des 2. Samuelbuches hat sie nichts mehr zu sagen. Erst als es im Alter von David um die Thronnachfolge geht, wird sie vom Propheten Natan eingespannt, sich bei David für Salomo einzusetzen (1 Kön 1,11). Und als David hinfällig wird und eine Frau braucht, die ihn wärmt, wird keineswegs Batseba geholt. Stattdessen wird ein junges Mädchen zu ihm gebracht, Abischag von Schunem (1 Kön 1).
Ich bin schwanger. Das sind die einzigen Worte aus Batsebas eigenem Munde. So erfahren wir nicht, was sie gedacht und gefühlt hat. Nur später hören wir, dass David sie getröstet hat, als das Neugeborene starb (2 Sam 12,24).
Ich bin schwanger. Dieser Satz verbindet sie mit unzähligen Frauen vor und nach ihr. Es ist eine Feststellung, die Freude bedeuten kann, aber auch abgrundtiefe Ausweglosigkeit. Doch dieses Kind würde eindeutig ein illegitimes Verhältnis offensichtlich werden lassen. Was Batseba hätte blühen können, schildert später jene Geschichte anschaulich, in der Jesus sich vor eine Frau stellt, die von der Steinigung bedroht war. In dieser Beziehung war sie das schwächste Glied, nicht David. Er hätte sie erpressen können oder fallen lassen. Batseba hätte sich ihm wohl kaum verweigern können. Sie war ihm ausgeliefert.
Über die Affären und das Gebaren der Mächtigen wird meist stillschweigend hinweggegangen. In der Bibel macht einer den Mund auf. Natan, der Prophet. Er wagt es, David zu kritisieren.
Verlesung des Predigttextes: 2 Sam 12,1-10.13-15a (Bibel in gerechter Sprache)
Liebe Gemeinde, Sommerzeit ist nicht nur Reisezeit und Hochzeit des Tourismus. Es ist auch Hoch-Saison des Prostitutionstourismus und der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern. Manche Männer fliegen eigens nach Thailand. Wer es sich leisten kann, lässt sich eine Frau kommen. In Konzernen wie VW wird das sogar von der Geschäftsführung diskret organisiert. Höchstens wenn eine Rotlichtaffäre ans Licht kommt, wird darüber gesprochen. Sonst nicht.
Frau auf Anruf. In Zeitungen wie im Supersonntag stehen auch bei uns die einschlägigen Anzeigen [aktuelle Beispiele vorlesen]: „Parkplatzgirl: Ich komme immer und wohin du willst“; Club Excelsior: „wieder neue Mädels“; „täglich mit Table Dancing“. Doch es ist ein harter Job. Den eigenen Körper verkaufen, das macht wohl den wenigsten Spaß. Eine Lebensperspektive ist es sicher nicht. Die meisten Frauen versuchen eher, ihre Familie zu ernähren. Manche sind gezwungen worden, verkauft, brutal vergewaltigt, und den Händen von Zuhältern ausgeliefert. Prostitution ist ein einträgliches Geschäft und bietet riesige Gewinnspannen, im Ausland, aber auch hier.
„Super sexy Russin“: Ausländische Prostituierte gibt es auch bei uns. Über ihre Lebensbedingungen macht sich kaum jemand Gedanken. Oft haben die Zuhälter ihnen der Pass weggenommen. Manchmal sind sie eingesperrt. Sie haben keine Möglichkeit, sich zu beschweren und Rechte einzuklagen, denn sie können jederzeit abgeschoben werden. Doch ist das ein Thema für den Gottesdienst?
Frau auf Anruf. David hat sich einfach eine Frau kommen lassen. So lässt sich die Geschichte nämlich auch lesen. Er sah sie und ließ sie kommen, er bestellte sie zu sich. Nicht dass Batseba eine Prostituierte war. Aber sie war ihm ausgeliefert, seinen Blicken, seinen Befehlen. Er hat sie beim Baden beobachtet, heißt es. Ich muß an die Peep-Shows denken, in denen Frauen sich präsentieren, oder an die Schaufenster in den Rotlichtvierteln, in denen sie sitzen. Die Männer schlendern vorbei, begutachten sie und wählen sich eine aus. War Batseba eine der Frauen, die schön und verführerisch aussehen, aber im Grunde abhängig sind? In einer Zwangslage war sie in jedem Fall, selbst wenn die Einladung sie geschmeichelt hätte. Denn einen König einfach abblitzen lassen oder trotz seiner Aufforderung zuhause bleiben, das hätte sie nicht wagen dürfen.
Wäre es sogar denkbar, dass David sie gezwungen hat? Dass er sie herbefohlen hat – und sie musste ihm zu Willen sein? Dass David sonst nicht zimperlich war und vor roher Gewalt nicht zurückschreckte, wird ungeschminkt berichtet.
Frau auswählen, herkommen lassen, benutzen und fallen lassen – nach diesem Schema laufen immer wieder Beziehungen ab. Vor allem aber geht es in der Prostitution so zu. Die Frau wird zum Objekt, zur Ware, für die dann bezahlt wird. Was Batseba selbst denkt und fühlt, spielt keine Rolle. So lässt sich die altbekannte Geschichte aus der Bibel auch lesen, und so bekommt sie eine bedrückende Aktualität.
Frau auf Anruf. Aber Natan steht auf und macht seinen Mund auf. Er thematisiert ein Kapitel, das sonst verschwiegen oder verschleiert wird. Er kritisiert, wie David seine Position ausnutzt und sich eine Frau einfach so nimmt. In einer Fabel vergleicht er Batseba mit dem einen Schaf, das geliebt und gehegt wird, ein einzigartiges Individuum. Doch für den Reichen ist es eins unter vielen, das er zudem schlachtet und den Gästen vorsetzt, weil ihm seine eigenen zu wertvoll sind. Nathan beschreibt damit, was passiert ist: Es geht gar nicht um Liebe, im Gegenteil. David hat Batseba zum Objekt gemacht, zu einer Frau unter vielen anderen, zum Spielzeug. Natan tritt gegen die Herabwürdigung einer Frau zum Objekt auf. Er kritisiert, dass Leute wie David einen anderen Menschen einfach antanzen lassen und benutzen wie einen Gebrauchsgegenstand. Natan, der Prophet von vor fast 3000 Jahren, kann so zum Anwalt gegen Missbrauch von Menschen werden, zum Anwalt gegen Zwangsprostitution und erzwungenen Sex! Deshalb ist das auch ein Thema im Gottesdienst.
Diakonie engagiert sich schon jahrelang. Es gibt eine Bundesarbeitsgemeinschaft Prostitution und Menschenhandel, aber auch Beratungsstellen und Streetwork. Diakonie bietet Frauen z.B. Gesundheitsberatung und AIDS-Prävention an, Rechtsbeistand und Hilfen beim Ausstieg aus der Prostitution. Sie versucht aber auch Freier aufzuklären, wie sie Zwangsprostituierte erkennen und wie sie sich verhalten können, und arbeitet mit Polizei und Justiz zusammen, um für die Opfer von Menschenhandel zu sensibilisieren. Dass inzwischen Tourismusunternehmen im Flugzeug Flyer über Kinderprostitution verteilen und bestimmte Hotels nicht mehr buchen, ist sicher auch eine Frucht langjähriger Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit.
Natan hat in einer Welt gelebt, in der Frauen quasi als Besitz betrachtet wurden. Das geht aus der Geschichte hervor. Dennoch kritisiert er David. Er ergreift Partei. Heute haben wir das Denken überwunden, dass Frauen – oder Kinder oder Männer – Besitz sind. Umso mehr ist es unsere Aufgabe, für Gleichheit und Würde einzutreten. Dass Menschen zu Objekten gemacht werden, passiert in vielfältiger Weise. Am auffälligsten ist es in der Werbung. Es geschieht aber auch dort, wo Leute ihre Position oder ihren Besitz ausnutzen und mit anderen umspringen, wie es ihnen passt. Auch in Partnerschaften kommt es immer wieder vor, dass der eine die Abhängigkeit des oder der anderen ausnutzt, die wirtschaftliche oder die innere Abhängigkeit. Natan steht im Namen Gottes dagegen auf. Gott hat uns alle in unverwechselbarer Würde geschaffen. Wir handeln in Gottes Vollmacht, wenn wir diese Würde achten und zum Leuchten bringen, unsere eigene und die der anderen. So wie Natan können auch wir unseren Blick dafür schärfen, wo Menschen ihrer Rechte und ihrer Würde beraubt werden, und unseren Mund für sie aufmachen. Denn Gott selbst tritt für die Ohnmächtigen ein. Amen.
Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis über 2. Samuel 12, 1-10. 13-15a
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