Die traut sich was, steckten die Bürgersfrauen am Portal des Straßburger Münsters die Köpfe zusammen, so jung und schreibt dem Bischof kritische Briefe! Die, das war Katharina, die Tochter von Schreinermeister Schütz. Ohne Frage, Kathrina war schon als Kind ungewöhnlich aufgeweckt und wissbegierig. Ihre Eltern förderten sie, finanzierten sogar Griechischunterricht. Sie liest das Neue Testament im Urtext, verschlingt die Schriften Luthers. Versäumt im gotischen Münster keine Predigt von Matthias Zell, dem ersten von den Geistlichen des Münsterkapitels, der lutherisch predigte. Sie mischt sich ein in die öffentlichen Auseinandersetzungen um die Reformation in Straßburg, der Freien Reichsstadt, der viertgrößten deutschen Großstadt. Sie schreibt dem Straßburger Bischof Wilhelm III. von Hohnstein “raue Briefe“.
Katharina soll sich in ihrem Leben noch viel mehr trauen. Zuerst läßt sie sich trauen. Am 3. Dezember 1523 heiratet sie Matthias Zell. Sie ist Mitte 20, der Bräutigam 46. Glückwünsche treffen ein. Martin Luther selbst schreibt ihr höchstpersönlich einen Brief: „Der tugendsamen Frauen, Katharin Schützin, meiner lieben Schwester und Freundin in Christo, zu Straßburg. Gnad und Fried in Christo! Meine Liebe! Daß Dir Gott seine Gnade so reichlich geben hat, daß Du nicht allein selbs sein Reich siehest und kennest, so vielen Leuten verborgen, sondern auch einen solchen Mann bescheret, an dem Du es täglich und ohne Unterlaß besser lernen und immer hören magst, gönne ich Dir wohl und wünsche Dir Gnad und Stärke dazu, daß Du solches mit Dank behaltest… Bitte Gott für mich und grüß mir Deinen Herrn, Herr Matthias Zell. Hiermit Gott befohlen.“ (WA Briefwechsel, BD 3 Nr. 808, zitiert bei daskirchenjahr.de)
Während die Verbindung Katharina Zells Martin Luther einen Brief wert ist, stößt sie vor Ort auf Widerstand. Am 7. April 1524 wird Matthias Zell exkommuniziert mit zwei weiteren Pfarrern, die ebenfalls geheiratet haben. Katharina kommt ihrem Mann zu Hilfe. Sie greift zur Feder. Sie schickt dem Bischof einen „rauchenden Brief“. Danach verfasst sie eine Verteidigungsschrift für die Priesterehe und begründet gleichzeitig, warum sie als Frau das Wort ergreift: „Paulus sagt: Die Weiber sollen schweigen. Antworte ich: Weißt aber nicht auch, dass er sagt Galater 3: In Christus ist weder Mann noch Weib; und dass Gott im Propheten Joel sagt im 2. Kapitel: Ich werde ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch und eure Söhne und Töchter werden weissagen… Und weißt auch, da Zacharias ein Stummer wart, (hat) Elisabeth Maria… [begrüßt und gesegnet].“ (Bainton 57)
Es sollte nicht das erste und nicht das letzte Mal sein, dass sie sich öffentlich äußert. Sogar an die ganze Bürgerschaft von Straßburg verfasst sie einen Traktat. Auch gibt sie vier Gesangbücher heraus. Sie kannte die ersten Gesangbücher von Martin Luther mit gesungenen Psalmen, biblischen Erzählliedern und Katechismusstücken in Versform, die seit 1525 in Straßburg gedruckt wurden. Es waren großformatige, schön verzierte und sehr teure Bücher für den Gottesdienst. Aber dann lernt sie durch einen Brieffreund das Gesangbuch von Michael Weiße kennen, dem Vorsteher der Brüdergemeine in Böhmen und Mähren.
Diese Lieder erzählen auch von den alltäglichen Freuden und Sorgen. Es sind geistliche Lieder für den Tageslauf. Katharina Zell stellt aus ihnen 140 Texte und Melodien zusammen, überarbeitet sie, schreibt ein Vorwort. Vor allem: die 4 Gesangbücher erscheinen im Taschenformat und zu einem ganz geringen Preis. Sie wünscht sich, „dass sie der Handwerksgesell ob seiner Arbeit, die Dienstmagd ob ihrem Schüsselwaschen, der Acker- und Rebmann auf seinem Acker und die Mutter dem weinenden Kinde in der Wiege singe“ (wikipedia)
Die traut sich was. Ihr Haus wird zur Herberge Ausgestoßener und Verdammter. 1524 nimmt sie die ersten Verfolgten aus Österreich auf. Sie stellt für 80 Flüchtlinge Betten im Pfarrhaus zur Verfügung und verpflegt drei Wochen lang 60 Personen. Für die übrigen organisiert sie die Versorgung auf andere Weise. Sie tröstet die zurückgebliebenen Ehefrauen mit einem Trostbrief, der als Traktat veröffentlicht wird: „ … in Gott lieben Schwestern und gläubigen Weiber der ganzen Gemeinde zu Kentzingen… Ich bitte auch Gott Tag und Nacht mit euch allen… [Gott sagt:] Sowenig als die Mutter ihres saugenden Kinds mag vergessen, so wenig mag ich euer vergessen… Sind das nicht tröstliche, goldene Worte…? Liebe Schwestern… erschreckt nicht… Bedenkt der Worte Christi… Selig sind, so hier traurig sind, denn sie sollen getröstet werden. Bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen…“ (Bainton 63 f.)
1525 bricht der Bauernkrieg aus. Gruppen aufgebrachter Bauern sammeln sich um Straßburg herum. Katharina Zell, ihr Mann und sein Pfarrkollege Capito gehen in die Lager und werben für ein gewaltfreies Vorgehen. Als die Fürsten sie grausam niedermetzeln, strömen tausende Überlebende, Frauen und Kinder, nach Straßburg. Beinahe über Nacht leben 3000 Menschen hier, die keine Bürgerrechte besitzen. Zwei Personen nehmen das Problem in Angriff: Lukas Hackfurt, ein engagiertes Mitglied des Sozialausschusses und Wiedertäufer, und Katharina Zell. (Bainton 65)
Die traut sich was. In der Reformation entwickeln sich bald sehr verschiedene Auffassungen, um Luther in Wittenberg andere als um Calvin und Zwingli in der Schweiz. Der tiefe Graben zwischen beiden Richtungen wurde durch die Abendmahlslehre markiert. In Straßburger hingegen gehen sie andere Wege. Sie suchen nach Kompromiß und Verständigung. Matthias Zell steht hinter seiner selbständigen Frau. Deren Türen stehen offen auch für die, die als Schwärmer oder Wiedertäufer beschimpft werden. Selbst radikale Reformatoren wie Kaspar von Schwenckfeld werden von ihr geschätzt. Katharina wendet sich entschieden dagegen, Andersglaubende auszugrenzen oder sogar auszurotten.
Auf dem Weg zum Marburger Religionsgespräch machen die Schweizer Theologen in ihrem Pfarrhaus Station. Luther steht mit ihr in Briefwechsel. Auf Reisen – auch ohne ihren Mann – besucht sie Gelehrte und Reformatoren in Zürich, in Konstanz, in Nürnberg. Nach 1538 begleitet sie ihren Mann nach Wittenberg, wo sie mit ihrem Mann und Martin Luther über die Fragen der Abendmahlskonkordie spricht. Sie hatte ihm schon einmal einen Protestbrief geschickt und zu Einigung gemahnt.
Sie schreibt über diese Jahre: „Ich habe… mich vieler Leute angenommen, für sie geredet und geschrieben, es seien die, die unserem lieben Doktor Martin Luther anhangen oder Zwingli oder Schwenckfelden, oder die armen Taufbrüder, reich und arm, weis und unweis, alle haben sie zu uns kommen dürfen.“ Die größte Sünde wäre gewesen, die Liebe zu verweigern, zu der Christus aufgefordert hat. daskirchenjahr.de
Im Januar 1548 stirbt Matthias Zell. Sie hält selbst die Grabrede. Auf die Frage, ob sie als Frau das denn dürfe, antwortet sie, sie wolle keine Predigerin sein, sondern sie mache es nur wie Maria Magdalena. Der Tod ihres Mannes ist ein schwerer Schlag für sie. Die beiden haben keine Kinder. Ihr Mann hatte ihr Rückhalt gegeben und sie hatten sich beide ergänzt. „Wäre ich nit seines Sinnes gewesen, ich hätt ihn nit genommen“, sagt sie und (Kindergottedienst Baden) „Mein Mann und ich hatten nie auch nur 15 unglückliche Minuten miteinander.“ Bainton 57
Ein Jahr lang zieht sie sich zurück nach Basel und Zürich. Dann läßt sie sich wieder in Straßburg nieder. Die Zustände im Hospital für Syphilis-Kranke, dem Blattern-Haus, erschüttern sie so, dass sie dem Stadtrat einen ausführlichen Bericht über die Zustände stickt, einschließlich detaillierter Verbesserungsvorschläge.
Ihren letzten Dienst erweist Katharina im Jahr 1562 wieder einer Ausgegrenzten, der verstorbenen Frau eines angesehenen Arztes. Sie war eine Anhängerin Schwenckfelds gewesen. Deshalb wollte der Pfarrer sie nicht beerdigen. Katharina Zell ist schon zu schwach, um gehen zu können. Sie läßt sich früh am Morgen in einem Wagen zum Friedhof bringen und hält dort selbst den Trauergottesdienst. Von den Kanzeln herunter wird das getadelt.
Zwei Monate später stirbt sie selbst, am 5. September 1562, vor 450 Jahren. Ihr Gedenktag war am Mittwoch. Katharina Zell sagt über sich: „Ich bin, seit ich zehn Jahre alt bin, eine Kirchenmutter, habe alle Gelehrten geliebt, viel besucht, und mit ihnen mein Gespräch vom Reich Gottes gehabt.“ (Ulrike Grüneklee, Lüneburg: Reformatorinnen und ihre Lieder NDR Kultur 29.5. – 2.6.2012)
Ihre Zeitgenossin Elisabeth Cruciger aus Wittenberg, ebenfalls eine Pfarrfrau, hatte einmal einen Traum: Sie träumte, dass sie auf der Kanzel gestanden und gepredigt habe. Sie erzählte ihn ihrem Mann, einem angesehenen Pfarrer. Der hat gelacht und ihren Traum so gedeutet: „Vielleicht hat dich der liebe Gott für würdig befunden, dass dein Gesang, mit dem du zuhause umgehst, auch in der Kirche gesungen werden soll!“ Katharina Zell hat diesen Traum schon gelebt. Das Lied von Elisabeth Cruciger aus Wittenberg aber hat Martin Luther in sein allererstes Liederbuch aufgenommen und auf diese Weise predigt sie bis heute.
Predigt am 9.9.2012
Die Angaben zum Leben und Schreiben Katharina Zells stammen vor allem von Roland H. Bainton: Frauen der Reformation. Gütersloh 1996 (3. Auflage), aber auch aus anderen Quellen, z.B.
daskirchenjahr.de -> Heiligenkalender -> 5.9. Katharina Zell
wikipedia.de: Katharina Zell
http://www.theologinnenkonvent.de/pdf/reformation/Grueneklee_Reformatorinnen_Lieder.pdf (Ulrike Grünklee)
Meine eigene geistige Leistung beschränkt sich lediglich darauf, die Angaben und Zitate zu einer Predigt verarbeitet zu haben.
Liedvorschläge:
EG 27 Herr Christ, der einig Gotts Sohn (Elisabeth Cruciger)
EG 319 Die beste Zeit im Jahr ist mein (Martin Luther, Melodie aus Straßburg)
EG 194,1-3 O Gott, du höchster Gnadenhort (Konrad Hubert, Vikar und Pfarrer in Straßburg, Mitarbeiter Bucers)
EG 222,1-3 Im Frieden dein, o Herre mein (Johann Englisch, Lehrer und Vikar in Straßburg, Anhänger Bucers)
als Gloria EG 180.1 (Straßburg)
Mögliche Predigttexte: Lukas 8,1-3, Römer 16
Weitere Predigten in der Trinitatiszeit: hier
Predigten im Jahreslauf: hier