Unser Körper – ein Tempel

Früher wurde den kleinen Jungs und Mädchen die Hände über der Bettdecke festgebunden, damit sie nicht onanierten. Es wurde ihnen verboten. Sie würden blödsinnig werden. Gott würde auch im Dunkel alles sehen, was sie machen. Alles, was „unten“ war, war schmutzig. Es gab keine Worte dafür.
Seit Siegmund Freud wissen wir, dass Sexualität zum Leben dazugehört. Sie ist eine der großen Triebkräfte. Sie wegzudrängen und nicht darüber zu reden, kann Menschen krank machen.
In der Kirche tun wir uns schwer, darüber zu sprechen. Sexualität und Sinnlichkeit kommen in der Kirche nicht vor, obwohl es für viele so wichtig ist und zu unserer Person gehört.
Ihr Stellenwert und unsere Beziehung zu ihr ändern sich im Laufe des Lebens. Sie sind anders bei Menschen, die allein leben, anders bei älteren Menschen, bei Jugendlichen, bei Kindern.
Es ist ein sehr intimer Bereich unserer Persönlichkeit. Natürlich kommt Sex im Fernsehen ständig vor, und die Auslagen der Zeitschriftenläden sind voll mit einschlägigen Magazinen. Dennoch fällt es uns schwer, darüber zu sprechen. Wir haben keine angemessene Sprache. Es fehlen uns Worte, mit denen wir beschreiben können, was wir erleben, und darüber reflektieren. Viele von uns sind außerdem aufgewachsen mit einer Schere im Kopf: Geist und Körper haben unterschiedlichen Stellenwert. Wichtig ist der Geist, der Glauben; das andere ist nebensächlich. Körperliche Vorgänge lenken ab vom „Eigentlichen“ – sie sind minderwertig und schlecht.
Paulus sagt: Euer Körper ist ein Tempel, ein Tempel des Heiligen Geistes. Gott hat uns geschaffen. Gut geschaffen. Unterschiedlich geschaffen. Und alle sind wir kleine Tempel.
Wir glauben, dass Gott die gesamte Schöpfung ins Leben gerufen hat. Gott durchdringt und bewegt das All und jede Kreatur, in jedem Moment, bis heute. Gott belebt und erneuert uns und den gesamten Kosmos. Heutzutage wissen wir viel mehr als Paulus davon, wie alles zusammenhängt, Makrokosmos und Mikrokosmos, Körper und Seele. Wir sind keine Maschinen.
Wir erfahren Gott mit jeder Faser unseres Körpers. Gott ist uns nah und umgibt uns. Mit jeder Zelle unseres Körpers spüren wir Gott, bewusst oder unbewusst. Wir sind ein Tempel von Gottes Geist. Gott wohnt in uns – und andere erfahren Gottes Gegenwart durch uns. Nicht nur durch das, was wir sagen, sondern auch durch unsere körperliche Präsenz.
Die Kirche hat Normen und Moral der jeweiligen Zeit oft mit göttlichen Normen verwechselt. Für uns heute ist selbstverständlich, dass keine Frau gezwungen werden darf, mit ihrem Partner zu schlafen. Vergewaltigung in der Ehe ist ein Straftatbestand. Für die Kirche war es früher selbstverständlich, dass dem Mann „sein“ Recht zustand und er über ihren Körper verfügen durfte. Früher hat die Kirche die Position eines Paares im Bett vorgeschrieben: sie unten, er oben – die Missionarsstellung. Für uns heute ist es selbstverständlich, dass die Partner miteinander herausfinden, was für sie am angenehmsten ist. Früher galt sogar als verboten, Lust zu empfinden. Die Ehe war nur dazu da, um Kinder hervorzubringen.
Werte und Moralvorstellungen ändern sich und auch das Wissen über uns und unsere Welt. Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was zeitbedingt ist, wo auch Paulus ein Kind seiner Zeit war, und dem, worum es eigentlich geht, also dem Maßstab.
Paulus zählt einen Lasterkatalog auf. Darin kommen Unzüchtige, Ehebrecher und Knabenschänder vor. Wenn er von Unzucht spricht, dann bezieht sich das auf das, was die Würde beschädigt, die Würde beider Seiten. Unzucht oder Hurerei wäre, dass wir etwas tun oder an uns zulassen, was sich gegen das richtet, was Gott in uns angelegt hat Darauf zielt Paulus ab. Wenn von Sexualität in diesem Text die Rede ist, dann von entfremdeter, die nicht in Beziehung eingebettet ist, sondern andere ausnutzt. Paulus verurteilt eine Sexualität, die abgespalten und zwanghaft ist, bei der wir uns und andere verbiegen.
Wir fragen, was uns heute entfremdet. Wo zerstören wir uns? Wo hindern wir uns und andere daran, dass wir Gott mit unserem Körper erfahren und erfahrbar machen?
Manche Menschen stehen so unter Druck, dass sie die Signale des Körpers missachten und verlernen, darauf zu hören. Sie arbeiten bis zur Erschöpfung oder verausgaben sich bis zum Umfallen. Wie sorgsam gehen wir mit unserem Tempel um? Wie ernähren wir uns? Wie bewegen wir uns? Vorsorge zu treiben ist durchaus eine Frage des Evangeliums.
Immer wieder werden Menschen gegen ihren Willen berührt, missachtet, missbraucht, geschlagen, ausgenutzt, genötigt. Für sie verbindet sich Berührung nicht mit Annahme, sondern mit Entfremdung. Die Nähe, die sie spüren, ist keine heilsame, sondern vermittelt ihnen Verlassenheit, Gottverlassenheit.<
Doch Jesus hat Menschen so berührt, dass sie heil werden konnten. Indem er sie umfasste, umarmte und segnete, hat sich in ihnen etwas gelöst, und sie konnten Gott erfahren. Gott kann Menschen anrühren durch Berührungen und Umarmungen. (Zum Weiterlesen: Bruce und Katherine Epperly: Reiki healing touch and the way of Jesus. Kelowna, B.C.: Northstone 2005 ISBN: 1896836755)
Wir dürfen uns diesem Tempel ehrfürchtig nähern, ihn behutsam berühren, zärtlich sein. Gott hat uns schön gemacht. Wir dürfen diese Schönheit bewundern.
Ein katholischer Theologe hat gesagt: „Sexualität ist eine heilige Handlung und eine spirituelle Erfahrung…“ Sexualität „ist heilig“. (Matthew Fox, 95 THesen, These 23, Publik-Forum 12 / 2005 – Matthew Fox gehört inzwischen der episkopalischen Kirche an.)
Es ist ein Geschenk, wenn Menschen sich in solchen Momenten besonders intensiv erleben können und Transzendenz erfahren. Wenn Menschen sich so begegnen, können sie über die Begrenzungen ihrer Persönlichkeit hinauswachsen, ja Gott erfahren.
Wir haben Angst, es könnte verboten sein, so zu denken. Ich weiß, es ist ungewohnt, in der Kirche so zu sprechen, es ist Ihnen vielleicht sogar unangenehm. Es gibt ja keine Vorbilder.
Dennoch – ich halte es für nötig, wenn wir wirklichkeitsnah sein wollen. Im Johannesevangelium heißt es: Das Wort wurde Fleisch – in aller Kreatürlichkeit. Wir brauchen keine Scheu davor haben, dass wir körperlich werden, gerade in der Kirche. Wir sind Tempel und spiegeln göttliche Schönheit wider.
Wir können Gott erfahren, bis in die verborgensten Teile und in die kleinsten Zellen unseres Körpers hinein. Wir können andere an dieser Erfahrung teilhaben lassen.
Ihr seid das Licht der Welt (Mt 5,14). Lasst euer Licht leuchten!

Predigt über 1.Kor 6,9-14.18-20 (8. Sonntag nach Trinitatis)

Weitere Predigten in der Trinitatiszeit: hier
Predigten im Jahreslauf: hier

außerdem: zum Valentinstag: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt
außerdem zum Valentinstag: Schwarz bin ich und schön (Hoheslied)
außerdem: Liebe teilen
außerdem: Ehescheidung verboten?

Zum Nach-Denken ein Gedicht von Gioconda Belli:
Und Gott machte eine Frau aus mir,
mit langem Haar,
Augen,
Nase und Mund einer Frau.
Mit runden Hügeln
und Falten
und weichen Mulden,
höhlte mich innen aus
und machte mich zu einer Menschenwerkstatt.
Verflocht fein meine Nerven
und wog sorgsam meine Hormone aus.

Mischte mein Blut
und goss es mir ein,
damit es meinen Körper überall bewässere.
So entstanden die Gedanken,
die Träume,
die Instinkte.
All das schuf er behutsam
mit seinen Atemzügen,
die tausendundein Dinge,
die mich täglich zur Frau machen,
derentwegen ich stolz
jeden Morgen aufwache
und mein Geschlecht segne.

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