Reden wir über’s Geld. Oder lieber nicht. Über Geld spricht man nicht. Nicht darüber, was wir verdienen. Und auch nicht darüber, was wir in den Klingelbeutel werfen. Wir erzählen nicht so gern darüber, was jeden Monat auf unserem Konto ankommt. Und nicht alle finden es gut, wenn im Gottesdienst das Kollektenkörbchen herumgeht und alle sehen können, wie viel die anderen hineinwerfen. Es soll Unternehmen geben, die ihren Beschäftigen sogar verbieten, sich über ihren Lohn auszutauschen. Die, die weniger bekommen, könnten sich empören.
Wieviel du verdienst, soviel bist du wert. Mit der Bezahlung steigt auch das Image. Wie wir eine Tätigkeit honorieren, das zeigt, welchen Stellenwert die Gesellschaft ihr beimisst. Geschäftsführung wird kaum an eine 450 – Euro-Kraft vergeben. Doch niemand nimmt daran Anstoß bei Sozialarbeit oder wenn Angestellte – etwa im Reinigungsgewerbe – mit ekelerregenden oder gesundheitsgefährdenden Stoffen umgehen.
Über Geld wird nicht geredet, aber wir haben eine unausgesprochene Rangordnung, in die wir uns und andere einordnen. Und der sie auch zu entsprechen haben. Wir erwarten, dass Zahnärzte gut verdienen, und dementsprechend auftreten. Das Klischee sieht nicht vor, dass eine Praxis sich nicht rentierten könnte. Deshalb fällt es so schwer, über Schulden zu sprechen. Schulden haben heißt: ich habe mich übernommen. Die Rolle, die ich nach außen hin darstelle, kann ich nicht (mehr) ausfüllen. Wer will das schon zugeben?
Wie wir mit Geld umgehen, offenbart viel von uns, von unseren Werten. Auch persönlich. Gehe ich nach der Qualität? Steht an erster Stelle, dass es billig ist? Ob es fair gehandelt ist, schadstofffrei? Kaufe ich, weil es gerade Mode ist oder damit es 100 Jahre halten soll? Bei Aldi, freitags auf dem Markt, in der Göpenstraße oder fahre ich nach Günthersdorf zu Nova Eventis? Egal ob Brot oder Kaffee, ein Pullover oder ein neuer Schank: wie und wo wir einkaufen, erzählt viel über uns. Und wofür wir spenden, ganz besonders. Das zeigt, was uns am Herzen liegt.
Über Geld spricht man nicht. Und frau?
Am 7. März war Equal Pay Day. Tag des gleichen Lohns. Vom 1. Januar 2021 bis zum Montag, 7. März 2022, mussten Frauen arbeiten, um soviel zu verdienen wie die Männer im Jahr 2021, also ein knappes Vierteljahr länger.
Das Statistische Bundesamt hat ausgerechnet, dass 2021 der Stundenlohn von Frauen bei 19,12 Euro / Stunde lag, 4,08 weniger als bei ihren männlichen Kollegen. Frauen in Deutschland verdienen durchschnittlich 18 % weniger als Männer; im europäischen Schnitt sind es übrigens nur 15 %. Die Renten fallen entsprechend niedriger aus. (www.destatis.de)
Weltweit fällt es noch mehr ins Auge. Laut UNO werden zwei Drittel der Arbeitsstunden von Frauen geleistet. Doch sie verdienen nur 10 % des weltweiten Einkommens und besitzen nur 1 Prozent (Hamidon Ali 26.6.2010, randzone-online.de)
Den Witwen der Bibel von damals entsprechen heute die Frauen, die ihre Familien allein durchbringen, weil die Männer verschwunden sind oder an AIDS gestorben oder in die große Stadt gefahren, aus der sie Geld schicken wollten. Sie pflücken in Chile Weintrauben, nähen Turnschuhe und Plüschtiere in China zusammen, verkaufen in Kamerun Hühnchen auf dem Markt.
Sie sind froh, wenn am Abend alle Mäuler gestopft sind und noch etwas übrigbleibt. Für Schulbücher. Für Medizin für die Kinder. Und für die Blechdose in der Ecke. Da kommt der Rest von Wechselgeld hinein oder der Zehner, der gespart wird.
Kulturübergreifend haben Frauen im Küchenschrank oder wo auch immer eine Schachtel, ein Schraubglas oder Schälchen stehen, in das sie kleine Münzen sammeln, winzige Überschüsse, die zu bescheidenen Sümmchen wachsen. Manchmal ist es das einzige Geld, über das sie für sich selbst frei verfügen können, Taschengeld und Notgroschen zugleich. Und Kollekte. Das Scherflein der Witwe.
In vielen Kirchenbänken sitzen alleinstehende Frauen. Manchmal bilden sie die größte Gruppe der Gottesdienstbesucher*nnen. Sonntag für Sonntag füllen sie das Kollektenkörbchen. Oft haben sie selbst nicht viel. Trotzdem spenden sie Woche für Woche und ohne großes Aufsehen. Ein Gutteil der Finanzen, von denen wir als Kirche leben, kommt aus ihren Portemonnaies.
[Markus 12, 41 – 42] Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig.
Über Geld spricht man nicht? Jesus setzt sich sogar hin und beobachtet ganz offensichtlich, wie die Leute mit Geld umgehen und wie viel sie spenden, er vergleicht und redet darüber.
Die Witwe wird in vielen Predigten als Beispiel für Gottvertrauen und Selbstaufopferung hingestellt und als Vorbild für uns. Auch du sollst verzichten und abgeben!
Mir ist nicht wohl mit solchen moralischen Appellen. Sie treffen meistens die Falschen und setzen die unter Druck, die sowieso knapp dran sind oder den Hang haben, sich ausnutzen zu lassen. Es ist lebensfern zu verlangen, den letzten Euro in die Sammelbüchse zu werfen und mit knurrendem Magen ins Bett zu gehen, statt ein paar Scheiben Brot für’s Abendbrot zu kaufen. Ist es nicht eher verantwortungslos zu spenden, statt die Schuldenraten regelmäßig abzustottern?
Das geht aus dem Bibeltext freilich gar nicht hervor. Daß Jesus die Witwe als Vorbild hingestellt hätte, wird genau genommen nicht gesagt.
[43 + 44] Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
Jesus beobachtet und stellt fest: Die Ärmste von allen gibt im Verhältnis am meisten. Genau das habe ich aus der Sangerhäuser Tafel auch gehört: Die Allerärmsten sind oft am bescheidensten. Sie trauen sich am wenigsten, ihre Rechte einzufordern. Sie werden in die Ecke gedrängt von anderen, die noch besser dran sind als sie, aber lauter klagen und schneller nehmen.
Mitarbeitende in der Obdachlosenarbeit erzählen, dass die Solidarität der ganz Armen manchmal erstaunlich ist. Die letzte Zigarette, das letzte Hemd – sie werden tatsächlich geteilt. An den Rändern der Gesellschaft ist nicht nur das Elend größer, die Ausweglosigkeit, Gewalt und Neid, sondern – manchmal – auch die Solidarität.
Könnte es sein, dass es Jesus um diese Solidarität geht? Um einen Aufbruch, der bei den Armen beginnt. Sie geben nicht auf. Mitten in der Hoffnungslosigkeit teilen sie Trost und Mitgefühl.
Eine arme Frau spendet alles, was sie hat. Wieso eigentlich? Warum kommt sie zum Tempel? Klar ist: Ihr Ziel ist einer der 13 Schatzkästen, die im Vorhof der Frauen an der Tempelmauer aufgestellt sind. Einer ist für freiwillige Gaben, wenn jemand ein Gelöbnis abgelegt hat. Ein Priester steht daneben, nennt die Summe und bekundet damit, dass die Spende hoch genug ist. (vgl. Drewermann, Das Markusevangelium II, Freiburg 1991, 324).
Zu allen Zeiten sind Leute zu Tempeln und Kirchen gepilgert, um zu opfern, erleichtert und voller Dank die einen, mit bangem Herzen und Angst die anderen. Krankheit, existenzbedrohende Sorgen, ein Gerichtsprozess, ein Schicksalsschlag.
Interessanterweise hat niemand darüber nachgedacht, was diese Witwe dazu bewogen hat, ein Gelöbnis abzulegen. Ich glaube, sie steckt in einer beklemmenden Situation. Eine bettelarme Frau gibt nicht ohne Not ihr letztes Kapital aus den Händen. Es muß sehr wichtig sein, sonst würde sie nicht ihren Notgroschen weggeben. Ihre letzte Hoffnung – ihr letzter Groschen.
Den setzt sie auf Gott. Ihr letzter Ausweg ist Gott, Anwalt der Rechtlosen, Armen, Übersehenen, der Witwen. Gott schafft einen Ausweg selbst aus der Sklaverei in Ägypten. Worum auch immer sie gebetet hat – Jesus sitzt da und nimmt sie wahr. Er gehört nicht zu denen, die über Leute wie sie hinweg sehen. Er ist ja selbst obdachlos, ohne feste Bleibe: Die Füchse haben Gruben und die Vögel des Himmels Nester; aber der Sohn des Menschen hat nicht, wo er sein Haupt hinlege (Lk 9,58, Evangelium von Oculi). Er weiß, wie viel die Scherflein der Witwen bedeuten und was sich hinter ihnen verbirgt.
Über Geld spricht man nicht? Jesus guckt genau hin und thematisiert es. Wofür geben wir unser Geld aus? Wie können wir in Gerechtigkeit investieren? Wie säen wir Zukunft?
Ungleiche Löhne für Männer und Frauen, Kapitalströme um den Globus, das sind auch Themen in die Kirche. Gottes neue Welt lässt sich nicht mit Geld kaufen. Und weil das Geld bei uns diese Rolle spielt, müssen wir darüber reden.
Predigt am 8. Sonntag nach Trinitatis (alte Perikopenordnung: Oculi) zu Markus 12, 41-44
[Liedvorschläge:
Wenn die Armen, was sie haben, noch verteilen (Weltgebetstag 2011, Chile)
Kleines Senfkorn Hoffnung, Strophe 3: Kleine Münze Hoffnung, mir umsonst geschenkt…]
siehe auch Martha – die Heilige mit Kochlöffel und Drachen
siehe auch Demut ?
siehe auch Fette Kuh. Über Dicksein und Gerechtigkeit
Weitere Predigten in der Trinitatiszeit: hier
Predigten im Jahreslauf: hier