„Ich sitze im Wohnzimmer mit meiner Freundin. Wir erzählen und trinken ein Glas Wein. Mein Mann kommt von der Arbeit. Er grüßt mich, starrt mich an und schlägt mich ins Gesicht. Ich blute aus der Nase. Der Schmerz dröhnt, dumpf und pochend. Mein Mann ist mir plötzlich unheimlich. Warum demütigt er mich so? Wir waren zu diesem Zeitpunkt erst vier Wochen verheiratet. Später entschuldigte er sich und beteuerte, es kommt nie wieder vor. Ich glaubte ihm und suchte die Schuld bei mir.
20 Jahre blieb ich mit ihm zusammen. 20 Jahre, in denen ich immer wieder geschlagen und gedemütigt wurde. Meine Freundin rät mir, ihn zu verlassen. Aber wo sollte ich hin?! Ich schämte mich vor meiner Mutter. Es war mir peinlich zuzugeben, dass ich einen Schläger geheiratet hatte.
Ich nahm Kontakt zum Frauenhaus auf und bereitete heimlich meinen Auszug vor. Meine zwei Söhne waren erwachsen und kamen ohne mich zurecht. Es war ein schwerer Schritt, dieses neue Leben zu wagen. Aber jetzt fühle ich mich sicher in meiner Wohnung. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, nachts wieder ruhig schlafen zu können. Ich bereue nur, dass ich diesen Schritt nicht schon viel früher gemacht habe.“ Susanne G.
Gedemütigt. Das ist es wieder, dieses Wort. 20 Jahre geschlagen und gedemütigt. Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes. Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade, heißt es im 1. Petrusbrief (1 Petr 5,6a+5). Sieht so Evangelium aus, frohe Botschaft? Wie soll das klingen in den Ohren von Frauen wie Susanne? Ihre Demütigung, 20 Jahre lang, ist gottgewollt und geht weiter durch Gottes Hand?? Demütig sein, das klingt wie sich unterordnen, Schläge und Willkür ertragen, den Kopf senken und nie aufmucken.
Solcherart Demut wurde jahrhundertelang Frauen gepredigt und hat ihnen das Leben vergiftet und zerstört. Bibelstellen wie diese wurden ihnen gepredigt und dienten als Begründung, ungleiche Rechte klaglos hinzunehmen.
Sich unterordnen, das legt der erste Petrusbrief Frauen nahe, Sklavinnen und Sklaven, Gemeindemitgliedern allgemein. Unter dem Namen von Petrus, der aber zu dieser Zeit schon Jahrzehnte nicht mehr lebte, schreibt ein unbekannter Christ. Er schreibt an Gemeinden, die unter dem Kaiser Domitian verfolgt wurden. Sein Rat: nicht aufbegehren, sondern Gehorsam.
Seid untertan aller menschlichen Ordnung , sei es dem König als dem Obersten oder den Statthaltern als denen, die von ihm gesandt sind … Ehrt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den König. Brüder, Gott, König in einem Atemzug. Damals war das Überlebensstrategie. Sie galt für Christinnen und Christen, die tatsächlich verfolgt und bedroht waren. Dieser Hintergrund geriet in Vergessenheit, als die Zeiten sich wandelten und die Kirche zur herrschenden wurde. Hängen geblieben ist die Unterordnung als Wert an sich, als christlicher Wert, als Pflicht für die Untertanen, die Hörigen, die Frauen. Wer selbständig dachte und glaubte, wer Fragen an diese Ordnung stellte und gegen Willkür aufmuckte, galt auf einmal als ungehorsam gegenüber Gott und wurde vom Staat zur Rechenschaft gezogen. Fürchtet Gott, ehrt den König (2,17).
Manche Bibelstellen schleppen ihre unheilvolle Geschichte mit sich herum, die Geschichte, wie in ihrem Namen Menschen kleingemacht wurden. So wurde das Evangelium verdreht und mißbraucht. Was die Menschen eigentlich freimachen sollte und froh, kam unter die Räder.
Vielleicht läßt sich dieser Abschnitt auch anders verstehen. Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Erniedrigten schenkt Gott Gnade (Übersetzung Bibel in gerechter Sprache). Die Erniedrigten der Bibel, das sind Menschen, die geduckt sind, elend, verarmt, vergewaltigt. Ihnen wendet Gott sich zu, solidarisiert sich mit ihnen, stellt sich auf ihre Seite, wendet ihr Schicksal. Die Gebeugten, sie werden das Land besitzen, ist sich die Bibel sicher (Ps 37,11; Mt 5,5).
Die Erniedrigten der Bibel, das sind Leute wie Hagar, die ausländische Sklavin von Abraham und Sara. Hagar soll das ersehnte Kind für Abraham und Sara austragen, als Leihmutter. Als Hagar schwanger wird, demütigt Sara sie so sehr, daß sie in die Wüste flieht, in den sicheren Tod. Gottes Engel findet sie und zeigt ihr eine Wasserquelle, und Hagar gibt Gott sogar einen Namen: Du bist ein Gott, der mich sieht.
Verblüffend ähnlich klingt es bei Maria, der Mutter von Jesus. Auch sie unverheiratet. Auch sie schwanger. Auch zu ihr kommt Gottes Engel. Auch sie berichtet, daß Gott sie angesehen hat. Auch bei ihr dasselbe Wort: Erniedrigung, Demütigung. Gott hat auf die Erniedrigung ihrer Sklavin geschaut, singt Maria.
Maria ist „eine erniedrigte Frau, die Gewalt erlitten hat“, vielleicht sogar vergewaltigt wurde. „Gott hat Marias Erniedrigung gesehen und sie beendet.“ (BigS, Erklärung zu dal / tapeinos, S. 1791)
Gott holt die Gedemütigten aus dem Schatten, gibt ihnen Namen und Würde und steht ihnen bei. Aus ohnmächtigen, hilflosen Opfern werden Menschen, die aufrecht gehen und ihren Mund aufmachen – also gerade das Gegenteil der fügsamen, pflegeleichten grauen Maus. Den Gedemütigten gibt Gott Gnade. 20 lange Jahre ließ Susanne G.s sich demütigen. Dann ging sie weg und wurde frei.
Demütigt euch, das schreibt Gott anderen ins Stammbuch. Denen, die ihre Macht mißbrauchen, ob im Schlafzimmer oder auf dem Managersessel. Die sich aufführen, als ob sie die Herren der Welt wären. Demütigt euch, das wird dann zur Frage an uns, nämlich: wie wir mit Menschen umgehen, die auf uns (oder andere) angewiesen und von uns abhängig sind. Wie kann Macht verantwortlich eingesetzt werden? Wo ist sie nötig, wo kann sie geteilt und wo muß sie begrenzt werden? Bei den Gedemütigten sein und ihnen beim Aufstehen beistehen, dazu helfe uns Gott.
Predigt am 15. Sonntag nach Trinitatis zu 1. Petrus 5, 5c – 11
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Andere Pedigt am 15. Sonntag nach Trinitatis über 1. Mose 2: Die Sache mit der Rippe
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