Durch Beharrlichkeit lassen sich Wunder erreichen. Eva Löber aus Wittenberg etwa. Dort steht am Markt das Haus des Malers Lucas Cranach. Es ist ein beeindruckendes Renaissance-Ensemble, denn Cranach war nicht nur Maler, sondern auch Apotheker, Drucker und Bürgermeister zugleich. Zu DDR-Zeiten war es hoffnungslos heruntergekommen. Schon 1989 setzte Eva Löber sich für den Erhalt ein. Sie suchte Gleichgesinnte. Sie gründete eine Bürgerinitiative und in den 1990-er Jahren eine Stiftung. Schritt für Schritt kratzte sie Fördergelder zusammen, trieb die Sanierung voran, entwickelte zeitgemäße Nutzungskonzepte. Heute sind die Cranach-Höfe Herberge, Künstler*innenwerkstatt, Malschule, kulturelles Zentrum. Am 22. Oktober wird Eva Löber vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz mit dem Schinkel-Ring ausgezeichnet, dem renommiertesten deutschen Denkmalschutzpreis.
Aber angefangen hat es klein und ziemlich aussichtslos. So klein wie das Senfkorn, das Jesus als Vergleich nimmt. Doch das Senfkorn hat ausgereicht, um Großes zu bewegen.
Fridays for Future ist ein anderes Beispiel. Es war der erste Schultag nach dem Dürresommer 2018 und drei Wochen vor den Parlamentswahlen in Schweden. Greta Thunberg war 15 Jahre alt, als sie mit ihrem Schulrucksack und einem selbstgebastelten Schild vor das Parlament setzte. Am nächsten Tag waren sie schon zu dritt. Den Lehrstoff holten sie zuhause nach. Im Dezember, als sie vor der UN-Klimakonferenz in Katowice eine Rede hielt, setzten sich schon Tausende vor die Rathäuser. Inzwischen sind sie weltweit aktiv, haben sich vernetzt, haben Verbündete gefunden – Omas for Future – , werden ernstgenommen. Ihre Überzeugung, ein Senfkorn, hat eine Bewegung hervorgebracht.
Mit solchen Senfkörnern setzen Menschen an vielen Stellen unserer Welt Veränderungen in Gang. Oftmals müssen sie sich anhören, dass ihnen der Sachverstand fehlt und dass die Zusammenhänge zu komplex seien. Oder dass es niemand bezahlen kann. Andere werden mit Shitstorms überzogen. Aber sie lassen sich nicht ausreden, dass sie ja doch nichts ausrichten können. Sie lassen sich nicht entmutigen. Sie fangen einfach an – weil es ihnen wichtig ist und weil sie sich nicht abfinden. Die Samenkörner der Zuversicht, so unscheinbar sie anfangs aussehen mögen, sie tragen Früchte.
Die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.
Freilich: Bäume ausreißen hat etwas Gewaltsames und Brutales und Zerstörerisches. Religionen entwickeln leider immer wieder auch Gewaltpotenzial. Gestern war der 11. September. Vor 20 Jahren brachten 2 Flugzeuge die Twin-Towers in New York zu Fall. Terror im Namen der Religion. Doch zerstörerisch können Religionen auch sein, wenn sie Menschen innerlich unter Druck setzen. Prediger machen Gläubigen Angst, nutzen ihre Schuldgefühle aus, machen sie abhängig. Sie versprechen Wunder: Wenn ihr glaubt wie ich, könnt auch ihr Berge versetzen und Bäume umstürzen lassen.
Heute würden wir andere Bilder als das vom ausgerissenen Maulbeerbaum verwenden. Es ist ja nicht nur die Gewalt, die hinter diesem Bild steckt. Im 21. Jahrhundert ist nicht unsere Aufgabe als Menschheit, Bäume auszureißen, sondern zu pflanzen. Es wurden schon genug Bäume gerodet für Parkplätze, Gewerbegebiete und Asphaltwüsten. Inzwischen geht der Wald im Sommer nicht nur in Griechenland oder Spanien in Flammen auf, sondern auch an der A9 in Brandenburg. Dort hat es 2018 wochenlang gebrannt.
Die Bedeutung der Bilder wandelt sich. Einen Maulbeerbaum abzuholzen war in der Zeit des Neuen Testaments Schwerstarbeit und sicherlich oftmals nötig. Die Menschen haben davon geträumt, dass ihnen die schwere Arbeit erleichtert wird. Jesus wollte ihnen mit seinem Vergleich Mut machen. Heute geht es darum, Bäume zu bewahren, den Regenwald, die Wälder im Harz. Wir brauchen andere Bilder für unsere Hoffnung als die vom Roden und Abholzen. Die Bibel selbst bietet eine Fülle von ihnen. Menschen sitzen zufrieden unter ihrem Feigenbaum und haben keine Angst. Oder der Samen, der ausgesät wird und zum größten Teil auf widrigen Untergrund fällt, in eine lebensfeindliche Umgebung, auf Boden, auf dem nichts aufgehen kann. Und trotzdem geht ein Teil auf, entwickelt sich, trägt Früchte und neuen Samen. Das Gleichnis vom Maulbeerbaum erzählt, genauer übersetzt, selbst davon: „Reiße dich aus und verpflanze dich ins Meer“, heißt es korrekt. Also ein Baum wächst anderswo an – dort, wo es niemand für möglich gehalten hätte.
So geht es auch uns manchmal: es sieht klein und unscheinbar aus, womit wir anfangen. Doch durch Beharrlichkeit lassen sich Wunder erreichen. Und das Leben schlägt Wurzeln selbst dort, wo es unmöglich scheint. Gott liebt und behütet das Leben auf dieser Erde, und auch wir können Beschützerinnen und Beschützer des Lebendigen sein, und es kann uns gelingen.
Predigt am 15. Sonntag nach Trinitatis über Lukas 17, 5-6
Die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben! Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.