Familiengottesdienst zum Erntedankfest und zum Tag des Flüchtlings
Kennt ihr die Geschichte von Josef, dem Jungen, den seine Geschwister halbtot geschlagen, verkauft und abgeschoben haben? Josef hatte eine große Familie: Jacob, der Vater, 3 Stiefmütter, 10 Stiefbrüder und der kleine Benjamin. 12 Jungs waren sie, wenn alle Geschwister an einem Tisch saßen. Josef träumte davon, im Mittelpunkt zu stehen. Er war etwas Besonderes. Josefs richtige Mutter war gestorben. Der Vater Jacob hing immer noch sehr an ihr und hatte ihr Bild vor Augen, wenn er Josef sah und den kleinen Benjamin. Alle wußten das.

Bevorzugte Jacob die beiden? War Josef aufgeblasen? Oder war es im Gegenteil so, daß Jacob Josef zu wenig in Schutz nahm, wenn die Stiefbrüder eifersüchtig waren und stichelten? Kein Wunder, daß bei ihnen Neid aufkam. Als Josef, nagelneu angezogen, vorbeistolzierte, zischten sie: Für ihn kauft der Vater immer die teuersten und besten Sachen ein. Ein bunter Umhang, ein Prinzessinnenkleid. Und reckte er die Nase nicht verdächtig hoch in die Luft?
Eine so große Familie, eine Patchworkfamilie ist meistens eine Herausforderung. In Josefs Familie schaukelte sich alles auf. Als Jacob, der Vater, einmal nicht in der Nähe war, greifen sich die zehn Stiefbrüder Josef, nehmen ihm sein neues Prinzessinnenkleid weg, prügeln ihn halbtot. Sie stecken ihn in einen ausgetrockneten Brunnenschacht weitab der Siedlung und decken ihn mit einem Stein ab. Es ist aus mit Josef. Er ist gefangen, dem Tod geweiht. Niemand hört ihn, hier, so weit draußen. Ein Raubtier hat ihn angefallen und verschleppt, er muß tot sein, erzählen die Stiefbrüder dem Vater. Der glaubt es zwar nicht – aber Josef ist verschwunden. Dem Vater bricht das Herz vor Schmerz.
Die Geschichte von Josef ist dreieinhalb tausend Jahre her, wenn sie überhaupt passiert ist, und sie ist zugleich eine Geschichte aus unseren Tagen. Sie erzählt von Menschen, die verprügelt und eingesperrt werden in Gefängnissen und Lagern, Löchern und Zellen. Viele von den Aussiedler*innen haben das früher erlebt. Ganze Familien kamen ins Lager. Josefs Geschichte erzählt von Menschen, die Gewalt, Demütigung erfahren und nichts zu hoffen haben. Sie haben keine Chance auf ein faires Gerichtsverfahren, keine Chance, herauszukommen.
Josef im Brunnenloch ist ein Todeskandidat. Doch er hat Glück. Die Stiefbrüder sind sich uneins, ob es richtig ist, ihn ganz und gar verrecken zu lassen, und das schlechte Gewissen nagt ihn ihnen, wenn sie an den Vater denken. Jedenfalls kommen ihnen die Sklavenhändler gerade recht, die vorbeiziehen Richtung Ägypten. Josef wird hervorgeholt, als Sklave verkauft, sie machen noch ein kleines Geschäft dabei, und Josef wird nach Ägypten verschleppt.
Das ist auch so eine Geschichte aus unseren Tagen: Menschen, die aus ihrer Heimat gerissen werden, eine Odyssee um die halbe Welt hinter sich haben, sich fernab der Heimat wiederfinden, fern von allem, was ihnen lieb und vertraut ist. Es ist nicht einfach in der Fremde. Manche scheitern. Josef beißt sich durch. Er wird Sklave bei einer wohlhabenden ägyptischen Familie, muß bedienen, jeden Wunsch von den Lippen ablesen, stumm sein. Es geht ihm so wie den ausländischen Hausangestellten in Malaysia, die keine Rechte haben. Ihr habt das beim Weltgebetstag gehört. Sie kochen, putzen, sind Mädchen für alles und oft auch Mädchen für den Hausherrn. Aber nicht nur in Malaysia, auch in Deutschland leben Menschen, die fremd sind und keinerlei Rechte haben, weil sie nicht gemeldet sind. Allein in Hamburg leben 14.000 Erwachsene und Kinder aus anderen Ländern, die untergetaucht sind. Sie haben keine Aufenthaltspapiere. Wenn ein Polizist sie auf der Straße anhält und kontrolliert, können sie aus dem Land geworfen werden. Deshalb sind sie ausgeliefert und rechtlos. Sie sind darauf angewiesen, daß Einheimische ihnen eine Wohnung vermieten, Arbeit geben, damit sie verdienen können. Wenn sie krank sind, trauen sie sich nicht ins Krankenhaus. Die Kinder lassen sich nicht in der Schule blicken, damit die Familie nicht gemeldet und abgeschoben wird. Sie können auch ungestraft ausgebeutet, um ihren Lohn betrogen, geschlagen und mißhandelt werden.
Josef auch. Er wird verleumdet und landet im Gefängnis, im ägyptischen. Er ist nicht der einzige. Eine Zelle, zwei Mitgefangene. Wie stehen die Chancen, Kumpel: 50 zu 50? Oder 90 zu 10? Josef kennt sich aus mit Träumen. Er hat selbst genug geträumt. Und er kann etwas anfangen mit den Träumen der Menschen von Brot und Trauben. Und manchmal werden Träume wahr. Es spricht sich herum, bis zum Pharao. Auch der träumt: 7 wunderschöne und wohlgenährte Kühe, 7 klapperdürre, doch die dürren attackieren und verschlingen die gesunden. 7 Verdorrte Getreideähren lassen auch 7 gesunde vertrocknen. Welch ein Albtraum. Doch Josef weiß Rat. Auf 7 fruchtbare Jahre folgen 7 Hungerjahre, du mußt vorsorgen, die guten Ernten nutzen, Vorräte anlegen, damit dir die Hungerjahre nichts anhaben. Dem Pharao fällt ein Stein vom Herzen.
So kommt Josef nicht nur aus dem Gefängnis, sondern wird sein oberster Berater. Der Pharao steckt ihm seinen eigenen Siegelring um den Finger und hängt ihm seine goldene Amtskette um den Hals. Josef heiratet, bekommt Kinder und Enkel und bleibt in Ägypten. Als Ausländer wird er hoch geehrte in Ägypten.
Josefs Geschichte endet gut, glücklicher, als er wohl zu träumen wagte, als der dem Tode nah im Brunnenloch hockte und im Gefängnis schmorte.
Am Freitag war Tag des Flüchtlings. Wir haben auch Flüchtlinge unter uns. Es sind nicht nur Menschen, bei denen ihr es an der Sprache merken könnt. Viele eurer Urgroßeltern waren nach dem Krieg selbst Flüchtlinge in Deutschland. Sie wissen, wie das ist: die Heimat verlassen und an fremden Türen klopfen. Menschen fliehen, weil sie verfolgt werden oder verstoßen, weil in ihrer Heimat Hunger herrscht oder Krieg. Sie suchen in vielen Ländern der Erde Zuflucht, auch bei uns.
Doch viele Flüchtlinge landen im Gefängnis. Nicht weil sie ein schlimmes Verbrechen begenen, sondern weil sie Flüchtlinge sind, keine Papiere haben, keine Aufenthaltserlaubnis, weil sie unerwünscht sind und das Land sie abschieben will. Auch bei uns.
Flucht ist kein Verbrechen, steht auf dem Bild. Als Ausländer im Gefängnis hat Josef niemandem etwas genutzt. Welche Fähigkeiten in ihm auch stecken – hinter Gittern verstreichen seine Jahre sinnlos und seine Gaben liegen brach. Als er frei kam, erkennt der Pharao, was er kann und welch ein Gewinn er für das Land ist. Er bewahrt Ägypten vor Hunger und vermehrt den Wohlstand des Landes. Seine neue Heimat profitiert von ihm. Flucht ist kein Verbrechen, daran erinnert das Plakat zum Tag des Flüchtlings. Gefängnis ist keine Lösung. Zweimal war Josef gefangen. Zweimal wurde er befreit. Er wird zum Segen für das Land, in das es ihn verschlagen hat.
Gott hat ihn nicht verlassen, sondern aus der Tiefe geholt.
Familiengottesdienst zum Erntedankfest und zum Tag des Flüchtlngs
Andacht über Josef und seine Brüder
Weitere Predigten zum Erntedankfest
Weitere Predigten im Jahreslauf
Dialog mit Asenat, der Frau von Josef
M: O, wer kommt denn da? Das ist ja jemand aus ganz vornehmer Familie. Sie bewegt sich wie eine Priesterin. Und der teure Duft – schweres ägyptisches Parfüm. Also in die Kirche gehört sie nicht.
A: Du hast recht. Ich komme aus höchster Familie. Und mein Vater ist Priester, ägyptischer Priester.
M: Also ist sie weder christlich noch jüdisch. …
Lasse mich dich begrüßen. (beide verneigen sich voreinander)
M: E.M. [richtiger Name]
A: Asenat
M: Asenat??? Bist du etwa Asenat, die Frau von Josef, dem Verwalter des Pharao?
A: … und Frau eines ehemaligen Häftlings, eines Ausländers, eines dahergelaufenen Sklaven.
M: Na, na. – Du magst ihn wohl nicht?
A: Doch, inzwischen. – Aber von mir aus hätte ich ihn mir niemals ausgesucht. Alle meine Freundinnen haben einen Ägypter geheiratet.
M: Der Pharao höchstpersönlich soll deine Hochzeit eingefädelt haben.
A: Ich wäre eine „würdige Braut“ für seinen Stellvertreter Josef…
M: Einen Fremden fandest du wohl nicht attraktiv?
A: Überhaupt nicht.
M: Er sieht anders aus, er spricht anders, er glaubt anders…
A: Doch als er zur Tür hereinkam und meine Hand drückte, hat er mir sehr gut gefallen. Und zwar gerade weil er so anders war als alle, die ich kannte.
M: ?? – Für ihn war doch vieles neu.
A: Genau. Deshalb hat er mir ständig Löcher in den Bauch gefragt: Über die Sphinx. – Wie wir unsere Feste feiern. – Warum ich niemals mit der linken Hand essen würde. – Und warum ich mich so hinhocke, dass niemand meine Fußsohlen sieht. – Da war ich mir dann selbst nicht mehr sicher, ob das wirklich so wichtig ist. Manchmal hat er auch einfach nur den Kopf geschüttelt und gelacht über unsere Sitten. Und ich musste dann auch lachen.
M: Also nicht nur er hat sich hier angepasst, sondern auch du bist viel lockerer geworden.
A: Ja. Aber es hat mich auch sehr betroffen gemacht, was er erlebt hat. Wie er halbtot in dem Brunnenloch lag. – Wie er um sein Leben gefürchtet hat. – Wie er hungrig war. – Wie er als Sklave hierher verschleppt wurde. – In dieser Zeit hat er gelernt, dankbar zu sein. Und er hat gelernt, achtsam umzugehen mit dem, was wir haben. Er würde niemals Essen wegwerfen.
M: Ach, Asenat, bei uns landen Schulbrote im Abfallkorb! Im Supermarkt muss alles ganz frisch sein, sonst kaufen es die Leute nicht. In der Zeitung stand, dass in Deutschland ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen wird!
A: Welche Verschwendung! Kennt ihr keinen Hunger bei euch?
M: Manche schon. In Sangerhausen haben wir ungefähr 500 Familien, die auf Lebensmittelspenden angewiesen sind. Sie gehen zur Sangerhäuser Tafel. – Asenath, geh doch mal zum Altar. Dort sind die Erntegaben und Lebensmittelspenden. Die sind für die Sangerhäuser Tafel bestimmt. (Asenath geht zu den Erntegaben.)
Asenath, viele können sich gar nicht vorstellen, wie mitten unter uns die Armut zu Hause ist.
A: Es ist schön, dass ihr zum Erntedankfest die Armen nicht vergesst. – Auch mir hat niemals etwas gefehlt. Aber wenn Josef mir die ärmlichen Hütten im Schatten der Pyramiden nicht gezeigt hätte, wären sie mir nie aufgefallen. Josef hat uns eingeschärft: Schaut genau hin. Teilt miteinander. Und sorgt für die Zukunft vor.
M: Du meinst den Traum vom Pharao? – Die sieben klapperdürren Kühe fressen die 7 prächtigen auf und die 7 verdorrten Getreidehalme die 7 dicken. – 7 Jahre lang gibt es gute Ernten, aber danach wächst 7 Jahre lang nichts auf den Feldern.
A: Ja. Josef ließ Vorratslager anlegen, als es uns gut ging und Rekordernten waren.
M: Bei uns ist es umgekehrt. Je mehr die Leute verdienen, desto mehr geben sie aus und manche machen sogar noch Schulden. Der Staat macht es genauso.
A: Weißt du, als es uns gut ging, viel Getreide wuchs und die Steuern sprudelten, hat Josef die Überschüsse zurückgelegt. Sonst wären viele Menschen in den schlechten Zeiten buchstäblich verhungert. Dann hätten sie mit teurem Parfüm und in schicken Kleidern vor leeren Tellern gesessen. Als Ausländer hat Josef erfahren, wie schnell sich alles ändern kann.
M: So hat er ganz Ägypten regelrecht vor einer Wirtschaftskrise bewahrt.
A: Und andere Länder haben uns beneidet. Mit Karawanen kamen sie zu uns, um Getreide einzukaufen.
M: Übrigens, viele hundert Jahre später suchte eine junge Familie mit ihrem neugeborenen Baby in Ägypten Zuflucht. – Das waren Maria und Josef mit dem Jesuskind auf der Flucht vor dem König Herodes.
A: Ja, Flucht ist kein Verbrechen. Das hat Josef immer wieder gesagt, und dass wir Gott dankbar sein können.
M: Asenat, ich glaube, wir können von Josef lernen, dass wir sorgsam mit dem umgehen, was wir haben, und dass wir miteinander teilen.
A: Hier steht Brot. Lasst es uns doch gleich miteinander teilen.
(Brot austeilen und essen)