Marias Hausgemeinde hilft Ausbrecher zur Flucht

Die Macht rasselt mit dem Säbel. Das tut sie gern. Und so lange, wie sich kein Widerstand regt. Sie testet aus, wie weit sie gehen kann. Herodes Agrippa I, Enkel von König Herodes, statuiert ein Exempel. Er greift sich Jacobus heraus, unseren Kirchenpatron. Der gehörte mit seinem Bruder Johannes und seiner Mutter, der Frau von Zebedäus, zum engsten Kreis um Jesus. Herodes Agrippa macht sich nicht einmal die Mühe, ein Gerichtsverfahren zu inszenieren. Er läßt Jacobus einfach hinrichten und wartet, wie die Bevölkerung reagiert. „Als sich kein Sturm der Entrüstung erhebt, sondern im Gegenteil die Hinrichtung auf beifällige Zustimmung stößt“, geht er weiter. „So wird Petrus, gleichfalls ohne Haftbefehl und richterliche Anordnung, aufgespürt und festgenommen, abgeführt und weggesperrt.“ *) Nun muss er mit dem Schlimmsten rechnen. „Gefangen genommen und schwer bewacht fristet er seine Tage in einem Hochsicherheitsgefängnis. Weg vom Fenster. Diese alte Redensart beschreibt den Zustand, dass in Gefängnissen die Fenster so weit oben angebracht waren, dass der Gefangene nicht rausschauen konnte. Er war weg vom Fenster und damit weg vom Leben draußen.“ Herodes Agrippa inszeniert „noch ein paar öffentlichkeitswirksame Hinrichtungen .., bevor das Passahfest vorüber war.“**)

Wer zu laut von Freiheit redet, von Freiheit Gottes und Befreiung der Menschen, wird eben diese Freiheit schnell los. Er oder sie wird weggesperrt, aus dem Weg geräumt oder verschwindet ganz und gar, so wie die 43 Studenten aus Mexiko, von denen seit dem 26. September 2014 jede Spur fehlt.

Aber die Wahrheit ist nicht totzukriegen. Kritische Stimmen lassen sich nicht mehr einreden, daß das alles Straftäter sind und daß sie eingebuchtet gehören. Journalist*innen bohren nach. Freund*innen bleiben solidarisch. Sie lassen sich nicht einschüchtern mit dem Wissen, daß wahrscheinlich auch sie belauscht und überwacht werden.

Sie klappern Polizeistationen und Gefängnisse ab. Sie glauben nicht, was Wachtposten so erzählen, wenn Angehörige an den Gefängnistoren  vorsprechen. Daß niemand hier einen Petrus kennt. Daß Petrus hier nie eingeliefert wurde. Daß er woandershin transportiert wurde. Daß er in einem anderen Gefängnis sitzt. Daß er schon lange tot ist. Daß sie, wenn sie weiter nach ihm fragen, selbst mit unangenehmem Besuch rechnen müssen. Oder ihre Kinder. Und daß sie selbstverständlich gern in ihren Synagogen oder Kirchen oder Moscheen beten können – aber die Religionen mögen sich bitte nicht einmischen in die Belange des Staates.

Für Petrus engagiert sich eine Gemeindegruppe mit einer Frau an der Spitze. Maria leitet sie, die Mutter von Johannes Markus. Ihre Wohnung ist ein Treffpunkt. In dieser Hausgemeinde tauschen sie Informationen aus. Hier können Leute untertauchen, die geflüchtet sind und die sich draußen nicht frei bewegen können. Von diesem Haus aus werden sie notfalls weitergereicht zu vertrauenswürdigen Personen oder an andere Orte, in denen sie unterschlüpfen können. Marias Hausgemeinde ist, von Herodes Agrippa aus betrachtet, ein Widerstandsnest.

Solche Hausgemeinden wie bei Maria sind die Keimzellen unserer Gemeinden. Viele Hausgemeinden werden von Frauen geleitet. Die Apostelgeschichte berichtet von mehreren. Das ist erstaunlich, weil im Neuen Testament und in der Apostelgeschichte oftmals nur die Männer angeredet werden. Zu Pfingsten wendet sich Petrus in seiner Pfingstpredigt an die Gemeinde mit den Worten „Ihr Männer, liebe Brüder“ (2,37).
Aber aus dieser und anderen Geschichten erfahren wir nicht nur, daß Frauen dabei waren, also mitgemeint sind. Sondern sie haben eine tragende Rolle gespielt. Sie werden gleichberechtigt neben ihren Männern genannt, Hananias und Saphira etwa oder Priszilla und Aquilla in Korinth. Frauen bilden den Kern vieler Hausgemeinden und leiten sie. Namentlich erwähnt die Apostelgeschichte Maria und Rhode in Jerusalem, Tabita und die Witwen in Joppe, Lydia und die Frauen in Philippi, aber auch die Gruppe der griechischsprachigen Witwen in Jerusalem (Apg 6). Es werden noch mehr gewesen sein.
Solche Hausgemeinden sind die Zentren des Gemeindelebens. Als Paulus und Silas aus dem Gefängnis in Philippi entlassen wurden, gehen sie schnurstracks in Lydias Haus, bevor sie die Stadt verlassen (16,40). Und auch als sich Petrus in unserer Geschichte zu nachtschlafener Zeit unversehens auf den Straßen von Jerusalem wiederfindet, führt sein erster Weg zum Haus der Maria. Die Hausgemeinde dort hat sich konspirativ hinter verschlossenen Türen versammelt. Sie reden, sie beten. Und dann klopft es am Tor, mitten in der Nacht.

Ich denke, daß allen ein entsetzlicher Schreck in die Glieder gefahren ist. Werden sie jetzt abgeholt? Sind sie die nächsten, nach denen Herodes Agrippa seine Soldaten schickt? Rhode, eine Sklavin, faßt sich ein Herz. Sie läuft zum Hofeingang und horcht. Eine Männerstimme. Aber kein Gebrüll. Kein Befehlston. Kein Wummern und keine Stiefeltritte: Aufmachen, Polizei! Rhode merkt, daß sie die Stimme kennt. Petrus?? Aber der ist doch im Gefängnis. Petrus, du bist wieder da! Wie ein Blitz saust sie zurück, ganz aus dem Häuschen. Drinnen: verständnislose Gesichter. Du bist verrückt. Du siehst Gespenster. Beziehungsweise Engel. Aber Rhode bleibt dabei. Erst als es weiter klopft, kommt jemand auf die Idee, selbst nachzusehen. Es ist Petrus. Rhode hat recht. Die Freude ist groß. Alle sind erleichtert.
Doch die Sorge steigt wieder hoch, je länger Petrus erzählt. Petrus muß schnellstens verschwinden, das ist allen klar, noch in der Nacht, bevor sein Ausbruch bemerkt wird. Welchen Plan sie ersinnen und wen sie aktivieren, das erfahren wir nicht. Nur daß es ihnen gelingt, Petrus in Sicherheit zu bringen. Diesmal hat die Macht verloren. Herodes läßt alles nach ihm absuchen. Sogar die Soldaten werden festgenommen. Aber vergeblich: Petrus bleibt verschwunden.

In der neutestamentlichen Forschung gilt die Geschichte von der Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis als Legende. Auch wenn dies alles also nicht so passiert ist, erzählt diese Geschichte viel über die Gemeinden. Wir erfahren von den politischen Verhältnisse damals, von Verfolgung und der Brutalität der Herrschenden, vom Engagement der Gemeinden, ihrem Widerstandsgeist und ihrer Solidarität. Und wir können daraus lernen, wie Gemeinden sich auch heute solidarisch erklären können mit Opfern von Verfolgung und Gewalt.
Für die Apostelgeschichte weist die Geschichte auf das Leiden von Jesus und auf seine Auferstehung hin. Die Festnahme passiert in der Zeit des Passahfestes. Der Gefangene soll dem Volk präsentiert werden. Die Frau, die die Nachricht von der Freilassung bringt, erfährt keinen Glauben, wie die Frauen am Grab. Und am Ende heißt es: Verkündet es dem Jakobus und den Brüdern. Ostern geht weiter.

Die Menschenrechtsorganisation „Aktion der Christ*innen für die Abschaffung der Folter“ (ACAT) hat diese Geschichte zur Ikone gewählt. Die betende Gemeinde umgibt Petrus im Gefängnis wie ein Schutzkreis, bis sich die Tür des Kerkers öffnet und der Engel Petrus bei der Hand nimmt und hinausführt. Gemeinde ist bei den Gefangenen. Sie nimmt Anteil am Schicksal von Leuten, die unschuldig verfolgt werden. Sie engagiert sich gegen Unterdrückung, gegen Gewalt und Folter. Sie setzt sich dafür ein, Rechtssysteme zu stärken. Der Engel, das sind wir, sagt ACAT. ACAT ist ein überkonfessioneller Verein und arbeitet eng z.B. mit Amnesty International zusammen. Die Mitglieder schreiben Briefe an Behörden und Ministerien. Sie sammeln Unterschriften. Sie beten und spenden.
Die Macht rasselt mit dem Säbel, in vielen Ländern der Welt. Aber sie stößt auf Widerspruch. Die Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis können wir auch heute erleben. Es ist jedesmal ein Wunder, in Gottes Kraft, und es hat viele Mütter und Väter. Amen.

* Martin Ahlhaus zum 16. Sonntag nach Trinitatis (16.9.2018), nachhaltig-predigen.de
** Frank Nico Jäger, Von Engel und anderen Menschen. Predigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis 2012, kanzelgruss.de

Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis über Apostelgeschichte 12,1-19

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