In Kana wurde die Hochzeit nicht verschoben wie viele Familienfeste bei uns in den letzten beiden Jahren. In Kana wurde gefeiert, richtig groß, tagelang und mit allem Drum und Dran. Die halbe Gegend war zu Gast und der Wein floss in Strömen. Wie groß die Hochzeit war, lässt sich aus den sechs riesigen steinernen Wasserkrügen erahnen, die in der Geschichte erwähnt werden. Das Wasser wird zur rituellen Handwaschung vor dem Essen benötigt. Jeder Gast braucht dafür einen Becher voll Wasser. Die Krüge fassen jeweils mehrere Eimer, und die sechs Wasserkrüge waren alle ausgeschöpft – es müssen also eine Menge Gäste dagewesen sein. So eine große Hochzeit in einem so kleinen Dorf – das erstaunt mich. Ich wundere mich und beginne zu fragen.
Wer hat diese Hochzeit überhaupt ausgerichtet? In den meisten Kulturen sind es die Brauteltern oder beide Elternpaare, die die Feier finanzieren. Sie kümmern sich um die Ausgestaltung und sind die Ansprechpartner für organisatorische Fragen. Also auch für die Getränke. Der Speisemeister aber wendet sich an den Bräutigam, als der gute Wein zuletzt aufgetischt wird. Galten in Kana andere Regeln? War der Bräutigam ein so reiches Bürschchen, dass die Eltern ihm freie Hand ließen? Oder waren beide Elternpaare schon gestorben und der junge Mann bestimmte allein über das Familienvermögen?
Kana war ein kleines Nest, selbst wenn wir heute nicht so genau wissen, welcher Ort genau gemeint war und ob sich die Hochzeit überhaupt so abgespielt hat. Das Johannesevangelium ist sehr spät entstanden, zwischen 80 und 130. Es will weniger erzählen, was tatsächlich 50 bis 100 Jahre zuvor passiert ist. Sondern es will eher ein Bild von Jesus vermitteln, es will seine Rolle deuten. Da sind die Fakten im Nachhinein nicht mehr so wichtig. Etwa ob sich jemand in einem solchen Kaff eine derartig große Hochzeit überhaupt leisten konnte. Sicher werden Hochzeiten zu allen Zeiten und in allen Gegenden der Welt üppig ausgerichtet, oftmals über die finanziellen Verhältnisse hinaus. Auch heute verschulden sich gerade in armen Ländern Familien, manchmal sogar für Jahrzehnte. Es ist eine Frage des Renommees, mit welchem Prunk Tochter oder Sohn in die Ehe entlassen werden – koste es, was es wolle.
Schätzungen zeigen, wie arm der Großteil der jüdischen Bevölkerung zur Zeit von Jesus war. Die meisten konnten sich gerade so über Wasser halten und schrammten knapp an der Überschuldung vorbei. Nur knapp 3 % galten als wohlhabend, 90 % als arm. * Das Johannesevangelium schildert einen Haushalt, der sich Sklaven leisten kann und zur Hochzeit einen externen Speisemeister engagiert, also einen „Caterer“ oder einen entsprechend qualifizierten Sklaven. Wohnten in Kana tatsächlich so gutbetuchte Familien? Oder hätten die sich nicht eher in Jerusalem niedergelassen oder mindestens in Nazareth?
Bei den Predigten über diese Geschichte wird regelmäßig das Brautpaar vergessen. Dabei sind sie doch die Hauptpersonen bei einer Hochzeit. Wahrscheinlich war ihre Ehe arrangiert. Für alle, die das Johannesevangelium damals gelesen haben, war das völlig selbstverständlich. Auch im 21. Jahrhundert ist es in vielen Ländern üblich. In Deutschland ging es bis in die 1950-er Jahre hinein bei einer Heirat mindestens auch um eine gute Partie. Die Eltern suchen aus, welche verwandtschaftliche Bande für die Familie vorteilhaft sein könnten. Wenn sich die jungen Leute verstehen – umso besser. Wenn nicht, müssen sie es lernen. Probleme in der Ehe oder häusliche Gewalt gehören nicht an die große Glocke gehängt.
Für uns heute ist Hochzeit mit Romantik verbunden, mit Träumen von Liebe und Glück. Junge Leute schauen sich tief in die Augen: Wollen wir uns heiraten? Doch die Realität war und ist für die meisten anders. Selbst Romeo und Julia, Tristan und Isolde, große Liebespaare der Weltgeschichte, konnten sich diese Frage nicht stellen. Staatliche Gesetze und religiöse Bräuche, patriarchalische Verhältnisse und Armut legen vielen Liebenden nach wie vor Steine in den Weg. Anfang Dezember 2021 wurde eine junge Frau von ihrem Bruder und ihrer Mutter ermordet, weil sie gegen den Willen ihrer Familie geheiratet hatte. Weltweit werden Jahr für Jahr 12 Millionen Mädchen als Kinder verheiratet. ** Sie werden schwanger, dürfen nicht mehr zur Schule gehen. In Israel zur Zeit von Jesus wurden die Mädchen wohl meistens im Teenager-Alter verheiratet, die Männer waren ein paar Jahre älter. Oder eben sehr viel älter. Nach der Hochzeit lebten Paare im Haushalt der Eltern des Mannes. Der Schwiegervater hatte das Sagen. Wie alt mag die Braut von Kana gewesen sein, wie alt ihr Bräutigam? Wie viele Kinder brachte sie zur Welt? Sind sie miteinander glücklich geworden?
Das Johannesevangelium erzählt darüber nichts. Es will von Jesus erzählen und von seinen Zeichen. Jesus verwandelt Wasser in Wein. Es ist das erste Zeichen von Jesus. Damit schlägt dieses erste Zeichen auch den Grundton an für alle weiteren Zeichen.
Wasser in Wein. Das Fest soll gelingen, zuerst einmal die Hochzeit am Anfang. Mit einem gelungenen Fest wird das Paar entlassen in das gemeinsame Leben, aller Armut und allen Zwängen zum Trotz. Dazu trägt Jesus bei. Wie geht es weiter? Wir erfahren es nicht. Die Frage ist, wie es bei uns weitergeht. Wie sich bei uns das Wasser in Wein verwandelt. Wie der Alltag – das Wasser – zu etwas Schönem, Besonderem wird, zu Wein. Was kann uns helfen, dass die Umstände, in denen wir leben und die uns manchmal einengen, sich zum Fest verwandeln. Der Wein bedeutet für mich. Jesus will, dass wir glücklich werden und dass unser Glück ausstrahlt, so wie damals die halbe Gegend mitgefeiert hat.
In Kana wurde die Hochzeit nicht verschoben. Es wurde groß gefeiert. Unsere Hochzeiten müssen in der Corona-Zeit manchmal noch warten. Glück und Segen müssen es nicht.
* Schätzung nach Luzia Sutter Rehmann: Wut im Bauch. Hunger im Neuen Testament. 2. Auflage Gütersloh 2016, 61-62
** Angaben von Unicef https: //data.unicef.org/topic/child-protection/child-marriage/
Predigt über Joh 2,1-11 (2. Sonntag nach Epiphanias)
andere Predigt über Joh 2,1-11: Feiern als Protest
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