In den Ostergeschichten fällt es den Menschen wie Schuppen von den Augen. Ich sehe was, was du nicht siehst. Die Frauen sehen in ihren Ängsten den zentnerschweren Stein – und als sie vor dem Grab ankommen, ist es leer. Sie suchen nach einem Toten und finden das Leben. Maria aus Magdala begegnet dem Gärtner, und als der sie mit ihrem Namen anspricht – Maria – entpuppt er sich als Jesus. Die Jünger werfen die ganze Nacht im See Tiberias erfolglos ihre Netze aus und kommen ohne einen einzigen Fisch zurück. Ein Unbekannter am Ufer bittet sie um Essen und schickt sie noch einmal aufs Wasser. Als sie mit einem brechend vollen Boot heimkehren, hat der Unbekannte am Ufer schon ein Feuer angezündet und ihnen Fische geröstet und Brot. Da sehen sie, daß es Jesus ist. So ist es auch bei Thomas. Oder den Emmaus-Jüngern. Die Ostergeschichten erzählen von Menschen, die sehen lernen.
In den letzten Jahren erleben wir immer wieder, wie Menschen die Augen vor der Wirklichkeit verschließen. Sie nehmen nur wahr, was in ihre Wirklichkeit paßt, und wehren ab, was ihnen bedrohlich erscheint.
In vielen Ländern breiten sich Diktaturen aus und verdrehen die Wahrheit. Krieg wird zur militärischen Intervention erklärt. Plündern und Töten zur Befreiungsaktion. Die Bevölkerung läßt sich von der Propaganda die Sinne vernebeln. Die Leute jubeln mit und verschließen ihre Augen vor Unrecht und Gewalttaten. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
Ostern fällt es den Menschen wie Schuppen von den Augen. Die Wahrheit tritt ans Licht. Die Toten stehen auf und erzählen ihre Geschichten. Das Leben kommt zum Vorschein. Mut und Hoffnung besiegen die Angst. Der totgeglaubte Jesus – er ist wieder da. Und die Menschen lernen zu sehen. Sie sehen der Wahrheit ins Gesicht.
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