Die Weihnachtsgeschichte wird „eingeläutet“ von zwei Frauen, die ein Kind in ihrem Leib tragen: Elisabeth und Maria. So erzählt es jedenfalls das Lukasevangelium. Zwei Frauen werden schwanger und bringen einen Sohn zur Welt. Johannes und, ein halbes Jahr später, Jesus. Vorläufer, Mahner und Prophet der eine, und er weist hin auf den Retter, den anderen, den neuen Adam, den neuen Menschen. Und es beginnt, wie sollte es anders sein, mit ihren Müttern. Für beide ist es das erste Kind, und beide Male ist es eine ungewöhnliche Schwangerschaft.Etwas Außergewöhnliches und Aufregendes und Umwälzendes ist es ja immer, wenn ein Kind zur Welt kommt. Das war damals nicht anders als heute. Es ist mit Erwartungen und Hoffnungen verbunden, es wird vorbereitet, das Zimmer wird umgeräumt, die Babysachen werden zurechtgelegt. Und immer auch ein wenig Bangen knüpft sich daran: die Angst vor der Geburt und ob das Baby gesund sein wird. Eine Geburt ist eine Grenzerfahrung und ein Risiko für Mutter und Kind. Bis heute sterben Mütter unter der Geburt, selbst in unserem Land.
Aber diese beiden Schwangerschaften zu Beginn der Weihnachtsgeschichte waren besonders ungewöhnliche. Sie hätten normalerweise beide nicht passieren können. Die eine, Elisabeth, war eigentlich schon viel zu alt, um ein Kind zu bekommen, und die andere, Maria, zu jung. Als blutjunges, unschuldiges Mädchen wird Maria jedenfalls in allen Legenden geschildert, die später von ihr erzählt wurden; und in der Bibel sagt sie von sich selbst, dass sie noch von keinem Mann weiß.
Ein junges Mädchen. Heute löst eine Teenagerschwangerschaft meist keineswegs Freude und Begeisterung aus. Eher ist sie für die erschrockenen Eltern Anlaß zu Sorgen und Vorwürfen – bis dahin, dass die Tochter vor die Tür gesetzt wird: Was hast du dir nur dabei gedacht. Du zerstörst dir deine Zukunft. Wie konnte das bloß passieren.
Zu jung zum Kinderkriegen – Maria. Zu alt, ja hochbetagt Elisabeth. Schon ab 30 beginnt heute eine Risikoschwangerschaft. Aber wir schieben die biologischen Grenzen hinaus. Dank der Technik laborieren wir an künstlicher Befruchtung bis jenseits der Wechseljahre; Geld und der Ehrgeiz der Ärzte spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Keine Kinder bekommen können ist für viele Paare eine große Belastung. Beklemmend auch die Aussicht, im Alter alleine dazustehen, ohne Kinder, ohne Enkel. Bitter können auch die Bemerkungen der Verwandschaft treffen: wann wird’s denn was mit euch, und bei euch klappt’s wohl nicht so richtig. Das tut weh.
Das war zu Elisabeths Zeiten noch viel schlimmer. Eine Frau ohne Kinder hatte ihren Lebenssinn verfehlt. Wie oft wird sie zu Gott gefleht haben, wie oft wird sie sich Rahels erinnert haben, der geliebten, der Lieblingsfrau Jacobs, die unfruchtbar war und dann doch noch Josef bekam und ihren Benjamin und zur Urmutter Israels wurde. Wie oft wird sie wie Hanna geweint und gebetet haben, die schließlich den Samuel bekam. So sind sie miteinander alt geworden, Elisabeth und ihr Mann Zacharias, der Priester. Haben sie sich festhalten können – aneinander und an Gott? Sie lebten fromm und untadelig vor Gott, heißt es von ihnen. Es gehört viel dazu, nicht bitter zu werden.
Dann passierte das Unglaubliche: Ein Engel erschien Zacharias im Tempel, und Elisabeth wurde schwanger. Zacharias verschlug’s die Sprache. Er konnte es nicht glauben, die Sprache wurde ihm genommen. Elisabeth hingegen nahm es aus Gottes Hand und sprach: „So hat der Herr an mir getan in den Tagen, als er mich angesehen hat, um meine Schmach unter den Menschen von mir zu nehmen. (Lk 1,25)
Eine merkwürdige Schwangerschaft, fürwahr. Und der Vater ist stumm, bis zur Geburt. Werden sie sich mit Zeichen verständigt haben? Das Baby im Bauch konnte ihn nicht hören. Ob er sein Ohr an ihren Leib gebettet hat? Ob er die Hand auf den Bauch seiner Frau gelegt hat, die so alt war und in der sich nun doch das Wunder neuen Lebens regte? Oder ob er Scheu hatte, den Bewegungen des Kindes nachzuspüren, das von ihm war und doch irgendwie von Gott?
Und Elisabeth – wie ging es ihr? Fünf Monate hielt sie sich verborgen, lesen wir. Sie hielt sich verborgen, zog sich zurück, ging nicht unter Leute, erzählte es nicht weiter. 5 Monate lang. Warum? Ist es die Marotte einer Schwangeren, so wie Appetit nach sauren Gurken und Sahnetorte? Oder hat sie sich geschämt vor den Leuten und ihrem Gerede – die Alte mit dem dicken Bauch? Oder brauchte sie die Zeit für sich, um dem allen nachzuspüren, was sich so wundersam ereignete mit ihr, in ihr, mit ihrem Mann? So wie wir manchmal Zeit brauchen um zu erfassen, was mit uns passiert?
5 Monate – die Zeitangaben strukturieren und verbinden das Geschehen, sie verknüpfen die Geschichten miteinander. Im 6. Monat, so heißt es weiter, kam der Engel wieder, diesmal zu Maria, der Jungen. Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir – die Worte des Rosenkranzes in der katholischen Kirche. Ave Maria gratia plena.
Das Ave Maria, das so oft bei Beerdigungen erklingt, ist also eigentlich der Gruß des Engels an Maria über das Leben, das Gott schenkt. Im Angesicht des Todes erinnern wir so an den Erlöser, der kommt- auch für uns, an den Befreier von Not und Tod. Welch ein Gruß ist das! So erschrak auch Maria, aber am Ende stimmte sie zu: mir geschehe, wie du gesagt hast.
Erzählte sie Josef davon? Im Lukas-Evangelium wird nichts davon berichtet. Josefs Geschichte ist eine andere, und sie wird an anderer Stelle erzählt. Verlassen wollte er Maria, bis der Engel auch zu ihm kam und ihm Mut machte, bei ihr zu bleiben. So lesen wir es im Matthäus-Evangelium.
Von Maria wird hier erzählt, dass sie wegging, eilends. Übers Gebirg Maria ging, zu Elisabeth und Zacharias. War es so, wie es das alte Adventslied besingt: Maria durch ein’ Dornwald ging? Jedenfalls – die junge Frau besucht die Alte, das unerfahrene Mädchen sucht die Nähe der erfahrenen Frau. 6 Monate ist Elisabeth in ihrer Schwangerschaft der Maria voraus, ½ Jahr, ½ Leben – heißt es das? Wenn wir an Wendepunkten stehen oder in Schwierigkeiten stecken, dann suchen wir auch Menschen, die uns Rat geben können, die Ähnliches durchgemacht haben und weiter sind. Nicht nur junge Mädchen suchen sich manchmal Ersatzmütter – die Oma, eine Tante, eine Freundin der Mutter -, die sie eine Zeitlang begleiten können. Ersatzmütter, geistige Mütter und Väter – wer sind die Menschen, die Ihnen geholfen haben zu wachsen und reif zu werden? Und umgekehrt – haben andere sich an uns orientiert und eine Zeitlang unsere Erfahrungen, unsere Begleitung gesucht, um ihren Weg zu finden?
Auf einmal so gefragt sein – was bedeutet das? Wertet es auf? Preßt es das Herz zusammen, wenn jemandem ein Schmerzensweg bevorsteht, den Sie selbst einmal durchschritten haben und einem anderen doch nicht ersparen können? Weckt es Bitterkeit, wenn es anderen besser gelingt, glücklich zu sein? Können Sie einen Menschen loslassen und freigeben, wenn er / sie wieder weitergeht? Ist es lästig, wenn sich jemand an Sie hängt – vielleicht wie eine Klette? Oder haben Sie es gar nicht so bewusst wahrgenommen, wie wichtig Sie waren, sind, und dass Ihr Wort Gewicht hat und Ihre Erfahrungen einem anderen Menschen hilfreich sein können?
Maria sucht Elisabeth auf, sie sucht ihre Nähe, ihre Erfahrungen, so wie sich wohl alle Frauen austauschen, wenn sie ein Baby bekommen oder haben. Im Lukasevangelium wird dieser ihrer Begegnung eine geistliche Dimension beigemessen. Indem sie sich nahe kommen, wird etwas in Bewegung gesetzt, ja es entsteht Raum für Gottes Geist. Auf der Rückseite des Flügelaltars in der Jacobikirche ist aufgemalt, wie die beiden aufeinander zugehen.
Elisabeth begreift sofort, was mit Maria los ist.
„[Und es begab sich,] als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? [Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn. ] Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, [und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes…] (Lk 1,41-47)
Es kommt etwas in Bewegung bei dieser Begegnung. Die Frauen, das Kind, auf das sich die Bewegung überträgt, Gottes Geist. Ja Elisabeth wird zur Prophetin, durch die Gott selbst spricht, ihr wächst Vollmacht zu, sie segnet Maria und das Kind; es sind die Worte, mit denen der Rosenkranz weitergeht: Gesegnet, gebedeit bist du unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus.
5 Monate hielt Elisabeth sich verborgen. Im 6. Monat, als Maria sie besucht, löst sich ihre Zunge. Manchmal halten auch wir uns verborgen und bewahren das, was in uns ist – ein halbes Jahr, ein halbes Leben. Ein Fest ist es, wenn sich der Brunnen in uns öffnet, wenn die Worte fließen und sich in Freude verwandeln, wenn wir uns begegnen können. Da wird das Gespräch zum Segen. Bei solchen Begegnungen wachsen wir selbst, wir können auf einmal trösten, weiterführen, Segen um uns verbreiten. Manchmal spüren wir sogar den Hauch Gottes.
Am Ende singt Maria ihr Lied von Gott, der Unmögliches möglich macht.
3 Monate bleibt sie bei Elisabeth, so heißt es. 3 Monate waren nötig, um zu fragen, aufzuarbeiten, zu klären, zu hoffen, zu beten. 3 Monate, die Maria vielleicht als Schutzraum gebraucht hat, bevor sie umkehren und heimkehren konnte. 3 Monate nehmen sie sich Zeit füreinander, für sich und Gott.
So beginnt die Weihnachtsgeschichte: zwei Frauen mit völlig unmöglichen Schwangerschaften, zu alt die eine, zu jung die andere. Zwei einfache Frauen, die nicht einmal befugt waren, den Tempel zu betreten, reden aus Gottes Geist. Ihre Begegnung rührt sie in der Tiefe an und verwandelt sie so, dass sie am Ende singen – ein Lied der Hoffnung.
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