Kindersoldaten. Todesengel. Was ist das für eine Zeit, fragen manche, in der Geschichten voller Gewalt sich abspielen, in der Realität, in Filmen nachgestellt oder auch vorgebildet. Da seht ihr’s, Religion und Gewalt gehören zusammen, sagen andere.
Die Geschichte der Kreuzigung Jesu ist bekannt. Regt sie uns noch auf? Vielleicht ist sie zu oft gemalt, zu oft besungen worden – zu schön vor allem. Leiden ist grausam. Leiden geht weiter, bis heute.
Aber auch die Geschichte von Jesus geht weiter, als Geschichte von Liebe und Hoffnung, von Hingabe und Versöhnung . Sie geht weiter und weist über den Karfreitag hinaus auf den Gott, der uns zum Leben ruft.
Das Sterberegister von St. Ulrici vermeldet am 16.März.1589 „Caspar Stockhausens ehelicher gemal ist begraben worden sonntags Judica denn 16 martij“
Caspar Stockhausen – ein Frankenhausener. Vielleicht ist er seiner Frau Margarete hierher gefolgt. Von ihr ist eine ansehnliche Spende in den Kirchenakten verzeichnet.
Witwer war er, als er 4 Jahre nach ihrem Tod den Schalldeckel über der Kanzel anfertigen und mit einer Inschrift versehen ließ, die am Pfeiler zu sehen ist; darunter sieht man beide unter Kreuz knien:
Caspar Stockhausen von
Franckenhausen hat dis
Uberwerck Gott zu Ehren der
Kirchen zur Ziere ihme und
seinem Weibe Margareta Stiells
selien zum Gedechtnis gestif
tet und machen lassm
Anno 1593.
Der Schalldeckel wird gekrönt von Christus. Der Auferstandene steht auf der Weltkugel und breitet segnend die Hände aus. Darunter sind kreisförmig 6 Engel angeordnet, Putten, niedliche kleine Jungs, die Jahre alt sein könnten. Strampelnd, quicklebendig, voller Leben und Freude. Kleine Kinder, die das Herz erwärmen, wie sie vielleicht der Künstler selbst hatte. Kinder wie Engel, Engel wie Kinder.
Man muß genau hinschauen, um zu entdecken, was sie in den Händen halten; bei den beiden direkt am Pfeiler ist nichts mehr erhalten:
Von links tragen sie Hammer, Zange, Lanze, 2 Nägel.
Werkzeuge. Werkzeuge, die zu Leidenswerkzeugen wurden.
Chor: Du wirst gegeißelt und mit Dorn gekrönet, ins Angesicht geschlagen und verhöhnet, du wirst mit Essig und mit Gall getränket, ans Kreuz gehenket.
Der Letzte wird gefangen mit Spießen und mit Stangen. Hammer, Zange, Lanze, Nägel – Engel tragen die Leidenswerkzeuge herbei – als ob es Spielzeuge wären. Insignien des Folterns und Tötens in den Händen lebendiger kleiner Kinder. Kindersoldaten ? Todesengel?
Was ist das für eine Zeit, die zur frommen Andacht solche Bilder hervorbringt. Religion und Gewalt?
Was ist das für eine Zeit, in der Hammer und Zange, Lanze und Nägel tatsächlich zu Folterwerkzeugen wurden, in der gequält, gevierteilt, ausgerenkt und gerädert wurde.
1593 – das ist die Zeit von Caspar Tryller, dessen kostbares Grabmal vorn rechts hinter dem schmiedeeisernen Gitter zu sehen ist. Als vielleicht größten Wohltäter Sangerhausens preist ihn die Stadtgeschichte, als großzügigen Spender und Förderer. Er ließ den Chorraum prächtig ausmalen und den Flügelaltar neu ausrichten, er gab das Geld, um das Kirchenschiff zu wölben, und er bedachte auch andere Kirchen und die Öffentlichkeit mit reichen Stiftungen und Spenden.
1593, das ist die Zeit, in der Caspar Tryller und nach ihm sein Bruder Michael Tryller und nach jenem dessen Schwiegersohn Rudolf Sonnenborn als Amtsschösser im Alten Schloß residiert haben.
Es ist die Zeit jener Prozesse, bei denen die peinliche Frage gestellt wurde. Peinlich von Pein. Hammer, Zange, Lanze, Nägel, Daumenschrauben. Den Vorsitz hatte der Amtsschösser.
Zuerst wurden die Werkzeuge nur vorgezeigt. Dann wurde peinlich befragt. Die Schreiber führten Protokoll. Der rechtliche Rahmen wurde eingehalten. Und Aufsicht, Aufsicht führte der Amtsschösser. Aufhören. Weitermachen.
Hat man die Schreie gehört aus dem Hexenturm oder wo auch immer die Verhöre stattfanden?
Caspar Stockhausen und Caspar Tryller, waren sie irgendwann hier im gleichen Gottesdienst und haben der Predigt gelauscht? Sind ihre Augen vielleicht zur gleichen Zeit zum neuen Kanzeldeckel hochgewandert mit den Engeln, den Caspar Stockhausen stiftete?
Ob die Passionsgeschichte, ob die Lieder vom großen Schmerzensmann, ob die Putten mit den Leidenswerkzeugen ihnen erzählten, daß es genau diese Leidensgeschichte des Jesus, 1593 Jahre vor ihnen war, in der sie jetzt selbst mitspielten und die sie so weiterführten, jeder auf seine Weise?
Kindersoldaten. Todesengel. Zeiten voller Gewalt. Damals. Heute.
Weitere Predigten in der Passions- und Vorpassionszeit: hier
Predigten in der Karwoche und der Osterzeit: hier
Predigten bis Pfingsten und Trinitatis: hier
Predigten im Jahreslauf: hier
Predigten zu Engeln:
Gertrude grenzenlos (Konfirmation)
Leidenswerkzeuge, Todesengel, Kindersoldaten (Karfreitag)
Michael, der Seelenwäger (Totensonntag)
Der schwarze Engel (Heiligabend)
