Christ lag in Todesbanden – Liedpredigt im Reformationsjahr

Ostern beginnt zu Passah. Passah oder Pessach ist das uralte Fest der Befreiung, das die Jüdinnen und Juden im Frühjahr feiern. Ihre Vorfahren lebten einst versklavt in Ägypten. Ihre Hände errichteten Prachtbauten, zu denen sie nie Zugang haben würden (ähnlich den Arbeitern an den Fußballstadien in Katar). Der Pharao benutzte die jüdischen Familien als Arbeitssklav_innen und schlug ihre Söhne tot. Ägypten war für sie ein riesiges Gefängnis. Aber Gott hörte ihre Klageschreie und stellte sich auf ihre Seite. Mitten in der Nacht flohen sie aus Ägypten. Es mußte schnell gehen. Ein Lamm wurde geschlachtet und gebraten, das Blut an die Türpfosten gestrichen. Brotfladen wurden eilig geröstet, ohne daß sie mit Sauerteig aufgehen konnten.

In jener Nacht ging der Tod um. Nur die Türen der Israelit_innen, die mit Blut gezeichnet waren, verschonte der Würger. Der Ausbruch gelang.
Gott zeigte den Flüchtlingen den Weg und rettete sie. Mit Mose und Miriam zogen sie in die Freiheit. Das erste Pessach.

Seitdem gedenken Jüd_innen daran, daß Gott befreit, immer und immer wieder. Seitdem gibt es beim Pessach-Fest nicht nur ein Lamm und knuspriges Fladenbrot ohne Sauerteig oder Hefe, sondern auch das Nachdenken über Befreiung. Wie werden Menschen frei, wie schütteln Unterdrückte ihre Fesseln ab? Was hält Menschen gefangen und macht sie klein und gefügig?
Was bedeutet Freiheit für einzelne, für eine Gesellschaft? Wie geht Befreiung? Wie können wir sie befördern?
Ostern beginnt zu Pessach, dem jüdischen Fest, das die Freiheit in den Mittelpunkt stellt und den befreienden Gott feiert.

Während eines Pessach-Fests um das Jahr 30 wurde Jesus in Jerusalem ermordet. Mit seinen Schüler_innen hat er gebratenes Lamm gegessen, das ungesäuerte Mazzenbrot geteilt, den Segen über dem Becher mit Wein gesprochen. Das Pessach-Mahl wurde in der christlichen Tradition zum Abendmahl. Das Pessach-Lamm wurde zum Osterlamm, Jesus zum Symbol, daß das Leben den Tod besiegt.

Martin Luther verarbeitet in seinem Lied „Christ lag in Todesbanden“ viele Anspielungen auf das Pessach-Fest. Das Lamm. Das Blut am Türpfosten, das vor dem Todesengel, dem Würger, schützt. Das ungesäuerte Brot. Martin Luther hat wohl auch die jüdischen Bräuche zum Pessach-Fest im Hinterkopf, daß vor dem Fest das Haus von oben bis unten geputzt wird. Die Schränke werden gründlich ausgefegt, bis auch das letzte Krümelchen weggekehrt ist. Sämtliche alten Lebensmittel, aller Sauerteig wird weggeworfen oder weggegeben. Alles wird sauber und rein.
Martin Luther verbindet diese Hintergründe mit Gnade und Glaube, seinen Lieblingsworten.  Das waren Themen der Reformation im 16. Jahrhundert.

Christ lag in Todesbanden, hat Martin Luther sein Lied genannt. Was sind die Todesbanden heute? Was sind tödliche Bedrohungen, Abhängigkeiten und Fesseln für unsere Welt im 21. Jahrhundert?

Ich denke an Schulden, die den Menschen die Luft zum Atmen nehmen. Über 15.000 Menschen, mehr als 12 % der Erwachsenen in unserem Landkreis sind überschuldet (Creditreform Schuldneratlas Sachsen-Anhalt 2016). Ungleich weitreichender wirkt sich die Schuldenfalle aus, wenn in ihr ganze Länder gefangen sind. Vor allem den verarmten Ländern raubt sie die Handlungsmöglichkeiten auf lange Zeit und versperrt ihnen jede Chance zur Entwicklung. Die Verschuldung  ist so groß, daß sie ihr nie entkommen werden, sondern der Schuldenberg türmt sich im Gegenteil weiter auf. Koloniale Abhängigkeit setzt sich in modernem Gewand fort. Heute sind es die Banken und Konzerne, die das Sagen haben und diktieren, wo ein Land in Gesundheitswesen, Soziales oder Infrastruktur investieren kann und wo nicht. Die Schuldenfalle produziert neue Armut und neue Schulden auf der einen Seite, Reichtum und Rendite, Einfluß und Macht auf der anderen.

Todesbande heute – ich denke an Gewalt. Sie deformiert  die Menschen, macht gefühllos und stumpf. Sie macht bereit, auch anderen mit Gleichgültigkeit zu begegnen, sie zu verletzen und selbst Gewalt weiterzugeben.
Ich denke an Traurigkeit und Mutlosigkeit, die Menschen einschnüren können. An die Sucht, die hinter vielen Wohnungstüren zuhause ist, an Krankheit und Streit. An die Chancen, die so ungleich verteilt sind auf dieser Erde, an Rechtlosigkeit, Gewinnsucht und Ausbeutung. Wir sind selbst Glieder in diesen Unrechts-Kreisläufen und halten sie in Gang. Das bedeutet Sünde.

Christ lag in Todesbanden, für unsre Sünd gegeben. Jesus, das Gewaltopfer, hat sich nicht zum willenlosen Opfer machen lassen, sich nicht zum Teil dieses Systems machen lassen. Er hat sich nicht brechen lassen. Er hat Unrecht und Gewalt, hat dem Tod widerstanden.

In seinem Namen überwinden Menschen Todesbanden, setzen sich für Schuldenerlaß ein, widerstehen der Gewalt. In seinem Namen hüten Gottes Freund_innen das Leben auf der Erde.
Ostern beginnt mit Pessach, dem alten jüdischen Fest der Befreiung. Gott zerreißt die Fesseln der Unfreiheit und begleitet die Menschen in die Freiheit. Christus ist vom Tod aufgestanden. Ja, Gott selbst ist gegen den Tod aufgestanden –  und wir mögen mit ihm aufstehen.

Predigt zu Ostern zu EG 101: Christ lag in Todesbanden (Martin Luther)

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