Ich denke an eine Familie, bei der das Fest wunderbar anfing. Alle waren im Gottesdienst. Es war alles sehr festlich, die Lieder und überhaupt. Der Vater richtete sich stolz auf, als sein Sohn aufstand und nach vorn ging und vor der ganzen Gemeinde etwas vorlas. Die Mutter konnte vor Rührung und Bewegung gar nicht richtig zuhören, so sehr musste sie sich an ihrem Taschentuch festhalten. Nach dem Gottesdienst war großes Hallo, und dann kam das Essen und das Erzählen. Man feierte auswärts, und es war eine große Gesellschaft, Verwandte, Freunde, Bekannte, es war ein toller Trubel und ging sehr turbulent zu. Irgendwann löste sich alles auf, in Grüppchen ging es auf den Heimweg – bis, ja bis sich die Eltern umdrehten und fragten: Wo ist denn eigentlich unser Filius. An den hatten sie gar nicht mehr gedacht, obwohl er doch die Hauptperson war.
Bei den Eltern setzte natürlich das große Erschrecken ein. Und Kopfschütteln und Stirnrunzeln über den feinen Herrn Sohn. Auch am nächsten Morgen tauchte er nicht auf. Je länger sie suchten, desto größer wurden ihre Angst und ihre Panik. War etwas passiert, war er einfach ausgerissen? Obwohl, das hatte er noch nie gemacht, im Gegenteil. Er war immer ein lieber Kerl und hatte nie Ärger gemacht, nein, und einen Grund dafür konnten sie sich gleich gar nicht zusammenreimen. Oder hatten sie doch etwas falsch gemacht?! Aber er war wie vom Erdboden verschwunden.
Als sie ihn aufgabelten, bei den Leuten an dem Ort, hagelte es Vorwürfe. Die Mutter fing an: „An mich und an deinen Vater hast du wohl gar nicht gedacht?!“ Das war das Stichwort. Vater, blickte er verwundert auf. Mein Vater? Es war nämlich nicht sein biologischer Vater. Seine Mutter hatte darüber zwar nie so genau erzählt, aber es hatte bisher auch überhaupt keine Rolle gespielt. Aber jetzt traf es, es war ein Stich für den Mann, bei dem er aufgewachsen war von klein auf.
Es war kein Vorwurf, aber niemand verstand, warum er ausgerechnet jetzt so reagierte. Doch genauso selbstverständlich, wie er es gesagt hatte, stand er jetzt auf und zog im Schlepptau der Eltern nach Hause ab. Und genauso selbstverständlich ordnete er sich zu Hause wieder ein, als wäre nichts geschehen. Er war wieder der freundliche Junge, so wie seine Eltern ihn kannten.
Aber es war doch etwas geschehen. Ihm selbst war das vielleicht gar nicht so klar. Doch seine Mutter hatte begriffen, dass dieses Kind jetzt erwachsen wurde und dabei war, seine eigene innere Welt zu bauen. Mit dem Körper war er noch da, im Haus seiner Eltern. Aber seine Seele war schon unterwegs in die Zukunft, sozusagen in das Haus, das sein Leben werden würde.
Da ist es für eure Eltern auch nicht ganz einfach, immer das richtige Maß zu finden. Als Jesus Bar-mizwah gefeiert hat, da haben seine Eltern anscheinend überhaupt nicht mitgekriegt, dass er sich für anderes interessiert hat als für ein Familienfest. Oder sie waren einfach zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Auf der anderen Seite hätte er sicher protestiert über zuviel Gängelei, wenn ständig jemand hinter ihm her gerannt wäre. Und er musste ja auch selbständig werden. So hat er neue Leute kennengelernt. Auch ihr seid ja gern mit Freunden zusammen. Ich weiß, für euch sind Leute wichtig, die euch beeindrucken, die euch akzeptieren und die schon weiter sind als ihr, älter, reifer, cooler, kritischer oder wie auch immer, und trotzdem eure Wellenlänge haben. Bei Jesus war es leider so, dass es seine Eltern überhaupt nicht beeindruckt hat, dass seine neuen Bekannten sogar Lehrer vom Tempel waren. Im Gegenteil, sie waren entsetzt über diese Art von Umgang. Sie fanden, dass die Dinge, über die sie sich unterhalten haben, noch nichts sind für einen halbwüchsigen Jungen, viel zu hoch. Es ist gut, wenn euch nette Leute über den Weg laufen, die euch weiter bringen, und nicht solche, die euch zum Abrutschen bringen. Und es ist gut, wenn ihr notfalls die innere Kraft aufbringt, tschüß zu sagen.
Aber vor allem hoffe ich, dass ihr Leute findet, wo ihr eure Fragen loswerden könnt oder die euch auf die richtigen Fragen bringen, damit ihr euch selbst finden könnt und euren Weg durchs Leben. Ihr wollt leben, und das treibt euch um. Wer immer nur etwas erleben will, kann in ein paar Jahren abgewrackt und abgelebt sein. Euer Drang und eure Neugier auf Leben sollen größer sein als nur die Sucht, etwas zu erleben, und sie sollen euch immer weiter treiben, so wie sie Jesus auch weiter getrieben haben. Und ich wünsche, dass ihr eure Umgebung lebendig macht, dass ihr Leute ansteckt mit Fröhlichkeit und Hoffnung und Phantasie und Bewusstsein für Gerechtigkeit, so wie Jesus seine Umgebung auch angesteckt hat mit Leben.
Liebe Eltern, manche Jugendlichen finden mit traumwandlerischer Sicherheit ihren Weg, andere suchen und probieren lange herum. Und oft steckt auch beides zugleich in ihnen und streitet miteinander. Das macht das Alter jetzt so spannungsreich und spannend.
Oft müssen wir als Eltern erst einmal mitbekommen, dass es unterschiedliche Welten sind, in denen wir leben. Manchmal bricht das auf, so wie bei Jesus und seinen Eltern, ausgerechnet auf seinem Bar-mizwah-Fest, oder einfach in Situationen, wo es denkbar ungelegen scheint. Vielleicht erschrickt es auf den ersten Blick. Vielleicht gibt es einen Eklat. Es kann aber eine Chance sein, dass Sie die Kinder loslassen und freigeben auf ihren Weg in ihre eigene Welt. Als Eltern sind Sie alle noch unter DDR-Verhältnissen aufgewachsen. Diese Jugendlichen müssen einmal mit Herausforderungen klar kommen, die viel komplexer sind. Sie werden auch in verantwortlichen Positionen sitzen und müssen eine zukunftsträchtige Gesellschaft bauen. Wir wünschen uns, dass diese jungen Leute bestehen und die Zukunft mitzugestalten vermögen und dass Gutes von ihnen ausgeht, dass sie den Weg von Gerechtigkeit und Frieden finden, für sich und für unsere Welt.