Wir verabschieden uns heute vom alten Jahr. Das Jahr endet im Dunkeln und zugleich im Licht. Ist es auch sonst so mit den Abschieden im Leben? Seit uns die Nabelschnur abgeschnitten wurde, gehören sie dazu, immer wieder. Abschied vom Kindergarten, von der Schule, aus einem beruflichen Umfeld. Abschied von Menschen, die uns ans Herz gewachsen sind oder die es uns schwer gemacht haben. Abschied von einer Lebensphase, von Vertrautem, von Belastendem und Zermürbenden. Abschied von liebgewordenen Vorstellungen, von Lebenseinstellungen, vom Bild, das ich von mir selbst habe oder von anderen. Wir müssen uns immer wieder abnabeln. Abschied mit lachendem und weinendem Auge, als Schmerz und als Befreiung. Solange wir leben, verändern und wandeln wir uns, gehen auf Neues zu und begrüßen es. Solange wir leben, müssen wir uns auch verabschieden.
Begrüßen, einführen,willkommen heißen – das können wir gut. Da feiern wir, halten Reden, schenken Blumensträuße und wünschen gutes Gelingen und Gottes Segen. Die Zukunft ist offen, die Mühen der Ebene kommen erst noch.
Beenden: da ist der letzte Schultag, Junggesellenabschied, Lehr- oder Studienabschluß. In der DDR haben die jungen Männer in der Kaserne Maßbänder aufgehängt und jeden Tag einen Zentimeter abgeschnitten. Auf dem Bahnhof umarmen wir uns, wünschen uns gutes Wiedersehen, winken einander zu.
Doch mit vielen Abschieden tun wir uns schwerer. Wenn jemand in den Ruhestand geht, wenn sich jemand aus einer Position verabschiedet, etwas aufgibt – da schwingt auch Wehmut mit. Die obligatorischen Grußworte: was er oder sie aufgebaut hat, womit sie sich verdient gemacht hat, wie unersetzlich er ist und wie sehr alle sie vermissen werden. Manchmal ist es so. Aber oft wird gelogen, daß sich die Balken biegen, weil alle insgeheim warten, daß jemand Neues kommt und endlich frische Luft in die Bude bringt.
Im Neuen liegen noch alle Chancen verborgen. Es hat Raum für Träume, ist veränderbar. Wir können die Zukunft gestalten. Bei der Vergangenheit ist es schwieriger. Sie liegt hinter uns. Wir haben Chancen ergriffen oder verstreichen lassen, sie gefüllt oder versäumt. Sie hat Verletzungen gebracht.
Die Vergangenheit können wir nicht mehr ändern. Sie ist abgeschlossen. Ist sie es wirklich? Aber wenn die Zukunft offen ist – vielleicht ist es dann auch die Vergangenheit? Sie lebt in uns, wir leben aus ihr. Das Vergangene ist jedenfalls nicht tot. Wir tragen es in uns, als Kraftquelle, als Prägung, als Verhängnis / als Last und Zwang. Wenn wir uns wandeln, dann verändert sich auch die Vergangenheit?
Lied: EG 37,1-4 Ich steh an deiner Krippen hier
Abschiede tragen viele Gefühle in sich, Erwartung Schmerz, Hoffnung und Wehmut, manchmal sind sie auch mit Ohnmacht verbunden. Wir müssen loslassen, ob wir wollen oder nicht. Wir können nichts daran ändern. Das tut weh, und manchmal brauchen wir Hilfe, damit wir Ohnmacht, Zorn, Kränkung nicht weiter mit uns herumschleppen. Es tut gut, wenn es uns gelingt, loszulassen.
Wenn wir eine Aufgabe bewußt für uns abschließen und beenden, müssen wir nicht das Gefühl haben, daß Unerledigtes liegen geblieben ist.
Wenn wir etwas abschließen, können wir besser neu beginnen.
Abschiede sind traurig, herzzerreißend, erleichternd. Wir wünschen uns, daß sie nicht ohne Trost sind, sondern voll Hoffnung und Licht, daß etwas bleibt von dem, was zu Ende gegangen ist, daß wir etwas mitnehmen, weitergeben, davon zehren.
Der letzte Tag des Jahres ist traurig und schön zugleich. Heute wollen wir Abschied nehmen und es soll gut tun. Die Kirche hat sich in ihr schönstes Gewand gehüllt. Bald ist die Weihnachtszeit vorbei, die Leute schleppen die struppigen Bäume zum Container. Und auch hier in der Kirche wird es grau und kalt. Bald kommen die Bauleute und reißen ihre Eingeweide auf, staubig liegt sie da.
Aber heute hat sie sich schön gemacht. Die Kirche verabschiedet sich von uns, mit Musik, mit Kerzen in dunkler Stille, mit weihnachtlicher Pracht.
30,1-3 Es ist ein Ros entsprungen
Jesus hat den Abschied gefeiert. Im Angesicht des Todes hat er gegessen und getrunken, gebetet und geliebt. Er hat gezeigt, wie Abschied beides sein kann. Ende und Anfang, endgültiger Abbruch und Wandlung, Verrat und Gemeinschaft, eine schmerzliche Trennung und Fest in einem. Das Passamahl am Gründonnerstag war letzter Abschied und Feier zugleich, Totenmahl und Fest der Befreiung.
Er hat ihn gelebt, den Abschied, der schmerzlich und schön zugleich ist. Ihr werdet traurig sein, doch euer Schmerz soll in Freude verwandelt werden.
Eine Frau, die gebiert, hat Schmerzen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an Qual vor Freude, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Johannes 16,20b-22
Predigt zu Silvester
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