Menschen sind wie Brot. Meine Schwiegermutter zum Beispiel. Bei ihr gab es immer zu essen.
Wenn wir mit Sack und Pack vom Bahnhof hereinstolperten, brutzelte und köchelte schon allerlei Liebliches in den Töpfen. Wir durften zugreifen und der Tisch war reich gedeckt. Nicht nur das Kind, das Enkelkind wurde verwöhnt und umsorgt, sondern auch die geplagte Mutter; sie konnte sich ausruhen und pflegen. Überhaupt ging es bei ihr anders zu. Locker. Soviel Freiheit war ich nicht gewohnt. Sie spottete über die Wichtigtuer und Phrasendrescher und ihr Imponiergehabe. Meine Sorgen lachte sie einfach weg. Ich habe es genossen bei ihr und ich habe durch sie andere Welten kennengelernt.
Menschen sind wie Brot. Wir zehren von Begegnungen. Sie erwärmen, nähren uns, prägen, eröffnen neue Dimensionen. Für Kinder und Jugendliche, die in einengenden Verhältnissen und in einem Elternhaus voller Zwängen aufwachsen, ist es lebenswichtig, daß sie noch andere Bezugspersonen haben. Großeltern. Die Nachbarin. Der Leiter im Jugendclub.
Kinder haben oft eine Lieblingstante oder einen Lieblingsonkel und fahren gern zu Besuch dorthin. Sie suchen sich Ersatzmütter und –väter. Sie lassen es sich gut sein in ihre Nähe und sie kommen mit neuen Ideen zurück. Sie lernen auf diese Weise andere Lebenseinstellungen kennen. Sie beobachten, woher andere Mut und Freiheit schöpfen, wie sie Probleme angehen und was sie trägt. Vielleicht himmeln sie sie sogar eine Zeitlang an, träumen von einem anderen Leben. Es wird ihnen helfen, daß sie sich entwickeln und ihren eigenen Weg finden.
Gerade wer in einengenden Verhältnissen eingesperrt ist, hat es schwerer, wegzukommen und Anregung zu finden. Oder wer weit weg auf dem Dort wohnt, hinter sieben Bergen, ohne Bus und nur mit den engen Normen eines Dorfes. Je abhängiger jemand ist, desto eingeschränkter sind die Chancen – und je mehr ist er oder sie zugleich darauf angewiesen. Genau da ist die Sehnsucht am größten. Deshalb zieht es schon immer und überall auf der Welt Menschen in die Städte. Nicht nur das Brot, das sie verdienen, lockt, sondern auch das Brot der Freiheit: Stadtluft macht frei. Der demographische Wandel ist seit 800 Jahren im Gange.
Doch egal wie wir es zuhause erlebt haben und wie alt wir sind: Andere Leute, neuer Wind – wir alle brauchen sie und das tut gut, damit wir nicht eng werden und uns einfahren. Wir brauchen Freundinnen und Gefährten, wir suchen uns Lehrerinnen und Leitfiguren, an denen wir uns neu orientieren können. Sie erweitern unseren Horizont. Freiheit kommt von innen.
Viele Beziehungen währen über Jahre und Jahrzehnte. Anderen begegnen wir nur eine Woche lang oder erleben sie bei einem Vortrag. Manche kennen wir nur aus Büchern. Vielleicht haben wir nur ein Zitat, ein zwei Sätze von ihren gelesen und dieser Satz begleitet uns ein halbes Leben lang.
Wir können von Begegnungen zehren. Verliebte wissen das, wenn sie von einem Treffen zum nächsten leben und die Stunden zählen, bis sie sich wiedersehen. Dann haben sie sich regelrecht zum Fressen gern.
Umgekehrt können Menschen in Beziehungen regelrecht verhungern. Da ist die Partnerschaft, in der sich die beiden schon lange nichts mehr zu sagen haben. Die Familie, in der es unterkühlt zugeht. Die Jugendliche, der die Eltern kalt und abweisend begegnen. Das Kind, das darauf wartet, daß es endlich in den Arm genommen, getröstet und geliebt wird. Wenn seine Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit nicht gestillt wird, verkümmert es und trägt den Hunger sein Leben lang herum. Auch ein Kinderzimmer voller Spielzeug macht nicht satt.
Ein anderes Kind bekommt vergiftetes Brot. Zuwendung nur, wenn es sich anpasst. Belohnung dafür, daß es schweigt und sich nicht wehrt gegen Mißbrauch. Aufmerksamkeit, wenn es sich verstricken läßt in die Lüge einer Familie. Am Ende kann es selbst nicht mehr unterscheiden, was gut tut und welche Umarmungen echt sind und welche verlogen.
Brot zum Leben, ohne daß es sich dafür verbiegen muß, ohne daß etwas dafür verlangt wird – das ist ein Traum. Es ist eben Himmelsbrot. Doch wir brauchen es alle, ob jung oder alt.
Menschen können wie Brot sein. Ein aufmunterndes Wort, ein Zwinkern, einen freundlichen Blick kann Wunder wirken. Wir zehren davon, und umgekehrt können auch wir andere nähren.
Jesus sagt: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist. Alle, die von diesem Brot essen, werden ewig leben.
Predigt zu Lätare über Johannes 6, 47 – 51
Andere Predigten zu Joh 6,47-51: Brotwerdung Gottes und Vom Himmel steigt Brot
Weitere Predigten in der Passions- und Vorpassionszeit: hier
Predigten in der Trinitatiszeit: hier
Predigten zu Gerechtigkeit: hier
Predigten im Jahreslauf: hier
Johannes 6, 47-51 Amen, amen, ich sage euch: Alle, die an mich glauben, haben ewiges Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Eltern haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 Dies ist das Brot, das vom Himmel herabsteigt, damit alle von ihm essen und so nicht mehr sterben. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgestiegen ist; alle, die von diesem Brot essen, werden ewig leben. Das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Körper für das Leben der Welt. (Bibel in gerechter Sprache)
Ein Mensch wie Brot Lothar Zenetti (gekürzt und leicht verändert)
Er lehrte uns die Bedeutung und Würde des einfachen und unansehnlichen Lebens.
Unter den armen Leuten säte er ein,
seine unbezwingbare Hoffnung.
Er kam, ihn zu heilen.
Wo er war, begannen Menschen freier zu atmen.
Blinden gingen die Augen auf.
Gedemütigte richteten sich auf und lobten Gott.
Sie wurden wie Kinder.
Er rief sie alle ins Leben.
Er stand dafür auf, dass niemand umsonst gelebt,
niemand vergebens gerufen hat,
dass niemand verschwindet namenlos im Nirgends und Nie.
Dass die letzten noch heimkehren als Söhne und Töchter.
Er wurde eine gute Nachricht im ganzen Land.
Ein Weg, den sie gehen,
ein Licht, das sie in Händen halten können gegen das Dunkel.
Ein Mensch wie Brot, das wie Hoffnung schmeckt. Bitter und süß.
Ein Wort, dass sich verschenkt, Ein Wort, dem kein Tod gewachsen ist.
Ein Wort, das aufsteht und ins Leben ruft. Wahrhaftig – dieser ist Gottes Kind.