Ich habe einen Strohhalm mitgebracht, wie er in der Krippe gelegen haben könnte, auch wenn das so gar nicht in der Bibel steht. Dieser Halm ist besonders schön, denn ich habe ihn gehütet. Das Stroh in der Krippe war bestimmt zerknickt und stachelig. Ein Bettchen für ein neugeborenes Baby sieht anders aus. Aber Maria und Josef hatten nichts anderes. Sie waren froh, daß sie überhaupt einen Unterschlupf gefunden haben und nicht unter freiem Himmel campieren mussten so wie viele Flüchtlinge vor den Grenzen Ungarns und Kroatiens und Serbiens und Österreichs in diesem Jahr.
Marias Kind kam unterwegs zur Welt. Da war sie dankbar für jeden Strohhalm. Auch heute greifen Leute nach Strohhalmen, wenn Armut und Krieg ihnen den Mut und die Heimat nehmen. Sie fahren mit Plastikbooten über gefährliche Meere. Sie klammern sich an Nachrichten auf dem Handy über bessere Welten jenseits von Meeren und Grenzen. Sie vertrauen sich Seelenverkäufern und windigen Schiebern an. Oft bleibt von all ihren Hoffnungen nicht viel mehr als so ein brüchiger Strohhalm Und manchmal hält er tatsächlich und rettet ihnen das Leben.
Marias Kind liegt auf Stroh in einem Viehstall zwischen Tieren.
Es ist das Stroh, aus dem Sterne gemacht sind. Sie schmücken in der Adventszeit unsere Häuser und Fenster. Sie verwandeln zu Heiligabend einen einfachen grünen Baum in einen Weihnachtsbaum. Sie erzählen von einem fröhlichen Fest mitten in den dunkelsten Tagen des Jahres. Die Strohsterne erinnern an den Stern, den die Weisen im Osten gesehen haben und der sie so fasziniert hat, daß sie bis nach Betlehem gewandert sind. Er lockt uns aus dem Mauseloch heraus, bringt uns in Bewegung und verzaubert uns.
Menschen bleibt manchmal nur noch ein Strohhalm, an den sie sich klammern können. Doch: Hoffnung kann tragen. Ein Strohhalm kann zum Stern werden. Wenn sich Leute finden, die Maria und Josef aufnehmen. Wenn ein Engel ihren Weg behütet. Wenn heute Abend 80 Flüchtlingskinder in Sangerhausen ein Päckchen auswickeln. 80 Leute in unserer Stadt, im Jobcenter, in Büros, haben sich ihrer Wunschzettel angenommen, ohne großes Aufsehen, ohne einen großen Aufruf in der Zeitung. Sie haben geschenkt, so wie die Weisen aus dem Osten das Jesuskind in der Krippe beschenkt haben und dabei selbst beschenkt worden sind.
Gott, Marias Kind, ist nicht auf Rosen gebettet. Es liegt auf Stroh in einem Viehstall zwischen Tieren. Es kommt zu den Säuglingen, die in einem Pappkarton ausgesetzt werden. Es schläft bei den Straßenkindern unter Brücken und in Abrißhäusern. Es gesellt sich zu den Kindern, die niemanden zum Spielen haben, deren Seele verdorrt ist, denen die Wärme fehlt und die Liebe. Dieses Kind bringt Hoffnung in die Keller der Menschheit. Es weckt die Gerechtigkeit aus dem Schlaf. Es pustet uns Mut zu und läßt uns Sterne aufgehen, wo wir nur Strohhalme sehen.
Heiligabend 2015
Siehe auch: Stroh und Rosen – Predigt am 1. Weihnachtsfeiertag
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