Die Kirche hat ein Gewaltproblem. Ich meine jetzt nicht die katholische Kirche und die sexualisierte Gewalt, deren Aufdeckung gerade in vielen Pfarreien gefordert wird. Ich meine die Gewalt, die mit dem Taufbefehl und Missionsauftrag verbunden ist, wie wir sie gerade in der aktuellen Lutherübersetzung gehört haben. Er beginnt mit den Worten von Jesus: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf der Erde.*
Martin Luther hatte damit an eine Autorität gedacht, die sich durchsetzen kann. Die Staatsgewalt etwa greift ein, stellt die öffentliche Ordnung wieder her und schützt auch die Schwachen. Gegenüber dem Faustrecht kann ein staatliches Gewaltmonopol Fortschritt bedeuten.
Doch heute assoziieren die meisten mit Gewalt etwas anderes als zu Martin Luthers Zeiten: häusliche Gewalt, Mobbing in der Schule, dass Leute zusammengeschlagen, bedroht und eingeschüchtert werden. Kinder wachsen in einer Atmosphäre der Respektlosigkeit und Missachtung auf. Aber auch die Polizei prügelt mancherorts. Bewaffnete versenken ganze Landstriche in Chaos und Korruption, wo die Rechtsordnung zu schwach ist.
Gewalt ist eins der drängendsten Probleme weltweit. Vor allem pflanzt sie sich fort. Geschlagene Opfer geben die Gewalt später oft weiter und werden selbst gewalttätig. Der Ökumenische Rat der Kirchen hat deshalb Ende der 1990er Jahre eine „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ ausgerufen. Gewalt auf allen Ebenen angehen – das könnte z.B. bedeuten, sichere Räume zu schaffen für Opfer oder potentielle Opfer. Oder hinterfragen, welche Strukturen Gewalt begünstigen. Aufmerksam werden für versteckte Gewalt. Traumatisierte therapieren, die Zivilgesellschaft stärken.
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf der Erde, damit ist natürlich etwas andere gemeint: Jesus hat Vollmacht. Das meint auch das griechische Wort im Urtext: „exousia“. Nur die Lutherbibel von 2017 spricht immer noch von „Gewalt“. Bei Opfern lässt dieser Begriff bittere Erinnerungen hochsteigen.
Doch ausnahmslos alle modernen Bibeln verwenden dieses Wort an dieser Stelle nicht mehr für „exousia“. Von der katholischen Einheitsübersetzung bis zur Guten Nachricht oder Hoffnung für alle steht hier Vollmacht oder Macht. Gott hat mir alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben, lautet der Satz in der Bibel in gerechter Sprache.
Wie wir sprechen, ist nicht belanglos. Unsere Worte erzählen, was wir denken, welche Werte uns wichtig sind. Welche Begriffe wir verwenden, offenbart auch, worauf wir keinen Wert legen, was und wen wir übergehen. In den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung sehr verändert, was alles Gewalt sein kann. Ich finde, das sollte sich auch in der Sprache in der Kirche niederschlagen. Und im Zusammenhang mit Kindern, also bei der Taufe, hat Gewalt gar nichts zu suchen.
Jesus war selbst ein Gewaltopfer. Er spricht den Sanftmütigen zu, daß sie die Erde besitzen sollen. Als Christinnen und Christen sind wir aufgerufen zur Solidarität mit Menschen, die von Gewalt betroffen sind. Für sie soll es ein Lichtblick sein, dass ihr Schicksal sich wendet, wenn Jesus sagt: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde. So lese ich den Taufbefehl. Amen.
* Matthäus 28, 18 – 20: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.
Predigt zum 6. Sonntag nach Trinitatis
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